Zur Hauptnavigation springen Zur Suche springen Zum Seiteninhalt springen Zum Footer springen

  • Klima & Ressourcen
  • 04/2024
  • Dr. Wiebke Niether

Buchbesprechung: Konflikte um Grund und Böden

Welche Interessensgruppen beanspruchen Landflächen für ihre Zwecke, in regionalen, nationalen und globalen Strukturen – und wie kann das ausgehen? Eine kritische Analyse, die auch Lösungen aufzeigt, von Tanja Busse und Christiane Grefe

Pflanzen auf einem Feld in Guatemala. Der Wert des Bodens wurde lange unterschätzt. © Maria Fleischmann / World Bank

Der Grund. Die Fläche. Das Land. Der Boden. Es gibt zahlreiche Begriffe für diese endliche Ressource. In vielen Bereichen unseres Lebens bekommen wir die Konflikte um Böden zu spüren, bei Lebensmitteln und der Energieversorgung, bei Infrastruktur und Wohnflächen. Trotzdem ist vielen von uns diese wertvolle Ressource in ihrer vielfältigen Nutzung und Allgegenwärtigkeit aber wenig präsent.

Tanja Busse und Christiane Grefe untersuchen in ihrem Buch „Der Grund - Die neuen Konflikte um unsere Böden und wie sie gelöst werden können“ kritisch, wie wir mit dieser Ressource umgehen. Ob man es nun Grund, Fläche, Land oder Boden nennt, hängt von den Ansprüchen und der Nutzung dieser Ressource ab. Diese Begriffe stehen in andauerndem Konflikt zueinander, innerhalb einer Nutzungsform wie der forstwirtschaftlichen Nutzung, oder auch Sektorgrenzen übergreifend, wie bei der Erschließung neuen Wohnraums „auf der grünen Wiese“.

Die Autorinnen bieten eine Übersicht darüber, wie verschiedene Interessensgruppen Landflächen für ihre Zwecke beanspruchen. Dabei werden die regionalen, wie auch die globalen Ansprüche deutlich, denen unser Planet mit seiner begrenzten Oberfläche ausgesetzt ist. Die daraus entstehenden Konflikte werden den Leserinnen umfassend und mit den damit verbundenen Zielkonflikten auf wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Ebene aufgezeigt. Auch wie politische Handlungen dadurch gesteuert werden und selbst steuernd wirken. Weitestgehend wird auf unsere regionalen und nationalen Strukturen eingegangen. Die globalen Landkonflikte, und wie sie uns betreffen, werden auch erwähnt, obwohl es hierzu noch sehr viel mehr zu sagen gäbe. In den letzten Kapiteln sprechen die Autorinnen auch Lösungen an, die teilweise schon umgesetzt werden, und in ihrer Diversität als Blaupause für weitere Anwendungsstrategien dienen können. Der Ausblick am Ende des Buches soll uns Hoffnung, aber auch Anregung geben, was jede Person tun kann, um Wandel zu gestalten.

"Der Grund allen Lebens"

Es geht um den Boden unter unseren Füßen. Unter Wald und Wiese, unter Feldern aber auch unter versiegelten Städten und Straßen befindet sich nicht „lebloses Substrat“, sondern der Boden ist eine „Vergesellschaftung“ von Wurzeln, Tieren und Mikroorganismen, mineralischen und organischen Strukturen und Wasserströmen, wie es sehr anschaulich dargestellt wird. Ein umfassendes System mit internen Stoffströmen und dynamischer Interaktion mit der Atmosphäre. Es ist die Quelle von Trinkwasser und Lebensmitteln, von Ökosystemen und Artenvielfalt. Und zugleich ein enormer Kohlenstoffspeicher und dadurch Klimaschützer mit dem Potential, auch Klimaanpassung zu leisten.

 „Der Grund allen Lebens“, wie die Autorinnen es treffend beschreiben, den es entsprechend zu schützen und bewahren gilt. Was diese lebendigen Böden zerstört sind Landumwandlungen, Vergiftung und Humusverlust durch intensive Landwirtschaftssysteme und Industrie. Die Folgen reichen von Überschwemmungen und überhitzten Städten zu Arten- und Ökosystemsterben und weiterem Chemikalieneinsatz, um die Lebensmittelproduktion aufrechtzuerhalten.

Neben den lebendigen Böden, die unabdingbar sind für natürliche Ökosysteme und den Naturschutz, aber auch Grundlage für eine funktionierende nachhaltige Landwirtschaft, verbrauchen wir immer mehr natürliche Flächen, verbauen und versiegeln sie. Diese Nutzung ist einerseits notwendig um nötige Wohn- und Arbeitsfläche zu schaffen, und wirtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen. Der daraus entstehende Nutzungskonflikt allerdings führt zu Preissteigerungen und Spekulationen. Dies begünstigt diejenigen, die sich Land noch leisten können. Ob Moore wieder vernässt und renaturiert werden, Photovoltaik-Anlagen auf landwirtschaftlichen Flächen aufgestellt oder doch neue Wohnflächen erschlossen werden: Immer ist zu fragen, was sind die kurz- und langfristigen Interessen dieser Aktionen, und wer vertritt sie?

