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  • Klima & Ressourcen
  • 12/2023
  • Dr. Andrea Beste

Carbon Farming – ein neues Framing für klimafreundliche Landwirtschaft?

Es geht darum, Kohlenstoff aus der Atmosphäre in Ackerböden zu speichern. Aber ist es Aufgabe der Landwirte, Klimagase der Industrie „einzufangen“? Als Klimaretter ist diese CO2-Bindung ungeeignet.

Schwarze Erde in der Ukraine. In Zusammenhang mit Carbon Farming wird Humusaufbau im Ackerbau diskutiert. © <a href= https://bit.ly/41oBmxu Image by pvproductions</a> on Freepik

Im Zuge der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 wurde ein globales Programm zum Humusaufbau gestartet, die 4-Promille-Initiative. Sie sieht eine jährliche Erhöhung der globalen Bodenkohlenstoff-Vorräte um 4 Promille vor. Es wird behauptet, dass anthropogene CO2-Emissionen so nahezu ausgeglichen werden könnten. „Carbon Farming“ heißt daher das neue Schlagwort, das global und EU-weit aktuell heiß diskutiert wird. CO2-Zertifikate für die Landwirtschaft sollen beim Klimaschutz helfen. Doch, was sich theoretisch so wunderbar einfach anhört, hat viele Haken und Ösen und führt in der Debatte leider oft zu Fehleinschätzungen und zu kontraproduktiven politischen „Lösungen“.

Richtig rechnen…!

Einige Fakten vorneweg: Der Löwenanteil der Klimagase in der Atmosphäre entsteht durch den Abbau fossiler Kohlenstoffvorkommen in fester oder gasförmiger Form (Energie für Industrie, Verkehr, Heizung, Kühlung etc.). Laut dem IPCC-Bericht zur Landnutzung und dem Weltagrarbericht (1) ist die Landwirtschaft sowohl ein Treiber des Klimawandels als auch dessen dramatisches Opfer. Und je nach Art des Agrarsystems birgt sie auch ein entscheidendes Minderungspotenzial.

Eine selten diskutierte Tatsache ist, dass der größte Beitrag der Landwirtschaft zum Klimawandel auf die Produktion und den Einsatz von synthetischem Stickstoffdünger zurückzuführen ist (2). Ungefähr 1,2 Prozent des weltweiten Energiebedarfs benötigt die Haber-Bosch-Synthese für die Herstellung von Ammoniak aus dem Luftstickstoff (3). Bei vielen Feldfrüchten sowie Obst- und Gemüsearten entfällt mehr als ein Drittel der in der „modernen“ Landwirtschaft verbrauchten Energie auf die Produktion von Agrochemikalien (Düngemittel und Pestizide) (4).

Doch diese Emissionen tauchen in den meisten Berechnungen und Modellen nicht auf, da sie nicht der Landwirtschaft, sondern dem industriellen Sektor zugerechnet werden. Würde man die Verwendung von Mineraldünger hingegen zurückfahren und zugleich die Stickstofflieferung aus der Luft mittels Leguminosen steigern, wäre mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Treibhausgase schon eingespart und gleichzeitig Humus aufgebaut (5).

Ein weiterer wichtiger Emissionsfaktor sind die hohen Tierbestände. Hier geht es allerdings nicht in erster Linie um das Rind und seine Methanemissionen, sondern um den energie- und emissionsintensiven Anbau von Futtermitteln weltweit für die industrielle Tierproduktion. Dieser stellt eine sehr ineffiziente Form der Proteinversorgung dar, die jedes Maß an sinnvoll genutzter Fläche verloren hat. Diese energieintensiven externen Inputs beinhalten daher völlig andere Größenordnungen der Steuerbarkeit von Treibhausgasen, als der im Zusammenhang mit Carbon Farming meist diskutierte Humusaufbau im Ackerbau.

