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  • Agrar- & Ernährungspolitik
  • 10/2022
  • Erwin Northoff

"Der Klimawandel wird die Abhängigkeit von Getreideimporten erhöhen"

Gerät die globale Ernährungskrise außer Kontrolle? FAO-Direktor Josef Schmidhuber über Stress in armen Ländern, explodierende Importkosten und neue Notkredite des IWF.

Teures Grundnahrungsmittel: In einer Bäckerei in Idlib wird Brot aus Weizen für die Verteilung an Flüchtlinge gebacken. © HIHFAD/Welthungerhilfe

Das Welternährungssystem muss derzeit mehrere historisch einmalige Krisen meistern: Die Folgen der Covid-Pandemie, Russlands Krieg, hohe Energie-und Düngemittelpreise, steigende Inflation und die Klimakrise. Droht das Krisenniveau im Agrarsektor außer Kontrolle zu geraten?

Josef Schmidhuber: Es ist ganz wichtig zu betonen, dass es weltweit keine Angebotskrise sondern eine Zugangskrise zu Nahrung in den ärmsten Ländern gibt. Das bedeutet, es gibt genügend Nahrungsmittel, aber viele Menschen sind zu arm, um sich genügend Lebensmittel kaufen zu können. Global haben wir bei allen Getreidearten hohe Produktionszahlen. Eine der Hauptursachen für Hunger ist Armut und damit der Mangel an Kaufkraft.

Dies wird auch durch den jüngsten Hunger Hotspots -Bericht von FAO und WFP bestätigt, der zeigt, dass Ernährungsunsicherheit global weiter eskaliert. Es sind schätzungsweise über 205 Millionen Menschen in 45 Staaten, die von akuter Ernährungsunsicherheit bedroht und dringend auf Hilfe angewiesen sind. Blickt man auf die vergangenen sieben Jahre zurück, ist dies ein neuer Höchststand. Insgesamt leiden rund 45 Millionen Menschen in 37 Ländern unter schwerer Unterernährung und sind von Hunger und Tod bedroht.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) will mit einer neuen einjährigen Initiative (food shock window) den von der Nahrungsmittelkrise am schwersten getroffenen Ländern mit günstigen Nothilfekrediten unter die Arme greifen. Reicht das finanziell aus? Der IWF rechnet damit, dass rund 20 Staaten die Hilfen beanspruchen werden.

Der IWF liegt mit dieser Initiative hundert Prozent richtig, er folgt damit einem Vorschlag der FAO. Er will die Kaufkraft in den armen Ländern stärken, DAS Problem der gegenwärtigen Nahrungsmittelkrise. Die Länder bekommen eine extra Kreditlinie zu günstigen Bedingungen eingeräumt, die es ihnen ermöglicht, Nahrungsmittel einzukaufen. Es wird von der Attraktivität der Kredite abhängen, wie viele Länder dieses neue Instrument letztlich in Anspruch nehmen werden.

"Wir würden es begrüßen, wenn mehr Länder von dem IWF-Programm profitieren könnten."

Josef Schmidhuber, FAO, Stellvertretender Direktor, Abteilung Märkte und Handel

Unser Vorschlag ging von 62 Staaten mit niedrigen und mittleren Einkommen aus. Deren Ausgaben für Nahrungsmittelimporte sind allein in 2021 um rund 25 Mrd. Dollar gestiegen. Räumt man ihnen Kredite mit Zinsen von vier Prozent ein, liegen die Kosten dieses Programm bei rund 1 Mrd. Dollar im Jahr. Nehmen weniger Länder daran teil, sinken auch die Kosten. Mit dieser relativ geringen Kredithilfe könnten wir viele Menschen vor Hunger und Unterernährung bewahren.

Das IWF-Programm ist aber deutlich geringer ausgelegt.

Genau, das IWF Food shock window ist geringer als unser Vorschlag und hilft nur den allerärmsten und bedürftigsten Ländern, die in der Lage sind, die Kredite zurückzuzahlen. Wir würden es begrüßen, wenn insgesamt mehr Länder von dem Programm profitieren könnten. Viele Länder, die Energie importieren, werden auf Hilfe von außen angewiesen sein, da für die kommenden Jahre mit weiter hohen Energiepreisen zu rechnen sein wird.

Warum ist das IWF-Programm nur auf ein Jahr angelegt?

Mit einer Laufzeit von 12 Monaten will man verhindern, dass die Länder sich erhoffen, auch im kommenden Jahr leicht an billige Kredite zu kommen. Wir haben zudem vorgeschlagen, dass jedes Land, das einen Kredit in Anspruch nimmt, sich verpflichtet, einen Teil seiner Staatsausgaben für die Förderung der heimischen Landwirtschaft auszugeben.

Wie sind die konkreten Prognosen für die Getreideproduktion 2023?

