Zur Hauptnavigation springen Zur Suche springen Zum Seiteninhalt springen Zum Footer springen

  • Wirtschaft & Menschenrechte
  • 08/2023
  • Prof. Walter Timo de Vries

Kostbares Land: Ausbau grüner Energien im globalen Süden ist oft konfliktträchtig

Ob beim Bau von Anlagen oder dem Abbau von Rohstoffen: Soziale und wirtschaftliche Effekte der Nutzung kollidieren oft mit traditionellen Landrechten und Lebensformen – Spannungen, Migration und Umsiedlung sind die Folge.

Naturschutzbelange wollen bei dem Ausbau von Windenergie standortgerecht berücksichtigt werden. © KfW

Eine verantwortungsvolle und intelligente Bodenordnung und Landentwicklung ist entscheidend, um erneuerbare Energien für Entwicklungsländer bereitzustellen. Dabei geht es darum, den richtigen Kompromiss zwischen dem Kostengünstigsten, dem Effizientesten für die Lebensmittel- und Agrarproduktion und dem Umweltverträglichsten zu finden.

Nach Angaben der FAO beträgt die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche etwa fünf Milliarden Hektar oder 38 Prozent der globalen Landoberfläche, von denen nur ein Drittel als Ackerland genutzt wird. Teilt man diese Fläche auf jeden der acht Milliarden Menschen auf der Welt auf, würde dies bedeuten, dass jede einzelne Person Zugang zu etwa 45 mal 45 Metern hätte. Diese Größe allein zeigt bereits, dass landwirtschaftliche Flächen knapp sind. 

Außer diesen abstrakten Daten gibt es noch die Statistiken über die großflächige Umwandlung von Ackerland in Flächen für Biokraftstoffe. Allein in Europa wurden 2020 seit der Einführung der europäischen Richtlinie für erneuerbare Energien (RED) im Jahr 2010 insgesamt 9,6 Millionen Hektar Land auf die Produktion von Biokraftstoffen umgestellt – eine Fläche größer als die Insel Irland (Fehrenbach et al. 2023). In den Entwicklungsländern kann die Umstellung zu einer noch größeren Landknappheit führen und Menschen zwingen, in andere Gebiete abzuwandern (Bommert 2012). Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen der Flächenzunahme für die Biokraftstoffproduktion und der Zunahme großflächiger Landnahme und Vertreibung.

Hunger nach Strom braucht Land

Eine der dringenden Maßnahmen für die Entwicklung in Ländern des Globalen Südens sind Investitionen in die Elektrifizierung. Nach den Statistiken der Weltbank hatten im Jahr 2021 50,6 Prozent der Bevölkerung in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara Zugang zu Strom. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara lag 2019 bei 29 Prozent, während in Afrika insgesamt der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung 2021 bei 22,7 Prozent lag. Zugleich gibt es sowohl große ländliche Gebiete, die überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben, als auch städtische Gebiete, die schnell wachsen und zusätzlichen Strom benötigen. Für den Bau von Elektrizitätsanlagen ist jedoch Land erforderlich. Daher führen die Stadterweiterung und ein steigender Stromverbrauch tendenziell zu einer Verringerung der verfügbaren Agrarflächen und kann Landraub und Landkonflikte zur Folge haben.

Ein LKW beim Tanken von Biodiesel aus Sojabohnen. In der EU soll Sojaöl – wie Palmöl – nur noch beschränkt für Kraftstoffe verwendbar sein. © United Soybean Board via Flickr

Darüber hinaus benötigen Anlagen für erneuerbare Energien mehr Land als konventionelle Energieträger. Erneuerbare Energiequellen zeichnen sich im Vergleich zu fossilen Brennstoffen durch eine geringere „Leistungsdichte“ aus. Kernkraftwerke benötigen im Durchschnitt nur 0,3 m2 pro produzierte Megawatt pro Stunde, während kleine bis mittlere Wasserkraftwerke 33 m2 pro Megawattstunde Strom benötigen. Solarkraftwerke decken in der Regel große landwirtschaftliche Flächen ab, Windenergieanlagen benötigen dagegen wenig Boden.  

Erneuerbare Energien und Landkonflikte

Erneuerbare Energien haben zusätzliche negative Auswirkungen auf die Landnutzung, die insbesondere im globalen Süden sichtbar sind. Der mit erneuerbaren Energien verbundene größere Landbedarf führt zu mehr Landnutzungskonflikten zwischen Anbietern erneuerbarer Energien und lokalen Gemeinschaften. Der Lebensunterhalt indigener Völker oder Kleinbauern und Hirten wird beispielsweise durch Landerwerb oder Änderungen in den Landnutzungsmustern direkt beeinträchtigt. Beispiele für diese Landkonflikte gibt es bei der Erzeugung von Palmöl und Biodiesel sowie bei der Entwicklung von Windenergieparks in Brasilien und Mexiko.