Drin lassen oder verbuddeln – ein großer Unterschied

Böden können als Kohlenstoff-Quellen (CO2-Emissionen) und/oder als Kohlenstoff-Senken (CO2-Speicherung) wirken. Gegenwärtig speichern die Böden der Welt ca. 1.460 Milliarden Tonnen organischen Kohlenstoff und übertreffen damit die Kohlenstoff-Menge der Atmosphäre um mehr als das Doppelte (6). ABER: Den größten Teil des in Böden gespeicherten Kohlenstoffs (25 Prozent) speichern die Permafrostgebiete mit einem Viertel der Landfläche (Arktis, Antarktis, Alpen) (7). Hier spielt Ackerbau gar keine Rolle. Abgesehen von Böden in Permafrostgebieten enthalten Moore und Grasland den größten Teil des im Boden gespeicherten Kohlenstoffs. Diese Biome zu schützen und das Entwichen des Bodenkohlenstoffs zu verhindern, muss daher bei der Frage „Kohlenstoff in Böden“ erste Priorität haben. Grasland ist neben Wald das größte Biom auf unserem Planeten und bedeckt etwa 40 Prozent der bewachsenen Landfläche (8).

Klimafreundlich: niederländische Kühe auf Weideland. © <a href=https://bit.ly/46U9bHK >Image by wirestock</a>

Doch für den Schutz des Grünlands braucht man Wiederkäuer. Je regelmäßiger es beweidet wird, desto mehr Humus wird aufgebaut. Vor diesem Hintergrund müssen demnach auch die Wiederkäuer anders bewertet werden als nur nach ihrem Methanausstoß, denn auf der Weide sind sie aktive Klimaschützer (9).

Extrem klimarelevant wirken Wechsel der Landnutzung von Systemen, die eher CO2-speichernd sind, zu Systemen, die eher CO2 freisetzen. Dies geschieht insbesondere, wenn Mischwälder gerodet oder Grasländer umgebrochen werden – so wie derzeit in Asien und Lateinamerika mit der Abholzung von Regen- und Trockenwäldern sowie Savannen (Grasland). Verglichen damit sind die Klimaschutz-Potenziale der CO2-Bindung durch Humusaufbau im Ackerbau sehr gering.

C in den Boden um jeden Preis?

Landwirtschaftliche Böden leisten, wenn sie intakt sind, einen substantiellen Beitrag zur Aufrechterhaltung unserer Ökosysteme. Dafür brauchen sie einen hohen Humusgehalt und ein aktives Bodenleben. Allerdings kann es nicht die Aufgabe der Landwirtschaft sein, Treibhausgase, die durch industrielle Produktion verursacht werden, „einzufangen“ und dauerhaft in Böden zu speichern.

Im Gegensatz zu Moorbödeneignen sich Ackerböden nicht als Lagerstätte für stabil eingelagerten Kohlenstoff, denn ein aktives Bodenleben bedeutet Humusaufbau, aber immer auch Um- und Abbau. Gute Bodeneigenschaften und eine gesunde Pflanzenernährung sowie Mittelporen für die Wasserspeicherung und –reinigung können nur mit hoher biologischer Aktivität erzeugt werden. Dabei wird immer auch CO2 freigesetzt. Je stabiler der Kohlenstoff im Boden ist, desto weniger hat das Bodenleben davon (10) und desto weniger Bioporen werden für einen klimaangepassten Wasserhaushalt gebildet.

Pflanzenkohle nicht zielführend

Wenn die Stabilität des in den Boden eingebrachten Kohlenstoffs der Fokus ist, kommen auch Maßnahmen zur Diskussion, die sich nachteilig auf Böden auswirken, wie zum Beispiel der Einsatz von Pflanzenkohle/Biochar. Diese wird in der Regel mit Kompost vermischt in den Boden eingebracht. Die Pflanzenkohle ist angeblich besonders stabil, was allerdings bisher in Feldversuchen nicht bestätigt werden konnte. Um etwa ein Prozent des Treibhausgas-Reduktionsziels für Deutschland 2030 zu erreichen, müsste die gesamte verfügbare Biomasse Deutschlands zu Pflanzenkohle verarbeitet werden (11). Das ist höchst unrealistisch.

