Wie Klimawandel Migration im ländlichen Raum beeinflusst
Eine gigantische klimabedingte Flüchtlingswelle in Richtung Europa ist eher unrealistisch. Aber unter Milliarden Landbewohnern sind Kleinbauern besonders anfällig für Klimaschäden – obwohl sie schon viel zur Anpassung tun.
Die Auswirkungen der Klimakrise sind längst auch in Deutschland deutlich spürbar. Hitzewellen und Dürre sind so etwas wie ein neuer Normalzustand des mitteleuropäischen Sommers geworden. Heftige Starkregenereignisse und daraus resultierende Überschwemmungen mit zum Teil katastrophalen Folgen häufen sich ebenso. Die Sorge vor den verheerenden Konsequenzen der Klimakrise ist aber bei vielen Menschen im globalen Norden nicht nur in den sichtbaren Klimafolgen vor der eigenen Haustüre begründet. Ebenso wird ein gigantischer Ansturm von „Klimaflüchtlingen“ befürchtet, die aufgrund von Dürren, Wirbelstürmen oder Wassermangel aus Afrika oder Teilen Asiens in Richtung Europa fliehen.
Bereits in den 1990er Jahren diagnostizierte der Oxford-Professor und Biodiversitätsexperte Norman Myers, dass die Welt bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts mit 200 Millionen „Klimaflüchtlingen“ rechnen müsse. Die Angst vor der klimabedingten Mega-Welle von Migranten taucht seitdem immer wieder in den Medien auf. Entsprechende Schlagzeilen lauten dann etwa „Klimaflüchtlinge – Millionen Menschen verlassen ihre Heimat“ oder „Treibt der Klimawandel ganze Völker des Südens zur Flucht nach Norden?“.
Aber auch Umwelt- oder Hilfsorganisationen bedienten sich lange alarmistischer Narrative beim Thema Klimawandel und Migration und sprachen in dem Zusammenhang etwa von einer „verleugneten Katastrophe“. Freilich in der Absicht, für mehr Klimaschutz oder eine bessere Unterstützung der Länder des globalen Südens zu werben. Aber was wissen wir über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration? Und welche Bedeutung hat dieser Zusammenhang für ländliche Räume?
„Klimamigration“: Was wir wissen
Seit den 2000er Jahren hat sich die Forschung zum Thema „Klimamigration“ deutlich intensiviert. Die Ergebnisse zahlreicher Forschungsprojekte und Studien zu dem Thema kommen zu differenzierten Schlüssen. So sind Migrations- und Fluchtprozesse selbst in Ländern und Regionen, die bereits stark von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind, unverändert stark von nicht-ökologischen Faktoren beeinflusst. Generell sind es eben nicht nur Überschwemmungen, Dürren, oder andere Klimafolgen, sondern in den allermeisten Fällen Kombinationen politischer, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Faktoren, die maßgeblich auf Mobilitätsentscheidungen einwirken. Flucht und Vertreibung werden weltweit an erster Stelle von bewaffneten Konflikten verursacht.
Flucht und Migration im Kontext des Klimawandels spielen sich zudem vorwiegend innerhalb betroffener Länder und Regionen ab. Dieser Umstand hängt mit der Armut der Hauptbetroffenen der Klimakrise im globalen Süden zusammen. Denn es sind vor allem kleinbäuerliche Familien, Viehnomaden oder Menschen, die sich in den Städten im informellen Sektor verdingen, die von den Folgen der globalen Erwärmung besonders in Mitleidenschaft gezogen werden. Diesen Bevölkerungsgruppen fehlen gemeinhin die finanziellen und andere Mittel, um über größere Distanzen hinweg zu migrieren. So bleibt vielen nur die landesintere Migration oder der Gang in ein Nachbarland.
Dies geschieht dann zumeist nicht in Form von permanenter Migration. Vielmehr dominieren Formen von zirkulärer Migration – Wanderungen also, bei denen ein mehrfacher Wechsel zwischen zwei oder sogar mehreren Ländern oder Regionen vollzogen wird. Saisonale Migration – etwa während Trockenzeiten, wo in einigen agroökologischen Zonen kein Regenfeldbau betrieben werden kann – ist bis heute im kleinbäuerlichen Kontext beliebt. Wird bei diesen Migrationstrips Geld verdient und dazu genutzt, entstandene Schäden und Verluste aus Klimafolgen zu kompensieren, dann kann dies durchaus eine Bewältigungs-, wenn nicht gar eine Anpassungsstrategie darstellen. Migration im Kontext des Klimawandels hat somit durchaus positives Potential.
Auf der anderen Seite hat ein Teil der Menschen, die schon heute stark mit den Konsequenzen klimatischen Wandels zu kämpfen haben, gar nicht die Mittel, überhaupt irgendwohin zu migrieren – noch nicht einmal in die nächstgrößere Stadt. Diese Menschen sind gezwungenermaßen immobil und in vielen Fällen größeren Klimafolgen ausgesetzt als diejenigen, die mobil sein können. In Teilen der wissenschaftlichen Literatur spricht man hier von "trapped populations".