Am Isthmus von Tehuantepec in Mexiko sind mehr als 1 000 Windturbinen zwischen städtischen Siedlungen und Dörfern errichtet worden, in denen die rund 560 000 überwiegend indigenen Gemeinden kollektive Landrechte besitzen, um ihre Subsistenzlandwirtschaft und Fischerei parallel zur Produktion von Nutzpflanzen zu betreiben (Martínez-Mendoza et al. 2020).  Es gab keinen partizipatorischen Prozess oder eine demokratische Beteiligung der betroffenen Bevölkerungsgruppen an den Entscheidungs- und Umsetzungsverfahren zur Ansiedlung der Windräder. Ein Großteil der Informationen wurde nicht einmal an die betroffenen Bevölkerungsgruppen weitergegeben. Dies geschah in Gebieten, in denen die Landrechte bereits seit längerer Zeit umstritten waren und in denen der Staat bisher untätig geblieben war, um diese Landkonflikte zu lösen. 

Kritiker finden oft kaum Gehör

Die unterschiedlichen Interessen- und Machtkonstellationen zwischen den Anbietern erneuerbarer Energien und lokalen Gruppen erschweren oft das Aushandeln von Kompromissen (Backhouse and Lehmann (2020). Wer sich für die Umsetzung der erneuerbaren Energie-Projekte einsetzt, hat besseren Zugang zu Technologie, Finanzkapital und Netzwerken und wird oft von staatlichen Stellen und internationalen Organisationen unterstützt. Kritische Stimmen zu den Auswirkungen der Landverteilung finden dagegen kaum Gehör. Oft können mächtige Allianzen von Energieanbietern die Einführung neuer Technologien erzwingen, unabhängig davon, ob diese erneuerbar sind oder nicht.

Die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen erneuerbarer Energien auf die Landnutzung im globalen Süden hängen mit landesüblichen Landrechten und traditionellen Lebensformen zusammen. Dies zeigen zahlreiche Landstreitigkeiten, soziale Spannungen, unfreiwillige Migration und Umsiedlung sowie der Verlust von Lebensgrundlagen. Es ist entscheidend, diese Dynamik genau zu verstehen, will man einen integrativen und gerechten Übergang zu erneuerbaren Energien fördern.

Projekte erneuerbarer Energien können sich auch auf Böden auswirken, die für die biologische Vielfalt und Ökosysteme wichtig sind. Beispielsweise können große Wind- oder Solarparks die Migrationskorridore von Wildtieren stören, natürliche Lebensräume verändern oder zur Fragmentierung von Ökosystemen führen.

Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die Produktion von Materialien für erneuerbare Energien tendenziell auf Metallen basiert, die überwiegend in Entwicklungsländern vorkommen. So benötigen Solaranlagen unter anderem große Mengen an Kupfer und Aluminium. Windenergie benötigt Zink, Erdwärmeanlagen benötigen Nickel, und Batterien sind auf Kobalt, Nickel und Lithium angewiesen, um nur einige strategische Rohstoffe zu nennen (International Energy Agency 2022). Und wo sind diese Materialien am häufigsten zu finden? Im globalen Süden (Rekacewicz 2000). Dies stellt viele Länder vor erhebliche Dilemmata: Soll in erneuerbare Energien für die lokale Nutzung investiert werden, oder sind die finanziellen Erlöse aus dem Export von Mineralien wichtiger?

Partizipation und Mitsprache entscheidend

Um sowohl den Interessen globaler wie lokaler Gruppen Rechnung zu tragen, bedarf es besserer partizipativer Ansätze bei Investitionen in erneuerbare Energien. Dazu gehören öffentliche Anhörungen, regelmäßige Treffen und transparente Dialoge, um sicherzustellen, dass die Stimmen lokaler Gruppen  gehört werden, dass ihr Landbesitz, ihre Kultur und Traditionen anerkannt, und dass ihre eigenen Bedürfnisse und Anliegen mit den Bedürfnissen externer Investoren in Einklang gebracht werden (Iswantoro 2021; Fisher et al. 2020).

