Zur Hauptnavigation springen Zur Suche springen Zum Seiteninhalt springen Zum Footer springen

  • Wirtschaft & Menschenrechte
  • 04/2024
  • Dr. Michael Ehis Odijie
Schwerpunkt

Trotz Preisexplosion: Darum ist Kakao noch viel zu billig

Produzenten in Afrika betrachten die neuen ethischen und ökologischen Ansprüche europäischer Lieferketten mit Skepsis. Denn Nachhaltigkeit hat ihren Preis.

Von Hand geerntet: Afrika liegt bei der Produktion von Kakao an der Spitze. © agri4africa.com

Innerhalb der europäischen Lieferketten gibt es zahlreiche Herausforderungen, die sich grob in Menschenrechtsfragen und Umweltbelange unterteilen lassen. Je nach Lieferkette können die Menschenrechtsprobleme sehr unterschiedlich sein. Dazu gehören unter anderem Ausbeutung wie Kinderarbeit, Zwangsarbeit und schlechte Arbeitsbedingungen. Umweltprobleme können Abholzung, Ressourcenerschöpfung und vieles mehr umfassen.

Der Kakaoanbau ist ein gutes Beispiel für diese Problematik. Die Europäische Union bezieht den Großteil ihrer Kakaobohnen aus Westafrika, wo Menschenrechts- und Umweltprobleme am Ausgangspunkt weit verbreitet sind. Aus Ghana und der Elfenbeinküste, den beiden größten Kakaoproduzenten, sowie aus Nigeria, einem weiteren Herkunftsland für die EU, sind Berichte über Kinderarbeit in der Kakaoproduktion bekannt geworden(1). Menschenhandel und Kinderversklavung sind eine weitere große Herausforderung im Kakaoanbau (2). Aus ökologischer Sicht ist der Kakaoanbau eine der Hauptursachen für die Abholzung von Wäldern in diesen Ländern, was zu zahlreichen lokalen und regionalen Verwerfungen führt(3).

Vor einiger Zeit hat die Europäische Union mit der Ausarbeitung eines Gesetzes über die Lieferketten begonnen, das sicherstellen soll, dass in Europa eingeführte Produkte frei von Menschenrechtsverletzungen bei ihrer Herstellung sind und die Umwelt nicht über Gebühr strapazieren. Dieses Gesetz, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), zielt darauf ab, Unternehmen für jeglichen Schaden, den sie Menschen und Umwelt zufügen, zur Verantwortung zu ziehen.  Die CSDDD enthält Anforderungen an Unternehmen, die auf dem EU-Markt tätig sind, damit sie in ihrer gesamten Wertschöpfungskette die Menschenrechte und die Umwelt mit der gebotenen Sorgfalt prüfen.

Was Kakao betrifft, so soll die Richtlinie sicherstellen, dass in die EU importierte Kakaobohnen nicht mit Abholzung oder Kinderarbeit in Verbindung stehen. Die Kakao-produzierenden Länder oder Regionen werden mittels eines Benchmarking-Verfahrens je nach dem Ausmaß und dem Risiko von Abholzung in Kategorien eingeteilt. Unternehmen, die Kakao aus Gebieten beziehen, die als risikoreich eingestuft werden, sind künftig verpflichtet, höhere Sorgfaltspflichten zu erfüllen als Unternehmen, die Kakao aus Gebieten in der risikoarmen Stufe einführen.

Bei Kleinbauern und anderen Betroffenen aus dem Globalen Süden stößt diese EU-Richtlinie jedoch auf Skepsis. Sie geht aus ihrer Sicht nicht angemessen auf ihre Bedenken ein.

Warum wirtschaften Kakaobauern nicht nachhaltig?

Die Bauern praktizieren keine nachhaltigen Anbaumethoden, weil der Preis, den sie für ihren Kakao erhalten, die Kosten dafür nicht decken würde. Um Lohnarbeiter zu beschäftigen (im Gegensatz zu Kinderarbeitern), Kakao ohne Abholzung anzubauen und trotzdem ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen, müssten die Bauern deutlich mehr verdienen als ihr derzeitiges Einkommen.

Aus meinen Gesprächen mit Kakaobauern geht hervor, dass es einen klaren Zusammenhang gibt zwischen dem Preis, den sie für ihre Produkte erhalten, und ihren Möglichkeiten, Lohnarbeiter einzustellen. Wenn die Preise relativ hoch sind, setzen sie Lohnarbeiter ein; wenn die Preise jedoch fallen, greifen sie auf günstigere Arbeitsquellen zurück, angefangen bei der Familienarbeit (manchmal nehmen sie sogar ihre Kinder aus der Schule, um auf der Farm zu helfen), über die erweiterte Familienarbeit bis hin zu Kinderarbeit und anderen Formen der Arbeitsausbeutung. Eine Studie von Jeff Luckstead und seinen Kollegen aus dem Jahr 2019 schätzte den Kostenanreiz, der zur Abschaffung der Kinderarbeit im ghanaischen Kakaoanbau erforderlich wäre, und kam zu dem Schluss, dass die Landwirte einen Aufschlag von 56,27 Prozent verdienen müssten, um alle Formen der Kinderarbeit abzuschaffen (4).