Für den Zeitraum 2021/22 hatten wir eine sehr gute Getreideernte. Wir sind mit sehr hohen Erntemengen und Vorräten in das Jahr 2022/2023 gegangen, sowohl bei Weizen als auch beim Reis. Auch die Aussichten für 2022/23 sind solide. Die Weizen- und Reisproduktion wird voraussichtlich das Vorjahresniveau erreichen.

Wie erfolgreich ist der vor kurzem eingerichtete Getreidekorridor, der es der Ukraine erlaubt, endlich per Schiff dringend benötigtes Getreide zu exportieren?

Der Getreidekorridor im Schwarzen Meer ist sehr erfolgreich. Damit konnte verhindert werden, dass wertvolles Getreide in der Ukraine verrottet. Gleichzeitig wird ein Beitrag dazu geleistet, den ukrainischen Bauern ausreichend Finanzkraft für das neue Erntejahr 2022/23 zu verschaffen. Bislang sind durch diesen Korridor rund sieben Millionen Tonnen (Stand Mitte Oktober) Getreide verschifft worden.

Die Ukraine hatte im Produktionsjahr 2021/2022 eine Rekordernte von rund 86 Millionen Tonnen, hat aber nur Lagermöglichkeiten für rund 60 Millionen Tonnen. Wegen des Kriegsausbruchs im Februar brach der Export zusammen und das Land konnte kein Getreide mehr ausführen, es kam zu einem Überhang von rund 20 Millionen Tonnen. Deshalb war es absolut wichtig, den Korridor einzuführen – zusätzlich zu den anderen Ausfuhrrouten über die Donau und die Nord- und Ostseehäfen – um zu verhindern, dass Getreide verrottet.

Handelt es sich dabei nur um Getreide oder auch andere Produkte?

Es sind insgesamt 15 Produkte, darunter sowohl Getreide als auch Futtermittel.

Inwiefern haben davon auch arme Länder profitiert, die besonders stark von den ukrainischen Getreideausfuhren abhängen?

Besonders Länder, die stark von den Getreideausfuhren der Ukraine abhängig sind, wie die Türkei, Ägypten und etwas weniger Bangladesch, haben von den jüngsten Exporten der Ukraine profitiert. Ein Teil der Ausfuhren geht auch in reiche Länder, von wo sie dann zum Teil in bedürftigere Länder transportiert werden.

Ist es nicht äußerst problematisch, dass global nur eine Handvoll von Staaten Mais, Weizen und Reis anbauen und exportieren? Führt diese Konzentration nicht zu übermäßigen Abhängigkeiten? Wie lässt sich mehr Vielfalt unter den Erzeugerländern erreichen?

Die Krise macht durchaus deutlich, wie anfällig das Welternährungssystem geworden ist, wenn beispielsweise ein großer Exporteur wie die Ukraine ausfällt, oder zum Teil ausfällt. Das trifft vor allem die Länder, die sehr stark von einzelnen Lieferanten abhängen, wie beispielsweise Eritrea, Somalia oder selbst die Türkei, die 90 Prozent und mehr ihres Getreides aus der Ukraine oder Russland importieren.

Andererseits hat sich die Konzentration von Erzeugern und Exporteuren besonders bei Weizen und Mais mit dem Erscheinen der Ukraine und Russlands am Weltmarkt im Vergleich zur Vergangenheit verringert. Auch Indien ist inzwischen zu einem –wenn auch unregelmäßigen – Netto-Exporteur von Weizen geworden. Bei Reis ist Indien mit über 20 Millionen Tonnen mit Abstand der größte Exporteur.

Es kommt allerdings ein anderer Faktor hinzu, der die Abhängigkeit des Globalen Südens von Getreideimporten in Zukunft deutlich erhöhen wird, nämlich der Klimawandel. Daran gibt es kaum einen Zweifel. Auch ändert es nichts an den globalen Herausforderungen, wenn einige Länder des Globalen Nordens vom Klimawandel profitieren, indem sie wegen veränderter klimatischer Bedingungen Getreide dort anbauen können, wo dies bislang nicht möglich war.

Sollten die Länder des Globalen Südens deshalb selbst mehr Getreide produzieren?

Ich bin sehr skeptisch, mit Förderprogrammen zum Beispiel die Weizenproduktion in Afrika zu erhöhen, wie das verschiedene Geberinstitutionen derzeit vorschlagen. Es gibt nur wenige Gebiete in Afrika, die sich für den Anbau von Weizen wirklich eignen. In höheren Lagen Äthiopiens, Kenias oder Teilen von Simbabwe mag das funktionieren, anderswo aber leider nicht. Bei Hirse und Sorghum ist das sicherlich anders.

Ist denn als Reaktion auf die hohen Einfuhrkosten bei Weizen in Afrika mit einem Boom lokaler Nahrungsmittel wie Hirse und Sorghum zu rechnen?