Begriffe, Definitionen und Prognosen
Aus diesen Erkenntnissen folgt, dass eine gigantische klimabedingte Flüchtlingswelle in Richtung Europa oder Nordamerika in absehbarer Zeit eher unrealistisch ist. Die Komplexität der Wirkungen der Klimakrise auf Mobilitätprozesse ist ein wesentlicher Grund dafür, dass es keine allgemein akzeptierte Definition für solche Begriffe wie „Klimaflüchtling“ oder „Klimamigration“ gibt – weder im wissenschaftlichen noch im rechtlichen oder im politischen Kontext.
Prognosen aus den 1990er oder 2000er Jahren, wie viele Millionen Menschen aufgrund von Klimafolgen etwa bis Mitte des 21. Jahrhundert ihre Heimat werden verlassen haben, sollten heute aufgrund allzu vereinfachter Annahmen keine Berücksichtigung mehr finden. Dazu zählen nicht nur die eingangs erwähnte Prognose von Norman Myers, sondern auch andere Zahlenspiele, welche teilweise in den Milliardenbereich gehen. Seriöser sind hier die Angaben des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC), das regelmäßig Zahlen und Analysen über Binnenvertreibung weltweit veröffentlicht.
Seit einigen Jahren publiziert das IDMC so auch Zahlen zu katastrophenbedingter Vertreibung, wobei besagte Katastrophen – wie zum Beispiel Erdbeben – offenkundig nicht alle in einem Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen. Im Jahr 2022 wurden demnach über 32 Millionen Menschen weltweit durch Katastrophen vertrieben. Diese Zahlen schwanken stark: Im Jahr 2021 waren es knapp 24 Millionen und im Jahr davor rund 31 Millionen. Diese Angaben sind jedoch keine amtlichen Statistiken, sondern eher Schätzungen. Zudem kehren viele der Katastrophenvertriebenen nach einer gewissen Zeit wieder in Ihre Heimatorte zurück.
Mittlerweile gibt es neue Ansätze, Migration im Kontext des Klimawandels zu modellieren und entsprechende Prognosen zu erstellen. Ein Beispiel für einen solchen Ansatz sind die Groundswell-Berichte der Weltbank, die in den Jahren 2018 und 2021 veröffentlicht wurden. Die Berichte basieren auf einem Modell, bei dem demographische, sozioökonomische und Klimadaten für verschiedene Weltregionen genutzt werden, um wahrscheinliche Migrationsbewegungen innerhalb von Ländern im Zusammenhang mit Klimafolgen zu berechnen. Eine wichtige Grundlage dieses Modells waren Erkenntnisse von historischen Klimaauswirkungen auf die Bevölkerungsverteilungen.
Beim ungünstigsten Szenario von Klimawandel bzw. Emissionen kommt die Modellierung auf eine Zahl von 216 Millionen Menschen, die im Jahr 2050 – wohlgemerkt landesintern – migrieren müssten. In diesem Szenario sind Subsahara-Afrika (86 Millionen), Ostasien und die Pazifikregion (49 Millionen) und Südasien (40 Millionen) besonders betroffen. Diese Größenordnung ist allerdings keine Zukunftsprognose. Denn das Groundswell-Modell sowie andere neuere Methoden haben Schwachstellen, darunter das große Problem, plötzlich auftretende Ereignisse wie Kriege von globaler Tragweite adäquat in ihre Berechnung einzubeziehen. Im Kern erstellen die Modelle Szenarien, also Abbildungen einer möglichen oder denkbaren Realität der Zukunft, die abhängig sind von ganz unterschiedlichen, aber prinzipiell möglichen Entwicklungspfaden (wie der Entwicklung von Treibhausgasemissionen). Vieles bleibt im vagen.
Klimawandel, Urbanisierung und ländliche Bevölkerungen
Die Folgen der Klimakrise – inklusive Migrationsbewegungen – werden aber künftig nicht zuletzt ländliche Räume treffen. Zwar gehen die Vereinten Nationen davon aus, dass bereits seit gut 15 Jahren weltweit mehr Menschen in Städten als in ländlichen Gebieten leben. Dieser Urbanisierungstrend wird in den nächsten Jahrzehnten sicherlich anhalten. Allerdings werden nach Angaben der Vereinten Nationen im Jahr 2050 immer noch um die drei Milliarden Menschen in ländlichen Räumen leben, was dann immerhin noch etwa einem Drittel der Weltbevölkerung entspräche. Ein Großteil der weltweiten Landbevölkerung wird dabei in den Least Developed Countries (LDCs) leben. Im Gegensatz zum Welttrend und den einzelnen Weltregionen wird in den LDCs die ländliche Bevölkerung zumindest in absoluten Zahlen sogar noch anwachsen. Gerade auf dem afrikanischen Kontinent wird dieses Wachstum der Landbevölkerung wohl noch länger zu beobachten sein.