Farmer in Ghana müssten einen Aufschlag von 56 Prozent verdienen, um alle Formen der Kinderarbeit abzuschaffen.

Michael Ehis Odijie University College London

In ähnlicher Weise lassen sich die Kosten für den Übergang zu einem abholzungsfreien Kakaoanbau in Westafrika berechnen. Untersuchungen haben gezeigt, dass Anbaumethoden wie Brandrodung, die einer Abholzung gleichkommen, trotz ihrer Umweltauswirkungen die Kosten für die Bauern senken und kurzfristige Vorteile eröffnen (5). Die Umstellung auf entwaldungsfreien Kakao oder Agroforstwirtschaft, die ökologisch nachhaltig ist, verursacht also zusätzliche Kosten.

Die Kakaobauern sind sich der Problematik durchaus bewusst. Anders als es einige in der Schokoladenindustrie glauben machen möchten, benötigen sie mehr als nur eine Fortbildung oder Schulung in guten landwirtschaftlichen Praktiken. Das Hauptbedürfnis der Kakaobauern besteht darin, ausreichend bezahlt zu werden, damit sie Lohnarbeiter einstellen, entwaldungsfreie Anbaumethoden anwenden und trotzdem ein existenzsicherndes Einkommen erzielen. Die industrielle Nachfrage nach billigem Kakao und mangelnde Bereitschaft, faire Preise zu zahlen, zwingt die Bauern jedoch dazu, auf Kinderarbeit zurückzugreifen.

So berichtete Kpomin Minrienne Kole Edi, eine Kakaobäuerin aus der Elfenbeinküste, dass sich ihre Kooperative für nachhaltige Methoden (ohne Kinderarbeit und Abholzung) entschieden hatte. Doch blieben große Mengen unverkauften Kakaos übrig, weil die Händler den nachhaltig produzierten Kakao nur zögerlich kauften, da er in der Herstellung teurer war. Trotz vorheriger Abnahmevereinbarungen mit Händlern, auf die sich erhebliche Investitionen in nachhaltige Anbaumethoden stützten, blieb ihrer Genossenschaft am Ende keine Wahl, als ihr Produkt als konventionellen Kakao zu einem niedrigeren Preis zu verkaufen – möglicherweise unter den Herstellungskosten (6).

Arbeiter in Ghana spalten Kakaofrüchte. © Dr. Richard Asare (IITA-Ghana) https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/

In der konventionellen Kakaoindustrie arbeiten etwa 2,1 Millionen Kinder auf Farmen in der Elfenbeinküste und in Ghana. Viele von ihnen sind den schlimmsten Formen der Kinderarbeit ausgesetzt, obgleich diese Zahl sinkt, wenn die Erzeugerpreise relativ steigen. Dann können sich Landwirte reguläre Arbeitskräfte leisten. Im Grunde genommen subventionieren die Kinder die Schokoladenprodukte in Europa; Schokolade ist viel zu billig, wenn man die damit verbundenen menschlichen und ökologischen Kosten bedenkt. Jegliche Diskussion über den Übergang zu Lieferketten, die Menschenrechts- und Umweltstandards respektieren, sollte sich auf die wahren Kosten der Kakaoproduktion unter nachhaltigen Bedingungen besinnen – und die Unfähigkeit des Marktes im Blick haben, diese Kosten zu decken.

Was sollte in das EU-Lieferkettengesetz aufgenommen werden?

Das neue EU-Lieferkettengesetz geht nicht auf die Kosten einer nachhaltigen Produktion für Kleinbauern ein. Die Richtlinie könnte durchaus Bestimmungen für ein existenzsicherndes Einkommen und die Kosten einer nachhaltigen Produktion aufnehmen. So wie sie Unternehmen verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihre Produkte frei von Kinderarbeit und Abholzung sind, könnte sie auch vorschreiben, dass den Landwirten, die den Rohstoff angebaut haben, ein existenzsicherndes Einkommen bleibt und die Kosten einer nachhaltige Produktion decken.

Dagegen ist es nicht nachhaltig, das Einkommen der Landwirte allein dem Markt zu überlassen, wenn der sich nur nach einseitigen Bestimmungen richtet. Die Tatsache, dass die EU die Kosten nachhaltiger Praktiken vernachlässigt, ist ein wesentlicher Grund, warum lokale Forscher und Landwirte das Gesetz skeptisch betrachten.

Es ist zu befürchten, dass sich die CSDDD zu einem weiteren Kapitel von Greenwashing entwickeln könnte. Doch das wird sich erst in der Zukunft zeigen. Zudem ist zu prüfen, inwiefern die endgültige CSDDD Berichten zufolge bei der Schlussabstimmung im Ministerrat im Vergleich zum ursprünglichen Vorschlag verwässert wurde.