Humusaufbau ist ein Ziel der Weltklimakonferenz seit 2015. © Margit Krobath CC BY-SA 2.0 DEED

Für den Boden und das Klima ist es weitaus effektiver, Rest- und Abfallstoffe in Qualitätskompost umzuwandeln, als in einem so genannten Pyrolyse-Verfahren zu Pflanzenkohle. Darüber hinaus gibt es hier ein dauerhaftes Schadstoffpotential, denn es werden in dem Prozess – weitgehend unabhängig von den Ausgangsstoffen – immer polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) gebildet, die krebserregend sind (12). Das hochtechnologisch erzeugte Substrat hat auch entgegen der Werbeversprechen chemisch nichts mit der fruchtbaren schwarzen Terra Preta in Brasilien gemeinsam (13). Es ist also unbedingt davon abzuraten, solche Geoengineering-Techniken mit den auch von der Welternährungsorganisation (FAO) und den Nachhaltigkeitszielen (SDG) der UN geforderten „nature based solutions“ zu verwechseln (14).

Der globale „Biochar“-Markt wurde im Jahr 2022 auf 184,90 Mio. Dollar geschätzt und wird voraussichtlich von 204,69 Mio. Dollar im Jahr 2023 auf 450,58 Mio. Dollar im Jahr 2030 ansteigen (15). Beteiligt sind Unternehmen wie Diacarbon Energy Agri-Tech Producers, Biochar Now, Carbon Gold, Kina, The Biochar Company, Swiss Biochar GmbH, ElementC6, BioChar Products, Black Carbon, Cool Planet und Carbon Terra. Es geht hier schon lange nicht mehr nur um Reststoffe. Inzwischen werden auch Holz (nicht Reststoffe), Mais und Weizen als Rohstoffe verwendet. Doch die Herstellung ist sehr aufwändig und teuer, was "Biokohle" für potenzielle Kunden – vor allem Landwirte – unattraktiv macht. Daher wären Subventionen für das "Carbon Farming" aus Sicht der Unternehmen auf dem Markt ideal. Dementsprechend heftig wird in Brüssel und den Mitgliedstaaten für Carbon Farming lobbiiert.

Wissenschaft sieht CO2-Zertifikate kritisch

Eine kürzlich im Journal of Environmental Management erschienene Studie bestätigt viele andere Studien, die CO2-Ausgleichszertifikate, die auf einer Steigerung der organischen Kohlenstoffmenge in landwirtschaftlichen Böden beruhen (Humuszertifikate), als Instrument für den Klimaschutz als wenig geeignet werten (16). Vor allem die Dauerhaftigkeit der Speicherung sowie deren Überwachung seien nicht ausreichend gewährleistet, so die Studie. Es sei unwahrscheinlich, dass die Zertifikate den Emissionsausgleich tatsächlich langfristig erbringen, für die sie am Markt gehandelt werden, so die Autorinnen und Autoren. Die dafür eingesetzten Mittel könnten an anderer Stelle wirksamerer eingesetzt werden, etwa im Bereich der Emissionsvermeidung.  

Die Studie sieht für Landwirtinnen und Landwirte Vorteile dank höherer Kohlenstoffgehalte, darunter eine höhere Bodengesundheit und insbesondere eine bessere Wasserspeicherfähigkeit und damit Widerstandsfähigkeit gegen dürrebedingte Ertragseinbußen. Das gehe allerdings nur mit hochwertigem Humus, heißt es einschränkend. Und den erzeugt man nicht, indem man wahllos Kohlenstoff in den Boden verfrachtet. Es seien Änderungen im landwirtschaftlichen Management nötig, welche mit Kosten verbunden sind: zum Beispiel für Saatgut beim Anbau von Zwischenfrüchten und für zusätzliche Arbeitsgänge, oder bei der Diversifizierung der Fruchtfolgen durch auch weniger profitablerer Nutzpflanzen. Auch das Anlegen von Hecken und Gehölzstrukturen erfordere Investitionen. Schließlich habe der Verlust von Anbaufläche für Feldfrüchte seinen Preis.  

Agrarökologie schafft Synergieeffekte

Während der KlimaSCHUTZ also mit ackerbaulichen Maßnahemen nur bedingt zu erreichen ist, bieten Praktiken wie die Agrarökologie zur KlimaANPASSUNG große Potentiale. Agrarökologie ist dem zertifizierten ökologischen Landbau sehr ähnlich. Allerdings sind viele Kleinbauern, die agrarökologisch produzieren, nicht zertifiziert, da dieser Schritt oft zu teuer ist. Die seit Hunderten von Jahren bekannten und im Ökolandbau optimierten Techniken einer ausgeglichenen Fruchtfolge mit vielfältiger tiefer Durchwurzelung, Permakultur, Agroforst, der Rückführung von organischer Substanz in Form von Festmist, Ernteresten sowie Qualitäts-Kompost sind für eine klimaangepasste Bewirtschaftung allen Techno-Fixes deutlich überlegen (17).