Von Abhängigkeiten, gegenläufigen Interessen und Synergien

Die Autorinnen beschreiben auch, wie auf politischer Ebene verschiedene Krisen gegeneinander ausgespielt werden: die Wirtschafts- gegen die Klimakrise, und die Klimakrise gegen die Biodiversitätskrise. Das verstärkt die Spannungen zwischen den Akteur*innen, die die Fläche für ihre wirtschaftlichen, aber auch ökologischen oder sozialen Interessen beanspruchen, seien es „Stromerzeuger, Autofahrerinnen, Investoren, Landwirte, Naturschützerinnen“. Das bringe nicht nur eine unverhältnismäßige Wertung in die verschiedenen Krisen, sondern verfehlt auch, deren Abhängigkeiten zu betrachten und damit Synergien zwischen den Interessen und in der Krisenbewältigung auszunutzen.

Das Bevölkerungswachstum sowie die globalen Auswirkungen des Klimawandels – wie dem Anstieg des Meeresspiegels und der Ausbreitung von Wüsten und unfruchtbaren Landstrichen – verringern die verfügbare Fläche, während durch Wirtschaftswachstum im globalen Süden gleichzeitig ein höherer, aber auch ressourcenintensiverer Lebensstandard, ähnlich dem der westlichen Industrienationen, angestrebt wird.

Wie müssen Städte und Landwirtschaft hinsichtlich der zu erwartenden Extremwetterereignisse wie Hitzesommer und Starkregen aussehen, um lebenswert zu bleiben und die Versorgung einer anspruchsvollen Gesellschaft zu sichern? Wem gehört das Land und wer darf darüber verfügen? Sollte Gemeinwohl vor Einzelinteressen gestellt werden? Diese und viele andere Fragen werden in dem Buch diskutiert. Immer wieder werden Fälle von Aktivisten, Landwirtinnen, Naturschutzorganisationen und Wohnraumsuchenden beschrieben, also den Menschen, die sich als Einzelperson oder gesellschaftliche Gruppen gegen Großinvestor*innen und „Global Players“ stellen. Diese ausgewählten Fallbeispiele geben den Konflikten zwischen den Akteuren und Ansprüchen ein menschliches Gesicht und bringen sie unseren eigenen Lebensumständen näher.

Eine weitere Stärke dieses Buches sind die Kooperation und der Austausch mit verschiedenen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Forschung. Sie verleihen den Hintergrundinformationen und komplexen Zusammenhängen einen entscheidenden Nachdruck. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse werden dadurch besser eingeordnet und in Verhältnis gesetzt zu populären und auch politischen Meinungen.

Denkanstöße und hoffnungsvoller Ausblick

Viele der Krisen, die unsere Böden betreffen, wie die Klima- und die Biodiversitätskrise, aber auch die Wirtschaftskrise, müssen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sie können und müssen synergetisch genutzt und gemeinsame Lösungen erarbeitet werden. Das Buch gibt Denkanstöße, in welche Richtung unsere Gesellschaft sich weiterentwickeln kann. Global-politische Lösungsansätze wie Energiewende, Transformation des Nahrungsmittelsystems oder Neuverteilung der Landbesitzverhältnisse im Sinne einer freien Ressource werden hier als Beispiele für eine zukünftige Nutzung der verfügbaren Landfläche genannt, die gleichzeitig einer globalen Gerechtigkeit näherkommen kann. Fallbeispiele zeigen dagegen persönliche, oftmals kleinräumliche, aber nichtsdestotrotz wirksame Strategien, die Konsumenten, Landwirt*innen oder Reisende umsetzen können.

Nach den vielen erschreckenden Fakten über die Zerstörung und Ausnutzung unserer großen, endlichen Ressource Boden bringt der Ausblick am Endes des Buches Hoffnung für eine Wende im Kleinen, Privaten, sowie im Großen und Global-politischen. Der Druck wird hier nicht so sehr auf die einzelnen Bürgerinnen übertragen, Das Buch ruft uns als Konsumenten und Wähler*innen dazu auf, zur Entwicklung politischer Rahmenbedingungen für eine gemeinwohlorientierte und dadurch auch nachhaltige Nutzung unserer Lebensgrundlage beizutragen.

„Der Grund“ ist verständlich und informativ geschrieben. Dieses Buch ist allen zu empfehlen, die sich schon mit nachhaltiger Landwirtschaft, oder Landnahme, oder Städtebau im Klimawandel beschäftigt haben und tiefer in diese Themen eintauchen wollen. Es richtet sich aber auch an die Leser, die sich erst wenig mit dem Thema Boden und Landnutzung beschäftigt haben.

 

Dr. Wiebke Niether Justus-Liebig-Universität Gießen

Das könnte Sie auch interessieren