Afrika muss pro-aktiver handeln

Das unmittelbare Verständnis für Probleme und ihre Auswirkungen innerhalb der Kakao-Wertschöpfungskette ist auf lokaler Ebene am besten ausgeprägt. Dort sind nachteilige Effekte direkt und akut spürbar. Daher führen Gesprächsverläufe mit Kakaobauern über Kinderarbeit, Menschenhandel und Abholzung der Wälder häufig zum Thema der Preise und Produktionskosten.

Die Regierungen von Ghana und Elfenbeinküste tragen eine Mitverantwortung für diese Probleme, vor allem aufgrund der Abhängigkeit der Länder von den Rohstoffen als Devisenbringer. Im Zuge dieser Abhängigkeit haben die Regierenden Kontrollmechanismen eingerichtet, wie das Ghana Cocoa Board, um sicherzustellen, dass die Kleinbauern weiter wirtschaften, auch wenn die Bedingungen sich verschlechtern. Trotzdem sind Lösungen für Menschenrechts- und Umweltprobleme vor Ort vorstellbar.

Der derzeitige Rückgang der Kakaoproduktion, der sich möglicherweise im Nachhinein auch als  Segen erweisen wird, und der anschließende Preisanstieg der Kakaobohnen bieten eine hervorragende Gelegenheit, die strukturellen Probleme der Kakaoindustrie anzugehen. Beide Regierungen erkunden derzeit diesen Weg. Es ist zu empfehlen, die realen Kosten der Kakaoproduktion mit Lohnarbeit so zu berechnen, dass die Abholzung der Wälder verhindert und den Bauern ein nachhaltiges Einkommen gesichert wird. Dann sollte ein Mindestpreis festgelegt werden, der über diesen Kosten liegt.

Ist "Fairmade" die Zukunft?

Ein weiteres dringendes Problem, das in Afrika viel pro-aktiver angegangen werden muss, ist die lokale Verarbeitung von Kakao. Der Großteil der in Westafrika produzierten Kakaobohnen wird in ihrer Rohform exportiert, so dass die wirtschaftlichen Zugewinne aus einer Verarbeitung zu Fertigprodukten wie Schokolade unerreicht bleiben. Diese Situation ist auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen: beträchtliche Anfangsinvestitionen, die für Verarbeitungsanlagen erforderlich sind, begrenzter Zugang zu Kapital, fehlendes technisches Know-how und ein unzureichend großer lokaler Markt.

Darüber hinaus begünstigen die Dynamik des Weltmarkts und Handelsschranken häufig den Export von Rohkakao gegenüber verarbeiteten Kakaobohnen. Lokale Verarbeitungsinitiativen werden dadurch nicht begünstigt. Die Förderung lokaler Wertschöpfung könnte es Anbauländern jedoch ermöglichen, mehr wirtschaftliche Erträge im eigenen Land zu halten.

Das sich entwickelnde Konzept "Fairmade", das die Herstellung von Schokolade im Ursprungsland zum Nutzen der lokalen Gemeinschaften in den Vordergrund stellt, könnte die Zukunft einer nachhaltigen Industrie darstellen. Es gibt keinen triftigen Grund, warum Schokolade nicht vor Ort produziert werden könnte, wovon die Bauern direkt profitieren, und dann auf die Märkte in Europa und Amerika exportiert wird. Einige kleinere europäische Erzeuger tun dies bereits.

Dr. Michael Ehis Odijie University College London (UCL)

Fußnoten:

 (1) Sadhu, Shanto, et al. Assessing Progress in Reducing Child Labor in Cocoa Production in Cocoa Growing Areas of Côte d’Ivoire and Ghana. NORC at the University of Chicago, foodispower.org/wp-content/uploads/2020/12/CONFIDENTIAL_NORC-2018-19-Cocoa-Report-DRAFT_English-3.pdf.

 (2) Michael Odijie,  "Cocoa and child slavery in West Africa." In Oxford Research Encyclopedia of African History. 2020.

 (3) Global Forest Watch (2024) Ending Deforestation from Cocoa in West Africa with New Data-Driven Resources www.globalforestwatch.org/blog/data/data-resources-ending-deforestation-cocoa-west-africa/

 (4) Jeff Luckstead,, Francis Tsiboe, and Lawton L. Nalley. "Estimating the economic incentives necessary for eliminating child labor in Ghanaian cocoa production." PloS one 14, no. 6 (2019): e0217230.

 (5)  Ruf, François, and Goetz Schroth. "Chocolate forests and monocultures: a historical review of cocoa growing and its conflicting role in tropical deforestation and forest conservation." Agroforestry and biodiversity conservation in tropical landscapes 6 (2004): 107-134.

 (6)  Catarina Vieira, Elena Lunder, Fanny Gauttier and Meri Hyrske-Fischer  (2023) Smallholders from global south take the stage for inclusive CSDDD. www.euractiv.com/section/agriculture-food/opinion/smallholders-from-global-south-take-the-stage-for-inclusive-csddd/

Das könnte Sie auch interessieren