Fazit

Humusaufbau ist wichtig für Bodenfruchtbarkeit, Erosionsschutz, Grundwasserbildung und Hochwasserschutz – und er macht Landwirtschaft klimaresilient. Für ein "Carbon Farming"-Modell mit CO2-Zertifikaten eignet sich der Ansatz aber nicht. Was vergütet werden sollte, sind Best-practice-Maßnahmen des Humusaufbaus, um die Böden klimaresilienter zu machen. Dieser Fokus ist im Ackerbau dringend notwendig. Für den Klimaschutz sind Moor- und Grünlandschutz sowie der Verzicht auf Mineraldünger und der Abbau der Tierzahlen ausschlaggebender. 

Dr. Andrea Beste Büro für Bodenschutz & Ökologische Agrarkultur

(1) IPCC (2000) Landuse, Landuse Change and Forestry. International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development (IAASTD) (2009): Landwirtschaft am Scheideweg. Washington.

(2) Sutton, M., Howard, C. et al. (Hrsg.) (2011): The European Nitrogen Assessment: Sources, Effects and Policy Perspectives. Cambridge University Press.

(3) Kongshaug, G. (1998): Energy Consumption and Greenhouse Gas Emissions in Fertilizer Production. IFA Technical Conference, Marrakesch, Marokko, 28. September bis 1. Oktober 1998.

(4) Clausing, P. (2014): Energieschleuder Agrarindustrie. In: Ökologise & Landbau 172

(5) Köpke, U.; Nemecek, Th. (2010): Ecological services of faba bean. In: Field Crops Research 115.

(6) Scharlemann, J.P.W., et al. (2014): Global soil carbon: understanding and managing the largest terrestrial carbon pool. Carbon Management, 5(1).

(7) Horwath, J. (2005). Warming could free far more carbon from high arctic soil than earlier thought. University of Washington

(8) Hewins, Daniel B.; Lyseng, Marc P. et al. (2018): Grazing and climate effects on soil organic carbon concentration and particle-size association in northern grasslands. Scientific Reports 8:1336. DOI:10.1038/s41598-018-19785-1.

(9) Beste, A. & Idel, A. (2019). The belief in technology and big data. The myth of climate smart agriculture - why less bad isn’t good. https://www.gesunde-erde.net/media/myth_of_climate_smart_agriculture_final.pdf

(10) Beste, A., Lorentz, N. (2022): Ecosystem Soil – Bringing nature-based solutions on climate change and biodiversity conservation down to earth. (Ed.): giz/BMUV. https://www.gesunde-erde.net/media/giz_eba_ecosystem-soil_final.pdf

(11) Gurwick, NP et al. (2013). Eine systematische Überprüfung der Biokohle-Forschung mit Schwerpunkt auf ihrer Stabilität in situ und ihrem Versprechen als Klimaschutzstrategie.
Teichmann, I., 2014. Klimaschutz durch Biokohle in der deutschen Landwirtschaft: Potenziale und Kosten. DIW Wochenbericht Nr. 1+2.2014, 3-14.

(12) https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0048969719309313

(13) https://humictrade.org/wp-content/uploads/2022/03/Biochar-Report-HPTA-Science-Committee.pdf

(14) https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0304389421015764?via%3Dihub

(15) https://www.fortunebusinessinsights.com/industry-reports/biochar-market-100750

(16) Carbon farming: Are soil carbon certificates a suitable tool for climate change mitigation? https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0301479722027153orgprints.org/id/eprint/37953/1/Wiesmeier-etal-2020-BonaRes-Series-Vol1-p1-24.pdf

(17) Beste, A. (2022): GREENWASHING & HIGH TECH – Faking it: (un-)sustainable solutions for agriculture.
https://www.gesunde-erde.net/media/fakesustainability_end_english_1.pdf

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