Damit rechne ich nicht. Man kann allerdings die Abhängigkeit vom Weizen dadurch verringern, dass man Tapioka - das ist Stärke, die aus der Maniokwurzel gewonnen wird - Weizenmehl beimischt, ohne die Backqualität bei verschiedenen Produkten, wie z.B. einfachen Keksen, zu verringern. Weizen mit Produkten zu strecken, die in Afrika angebaut werden können, ist durchaus ein Weg, um Abhängigkeiten zu verringern. Aber nicht der verstärkte Weizenanbau in Afrika selbst.  

Die Nahrungsmittelpreise sind stark gestiegen. Anfang des Jahres erreichten sie ein Zehn-Jahres-Hoch, sind inzwischen aber wieder leicht gesunken. Die Ausgaben für Nahrungsmittelimporte sind 2022 global um rund $50 Milliarden gestiegen. Ist zu befürchten, dass der gefährliche Mix aus Importkosten, Inflation, dem starken Dollar und einer hohen Verschuldung vor allem in armen Ländern zum Kollaps führen kann?

Schon vor dem Ukraine-Krieg sind die Kosten für die Nahrungsmittelimporte in 2020/2021 um 256 Mrd. Dollar explodiert. In 2022 lag der Anstieg bei den Einfuhrkosten nur noch bei 50 Mrd. Dollar, bei den ärmsten Ländern (LDCs) rechnen wir sogar mit einen Rückgang. Diese Länder reagieren auf die hohen Preise mit geringeren Einkäufen auf den internationalen Märkten. Auch haben die Länder mehr billigere Produkte wie Getreide, Zucker und Fette eingekauft, und weniger Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch, was mit negativen Auswirkungen auf die Ernährung verbunden sein könnte.

Verarbeiteter Maniok kann teuren Importweizen in Afrika vielleicht nicht ersetzen, aber beigemengt werden. © Lass/Welthungerhilfe

Was bedeutet das für die ärmsten Länder?

Der Stress ist in diesen Ländern, die sowieso schon unter Missernten, Klimawandel, Konflikten und hohen Düngemittelpreisen leiden, enorm gestiegen. Viele der ärmsten Länder sind auch deshalb so stark von diesen Preisanstiegen betroffen, da ihre Wechselkurse vom Dollar abhängig sind. Außerdem haben sie hohe Schulden und höhere Kosten für Energieimporte.

Aber nicht nur die Kosten für die Einfuhr von Nahrungsmitteln sind gestiegen, auch die Kosten für Energie, Dünger, Pflanzenschutz und Saatgut haben sich in 2022 in den Entwicklungsländern mehr als verdoppelt. Ein nicht wirklich überraschender Anstieg, der dazu führen könnte, dass einige dieser Länder in 2022/23 weniger Nahrung produzieren werden.

Wird es angesichts der Knappheit von Stickstoffdünger zwischen reichen und weniger wohlhabenden Ländern zu einer verstärkten Konkurrenz um Dünger kommen?

Eindeutig ja. Das Angebot an Stickstoffdünger ist derzeit eng begrenzt, weil Energie teuer ist und Gas aus Russland nicht mehr zur Verfügung steht. Die Nachfrage nach Stickstoffdünger in den Industriestaaten ist zudem ziemlich unelastisch, d.h. die Bauern dort  werden alles tun, um ihren Bedarf an Stickstoffdünger zu decken und international zukaufen. Die Entwicklungsländer wird diese Konkurrenz hart treffen, sie werden wohl weniger Stickstoffdünger importieren können, und damit weniger düngen und weniger Nahrung anbauen können.

Kann die gegenwärtige Krise dazu beitragen, die Weltlandwirtschaft energieeffizienter, ressourcenschonender, resistenter und umweltverträglicher zu machen?

Ganz klar ja, diese Krise bietet trotz aller Beeinträchtigungen und Nachteile auch eine große Chance. Die Krise wird hoffentlich einen Anstoß geben, neue Technologien zu entwickeln, um beispielsweise effizienter zu düngen. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, um Düngereffizienz zu steigern und den Düngemitteleinsatz umweltverträglicher und klimaschonender zu machen. Z.B. Nanodünger, alternativer Dünger, Saatgutbeschichtung, um Pflanzen besser mit Nährstoffen zu versorgen, sowie Güllebörsen, die den intra-regionalen Austausch zwischen Viehhaltern und Feldfruchtproduzenten fördern.

Neue Technologien müssen aber allen zur Verfügung stehen, nicht nur uns. Die armen Länder werden allein nicht in der Lage sein, von einem möglichen Innovationsschub zu profitieren. Deshalb ist der Technologietransfer von reichen zu armen Ländern ganz entscheidend, angepasste Versionen unserer neuen Technologien müssen auch den Entwicklungsländern zur Verfügung stehen.

Das Gespräch führte: 

Erwin Northoff ist ehemaliger Leiter der Presseabteilung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und Mitglied im Redaktionsbeirat von "Welternährung.de".
Erwin Northoff Mitglied im Redaktionsbeirat
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