Denn Projekte erneuerbarer Energien haben das Potenzial, die wirtschaftliche Entwicklung in ländlichen Gebieten des globalen Südens zu fördern. Sie können Beschäftigungsmöglichkeiten bieten, lokale Industrien ankurbeln und die örtliche Wirtschaft beleben, wenn sie mit der Förderung von Unternehmern kombiniert werden – wenn diese etwa zu Reparaturen, zur Herstellung von Produkten und Ersatzteilen für Energieanlagen beitragen können und fähig sind, diese zu erneuern (Magnani et al. 2017). Es ist jedoch wichtigt sicherzustellen, dass die Vorteile der Technologien gerecht verteilt werden. Dies bedeutet, lokale Gemeinschaften aktiv in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, um Marginalisierung oder Vertreibung zu vermeiden.

Mit grüner Energie lässt sich degradiertes Land regenerieren

Projekte im Bereich erneuerbarer Energien können auch zur Landsanierung und Landgewinnung beitragen. So können Anlagen in verlassenen Gebieten wie alten Bergbaustandorten installiert werden, oder auf marginalem oder degradiertem Land, das von Gemeinden nicht genutzt wird, wie Wüsten oder auch Dächern. Dies kann helfen, ungenutztes oder geschädigtes Land in produktive und nachhaltige Energiequellen umzuwandeln und wirtschaftliche Entwicklung zu fördern.

Dort wo sich beispielsweise Bergbau nicht mehr lohnt, können erneuerbare Energien zu einer lukrativen Alternative werden. Solche Möglichkeiten bestehen etwa in Indonesien in Zusammenhang mit der Entwicklung seiner neuen Hauptstadt, die als neue ‚smarte‘ und grüne Stadt gefördert wird (de Vries and Schrey 2022). Ältere stillgelegte Minen könnten dort in Wind- oder Solarparks umgewandelt werden, damit die neue Hauptstadt ohne Energie aus Öl oder Kohle auskommt.

Rechte lokaler und indigener Gemeinschaften anerkennen

Der komplizierte Zusammenhang zwischen der Entwicklung erneuerbarer Energien und Landrechten, -beschränkungen und -pflichten im globalen Süden bedarf dringend weiterer Forschung. Dies betrifft eine Vielzahl von Ländern mit unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen, kulturellen Normen und komplexen Landbesitzsystemen. So sind kommunale Landbesitzsysteme, informelle Landbesetzung, schwache Landverwaltung, gefährdete Gemeinschaften, kulturelles Erbe, intransparente Landerwerbsverfahren und unfaire Vergütungsszenarien allesamt Faktoren, die die Entwicklung erneuerbarer Energien im globalen Süden beeinflussen.

Es gilt, konkrete Richtlinien zu erarbeiten, die die Rechte lokaler Gemeinschaften und indigener Völker anerkennen und die Betroffenen während der gesamten Projektumsetzung angemessen anhören und beteiligen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass erneuerbare Energien nur positiv  für Entwicklungsländer sein können, wenn:

Prof. Walter Timo de Vries Technische Universität München

Literaturverzeichnis:

Backhouse, M., and R. Lehmann. 2020. New ‘renewable’frontiers: contested palm oil plantations and wind energy projects in Brazil and Mexico. Journal of Land Use Science 15 (2-3):373-388.

Bommert, W. 2012. Bodenrausch: Köln : Eichborn.

de Vries, W. T., and M. Schrey. 2022. Geospatial approaches to model renewable energy requirements of the new capital city of Indonesia. Frontiers in Sustainable Cities (4):80.

Fehrenbach, H., S. Bürck, and A. Wehrle. 2023. The Carbon and Food Opportunity Costs of Biofuels in the EU27 plus the UK: ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gGmbH, 57.

Fisher, J., H. Stutzman, M. Vedoveto, D. Delgado, R. Rivero, W. Quertehuari Dariquebe, L. Seclén Contreras, T. Souto, A. Harden, and S. Rhee. 2020. Collaborative governance and conflict management: Lessons learned and good practices from a case study in the Amazon Basin. Society & Natural Resources 33 (4):538-553.

International Energy Agency. 2022. The Role of Critical Minerals in Clean Energy

Transitions. In World Energy Outlook Special Report, 287.

Iswantoro, I. 2021. Strategy and Management of Dispute Resolution, Land Conflicts at the Land Office of Sleman Regency. Journal of Human Rights, Culture and Legal System 1 (1).

Magnani, N., M. Maretti, R. Salvatore, and I. Scotti. 2017. Ecopreneurs, rural development and alternative socio-technical arrangements for community renewable energy. Journal of Rural Studies 52:33-41.

Martínez-Mendoza, E., L. A. Rivas-Tovar, E. Fernández-Echeverría, and G. Fernández-Lambert. 2020. Social impact of wind energy in the Isthmus of Tehuantepec, Mexico, using Likert-fuzzy. Energy Strategy Reviews 32:100567.

Das könnte Sie auch interessieren