Zugleich steht fest, dass die (kleinbäuerliche) Landwirtschaft auch in den nächsten Jahrzehnten von großer Bedeutung für gerade diese Menschen sein wird. Die landwirtschaftliche Produktion ist allerdings besonders anfällig für den Klimawandel und auch schon heute von seinen negativen Auswirkungen spürbar betroffen. Die globale Agrarproduktion steht unter gewaltigem Druck, sich anzupassen bzw. ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber den Klimafolgen zu erhöhen. Aber auch kleinbäuerliche Familien investieren schon massiv: Nach einer Hochrechnung basierend auf Umfragen bei 1.800 kleinbäuerlichen Land- und Forstwirten in 13 Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas stecken sie jährlich schätzungsweise 368 Mrd. Dollar rund um den Globus in Klimaanpassungsmaßnahmen.
Die Auswirkungen der Klimakrise treffen dabei in den Entwicklungsländern nicht auf eine amorphe Masse von kleinbäuerlich geprägten Landbevölkerungen, die kaum voneinander zu unterscheiden wären. Ganz im Gegenteil, die Unterschiede sind groß: Etliche kleinbäuerliche Betriebe betreiben ihre Höfe als Unternehmen und sind neben der kommerziellen Landwirtschaft nicht selten in außerlandwirtschaftlichen Tätigkeiten engagiert. Sie profitieren nicht nur von einer Nähe zu städtischen Märkten und relativ guter Infrastruktur, sie können auch investieren. Der Klimawandel schafft für diese Gruppe sowohl Herausforderungen als auch Chancen.
Eine Gruppe kleinbäuerlicher Betriebe in „Transition“ sind dagegen in höherem Maße von außerlandwirtschaftlichen Tätigkeiten abhängig und bewirtschaften zugleich Parzellen für den Eigenbedarf, oder bauen zusätzlich Produkte für den Markt an. Insbesondere der Zugang zu Märkten und die Unsicherheiten lokaler Arbeitsmärkte sind hier maßgeblich für die Entscheidung, ob und inwieweit sie ihre Betriebe kommerzialisieren und ihre Produktion an den Klimawandel anpassen können. Subsistenzorientierte kleinbäuerliche Familien, Landarbeiter und Landlose sind marginalisiert, zumal sie oft in entlegenen Gebieten mit begrenztem landwirtschaftlichem Potenzial leben.
„Klimamigration“ und ländliche Räume: der Komplexität gerecht werden
Wie bereits betont: Es fehlen gesicherte Statistiken und Prognosen, aber es ist davon auszugehen, dass die verschiedenen (klimawandelbezogenen) Mobilitätsformen für diese unterschiedlichen Gruppen unterschiedlich zum Tragen kommen (werden). Zirkuläre Migration und ihr insgesamt eher positives Potential etwa hat gerade für die zweite o.g. Gruppe eine besondere Bedeutung, während die dritte und stark marginalisierte Gruppe von erzwungener Immobilität deutlich stärker bedroht ist als die anderen Gruppen. Vertreibung im Kontext von Katastrophen auf der anderen Seite kann auch Angehörige der ersten Gruppen treffen.
Insgesamt muss es für politische Entscheidungsträger darum gehen, den hochkomplexen und vor allem sehr unterschiedlichen Wirkungen und Wechselwirkungen des Klima-Mobilitäts-Nexus gerecht zu werden. Die Ziele müssen dabei lauten:
- Eine Verhinderung von Zwangsmigration (soweit dies möglich ist),
- eine Förderung oder Verstärkung des positiven Potenzials von Migration
- und die Sicherung menschenwürdiger Lebensbedingungen für Migrierende, ihre Familien und vulnerable bzw. marginalisierte Bevölkerungsgruppen im Allgemeinen.
Das sind riesige Aufgaben, die nur bewältigt werden können, wenn verschiedene Politikfelder zusammenwirken. Die hier beschriebenen Probleme und Herausforderungen können nicht als reine Aufgabe der Bereiche ländliche Entwicklung und Landwirtschaft verstanden werden. Vielmehr ist es eine Querschnittsaufgabe für die Politikfelder Umwelt, Klima, Stadtentwicklung, Migration, Flucht und andere mehr. Mit dem muss aber die Grundeinstellung einhergehen, dass Migration weder pauschal ein Problem ist noch pauschal Probleme lösen kann.
Dr. Benjamin Schraven berät als Migrationsexperte unter anderem die Europäische Union, die Vereinten Nationen und die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Fragen zu Flucht und Migration. Daneben ist er Associate Fellow des German Institute of Development and Sustainability (IDOS) sowie des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn.