Zur Hauptnavigation springen Zur Suche springen Zum Seiteninhalt springen Zum Footer springen

  • Wirtschaft & Menschenrechte
  • 04/2024
  • Tina Schneider
Schwerpunkt

Lieferketten: mit Transparenz und Rückverfolgung die Zerstörung der Wälder stoppen

Noch mangelt es an allgemeiner Akzeptanz. Aber nachhaltige Beschaffung erfordert eine noch nie dagewesene Zusammenarbeit zwischen höchst unterschiedlichen Akteuren – und Pilotprojekte, die System werden.

Rückverfolgbarkeit ist möglich: Aufgereihte Baumstämme mit Markierungen und Barcode-Labeln im Sägewerk ICC in Liberia. © Maite Knorr-Evans, World Resources Institute

Die Datenlage ist eindeutig: Für nahezu 90 Prozent der weltweiten Waldzerstörung ist die Ausweitung der Landwirtschaft verantwortlich. Der steigenden Nachfrage nach Rohstoffen wie Kaffee, Kakao, Rindfleisch, Soja, Palmöl und Holz fallen immer mehr Wälder in den Tropen zum Opfer. Um besser zu verstehen, was genau den Waldverlust verursacht, müssen wir den Weg der Produkte von der Ernte bis zum Verkauf effizienter überwachen – also Lieferketten transparenter machen und die Herkunft der Waren besser zurückverfolgen.

Die internationale Gemeinschaft erkennt inzwischen an, dass es dringend notwendig ist, die Rodung der Wälder zu stoppen und dabei die treibende Rolle der Landwirtschaft zu berücksichtigen. So sind in einigen Märkten und Ländern der Verkauf oder die Einfuhr von Produkten verboten, die von abgeholzten Flächen stammen. Außerdem haben Hunderte von Konsumgüterunternehmen sich verpflichtet, keine Produkte zu beziehen, die zur Abholzung beitragen. Diese Schritte sind dringend erforderlich, denn noch mangelt es an einer allgemeinen Akzeptanz von Rückverfolgung und Transparenz in den Lieferketten.

Moderne Lieferketten sind komplex und oft undurchsichtig

Unternehmen müssen die Herkunft eines Produkts genau kennen, um beurteilen zu können, ob sie zur Entwaldung beitragen. Dies ist keine leichte Aufgabe, da die modernen Lieferketten komplex und vielfach undurchsichtig sind.

Das Beispiel eines einfachen Schokoladenriegels zeigt die Herausforderung: Sein Hauptbestandteil ist Kakao, ein Rohstoff, der mehrfach den Besitzer und die Grenzen wechselt, bevor er schließlich beim Verbraucher ankommt. Kleinbauern in Westafrika produzieren den größten Teil des weltweiten Kakaos und exportieren ihn hauptsächlich nach Europa. Dort wird er zu Schokolade verarbeitet und dann in die ganze Welt verkauft. Hunderte, ja oft sogar Tausende von Akteuren sind an dieser komplexen globalen Lieferkette beteiligt. Ein multinationales Unternehmen wie Unilever beispielsweise bezieht Rohstoffe von bis zu 52.000 Lieferanten.

Je nach politischem Willen der Regierungen verschieben sich die Grenzen des Waldverlustes: Den bemerkenswerten Rückgängen in Brasilien und Kolumbien steht ein starker Anstieg des Waldverlustes in Bolivien, Laos und Nicaragua gegenüber. In anderen Ländern ist ein geringerer Anstieg zu verzeichnen. © WRI

Informationen über die Herkunft von Produkten mögen existieren, doch oft stehen sie nicht allen zur Verfügung, die für die Bekämpfung der Entwaldung verantwortlich sind. Dabei benötigen Einzelhändler und Investoren für ihre Kauf- und Investitionsentscheidungen dringend Zugang zu diesen Daten. Regierungen und die Zivilgesellschaft sind zudem auf transparente Lieferketten angewiesen, um prüfen zu können, ob Unternehmen politische Richtlinien beachten und gemachte Zusagen einhalten.

Zwar haben sich einzelne Firmen und Plattformen mittlerweile dazu verpflichtet, Lieferketten ohne Waldzerstörung zu schaffen. Aber nur 36 Prozent der größten Unternehmen weltweit erkennen solche Ziele an, und es mangelt an einer systematischen Überwachung der erzielten Fortschritte. Viele Bemühungen konzentrieren sich noch zu sehr nur auf einzelne Lieferketten und kleine Pilotprojekte. Deshalb werden dringend mehr Mittel und Personal benötigt, um die von den Regierungen eingegangenen Verpflichtungen zur Eindämmung der Waldzerstörung zu erfüllen.

Einheitliche Standards für Datenaustausch – Kleinbauern nicht benachteiligen

Eine breite Palette von Instrumenten zeigt, dass Rückverfolgbarkeit und Transparenz in Lieferketten trotz komplexer Herausforderungen machbar sind. Ein neuer Bericht des World Resources Institute (WRI) zeigt auf, was wir von erfolgreichen Projekten lernen können. Damit Unternehmen und andere die Abholzung in Lieferketten wirksam zurückverfolgen können, müssen die Instrumente und Initiativen vier wichtige Voraussetzungen erfüllen.

1. Interessengruppen abstimmen, Datenaustausch harmonisieren und standardisieren

Einheitliche Projektziele und Datensätze sind entscheidend, da unterschiedliche Definitionen und Messdaten den Aufbau von Kooperationssystemen erschweren oder sogar unmöglich machen. Akteure der Lieferketten müssen eng zusammen arbeiten – einschließlich der Regierungen der produzierenden und -exportierenden Länder von Rohstoffen und Gütern, der Unternehmen und der zivilgesellschaftlichen Organisationen – um sicherzustellen, dass Daten gemeinsam genutzt und in verschiedenen Systemen zurückverfolgt werden können. Es braucht einheitliche Definitionen, standardisierte Formate für die Datenmeldung sowie Strategien für die gemeinsame Datennutzung, unter Berücksichtigung ethischer, rechtlicher, kommerzieller und technischer Aspekte.

Die von der US-Regierung finanzierte Forest Data Partnership, ein vom WRI geleitetes Konsortium, harmonisiert Daten aus verschiedenen Quellen mithilfe von maschinellem Lernen, um den Akteuren der Lieferkette hochwertige Landnutzungsdaten zur Verfügung zu stellen. In ähnlicher Weise arbeitet die von der GIZ geleitete Digital Integration of Agricultural Supply Chains Alliance (DIASCA)daran, Rückverfolgbarkeitssysteme in globalen landwirtschaftlichen Lieferketten in die Lage zu versetzen, Daten auszutauschen, indem sie gemeinsame optimale Verfahren entwickelt. 

2. Ein förderliches regulatorisches Umfeld

Gesetzliche Regeln für Datenmeldungen oder Standards für entwaldungsfreie Produkte sind unerlässlich. Sorgfaltspflichten und verbindliche Standards für Berichterstattung, die Regierungsbehörden von Unternehmen und Finanzinstituten verlangen, sind wirksame Mittel, um mehr Offenlegung und damit eine größere Rückverfolgbarkeit und Transparenz zu erreichen. Dies gilt insbesondere dort, wo die Berichterstattung bislang nur freiwillig ist.

Großbritannien ist eine der wichtigsten Volkswirtschaften, die für börsennotierte Unternehmen die Offenlegung von Klimadaten verbindlich vorschreibt und dabei die Standards der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) anwendet. Deren Leitlinien für Unternehmen der Land-, Lebensmittel- und Forstwirtschaft sehen vor, dass sie Schlüsseldaten zu den Auswirkungen von Landnutzungsänderungen und den damit verbundenen Treibhausgasemissionen veröffentlichen müssen. Dies hilft Unternehmen und Banken, diese chronischen Risiken bei Investitionen im Blick zu haben.

3. Breit kooperieren, um Doppelarbeit zu vermeiden und Zeit und Investitionen zu sparen

Mit immer mehr Rückverfolgbarkeits- und Transparenzinstrumenten sowie -initiativen steigt auch das Risiko von Doppelarbeit und Überschneidungen. So kann es durchaus geschehen, dass mehrere Unternehmen Daten von den selben Betrieben erheben. Eine enge Zusammenarbeit ist deshalb dringend geboten, um weder Zeit noch Investitionen zu verschwenden, vor allem wenn verschiedene Unternehmen dieselbe Lieferbasis nutzen.

Arbeiter laden Früchte von Ölpalmen zum Transport unweit Bengkulu auf Sumatra. © WRI/ James Anderson

Die Zusammenarbeit zwischen Konkurrenten kann allerdings problematisch sein. So behindert die Vertraulichkeit von Daten oft den Datenaustausch. Es ist jedoch unabdingbar, dass Unternehmen in der Branche sich mit anderen zusammentun, vertrauensbildende Maßnahmen entwickeln und die Nachverfolgbarkeit als gemeinsames Problem in den Griff bekommen.

Wie das funktionieren kann, zeigt ein Beispiel in der Palmölerzeugung. Private Palmölbetriebe haben sich mit Partnern aus der Zivilgesellschaft zusammengetan, um die Universelle Mühlenliste zu erstellen, die rund 2 000 Mühlen in 26 Ländern erfasst. Es ist die erste globale, standardisierte und von Unternehmen akzeptierte Liste von Palmölmühlen. Die Mühlen verarbeiten frische Fruchtbündel von Ölpalmen. Der Standort einer Mühle gibt Aufschluss darüber, woher das Palmöl stammt. Die Liste nutzt ein Standardverfahren, um unterschiedliche Informationen zu vereinheitlichen. Für die Transparenz in der Palmölindustrie ist dies ein großer Fortschritt.

4. Einbindung von Kleinbauern und Investitionen in gerechte Lösungen

Um zu verhindern, dass Kleinbauern beim Übergang zu einer nachhaltigen Rohstoffproduktion benachteiligt werden, ist es geboten, dass sie sich organisieren. Besonders bürokratische Hürden und zusätzliche Berichtspflichten können für sie belastend sein. So führen erhöhte Anforderungen an die Offenlegung im Zusammenhang mit den Sorgfaltspflichten oft zu erhöhten Kosten und Zeitaufwand.

Transparenz: Ein Etikett mit Barcode an einem Baum in Liberia. © Maite Knorr-Evans, World Resources Institute

Manchmal beenden Unternehmen auch einfach die Zusammenarbeit mit Kleinbetrieben, um einfachere und überschaubarere Lieferketten zu schaffen. In anderen Fällen werden Zusatzkosten für Standortdaten sowie Informationen über Risikobewertungen und Landbesitzverhältnisse einfach auf die kleineren Erzeuger abgewälzt. Instrumente für die Rückverfolgung zu entwickeln und zu aktualisieren, oder die Schulung von Mitarbeitern und die Offenlegung von Betriebsdaten kosten ebenfalls Geld, das viele Kleinbetriebe oft nicht haben.

Es ist unerlässlich, diese Kosten gerecht zu verteilen, um zu vermeiden, dass Millionen von Kleinbauern, die unter anderem Kaffee, Kakao, Kautschuk und Palmöl anbauen, unverhältnismäßig hoch belastet werden. Das könnten Preisuntergrenzen oder andere staatliche Kontrollen, Zertifizierungsstandards und Preisgarantien leisten, sowie die Verpflichtung größerer Unternehmen zur Zahlung eines Mindestpreises.

Ein konkretes Beispiel dafür, wie Kleinbauern und Auftraggeber sich wirksam organisieren können, ist die Cocoa & Forests Initiative (CFI). Die Regierungen von Ghana und Côte d'Ivoire sowie große Kakao- und Schokoladenunternehmen haben sich darin zusammengeschlossen, um Abholzungen zu stoppen und Wälder wieder aufzuforsten. Sie haben Kleinbauernbetriebe registriert, die den größten Teil des in Westafrika angebauten Kakaos produzieren, um Zerstörungen in bedrohten Gebiete zu beenden. Die Initiative unterstützt die Landwirte auch dabei, mit Agroforstpraktiken mehr Kakao auf weniger Fläche anzubauen. Sie erzielen damit höhere Erträge und verdienen mehr durch den Anbau anderer Nutzpflanzen wie Holz, Früchte und Nüsse.

Alle Sektoren müssen Verantwortung übernehmen

Lieferketten zu schaffen, die nachhaltig sind und die Waldzerstörung vermeiden, erfordert eine noch nie dagewesene Zusammenarbeit zwischen höchst unterschiedlichen Akteuren. Dabei sind Rückverfolgbarkeit und Transparenz keine Patentrezepte für große Probleme wie Armut, unsichere Landbesitzverhältnisse sowie ungleiche Machtverhältnisse in Lieferketten, die maßgeblich zur Zerstörung von Wäldern beitragen.

Ein besserer Zugang zu Daten und Informationen trägt aber dennoch zu einer optimaleren Entscheidungsfindung in Lieferketten bei und hilft somit, den Verlust von Wäldern zu vermeiden. Die Auswirkungen von Rohstofflieferketten auf die Wälder besser zu überwachen, kann auch für Organisationen der Zivilgesellschaft nützlich sein, um Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen.

Es ist klar, dass jeder Sektor Verantwortung übernehmen muss, um Rückverfolgbarkeit und Transparenz zu verbessern:

Regierungensollten rechtliche Grundlagen für nationale Standards und Kontrollsysteme schaffen. Sie können auch offizielle Daten über Landnutzung, Eigentumsverhältnisse in ländlichen Gebieten und den Handel liefern. Anhand dieser Informationen können Unternehmen dann überprüfen, ob ihre Zulieferer über klare Besitzverhältnisse verfügen.  Behörden können damit die Vergabe von Landkonzessionen in geschützten Waldgebieten verhindern.

Der Privatsektorsollte sicherstellen, dass die Kosten, die den Kleinbauern durch Rückverfolgbarkeit und Transparenz entstehen, gerecht aufgeteilt werden. Unternehmen könnten zum Beispiel Datensysteme entwickeln, die die Interessen von Kleinbauern berücksichtigen und ihnen einen einfachen Zugang zu ihren eigenen Daten ermöglichen.

Organisationen der Zivilgesellschaft sollten technisches Fachwissen zur Verfügung stellen und dafür sorgen, dass die Kosten den Zugang zu Informationen und Plattformen nicht erschweren oder unmöglich machen, insbesondere nicht für benachteiligte Landwirte. Sie sollten dazu beitragen, den Schutz der Privatsphäre zu gewährleisten, um den Datenaustausch zwischen Produzenten zu fördern.

Tina Schneider World Resources Institute (WRI), Washington

Das könnte Sie auch interessieren