Die Vereinten Nationen und Chinas Aufstieg: Qu Dongyu bleibt FAO-Generaldirektor
Als zupackender Reformer hat Qu programmatisch und institutionell Innovationen angestoßen. Aber wie stark prägt Peking seinen Multilateralismus?
Qu Dongyu wurde am 2. Juli 2023 als Generaldirektor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Für ihn stimmten 168 von 182 Mitgliedsstaaten, es gab keine Gegenkandidaten. Mit einem Budget von 2,6 Mrd. Dollar (2022) zählt die FAO zu den gewichtigeren Organisationen der Vereinten Nationen (VN). Ihre Bedeutung ist im Zuge der globalen Ernährungskrise, die sich durch die Covid-Pandemie und den Ukrainekrieg verschärft hat, gewachsen.
Die Wiederwahl Qus ist politisch bedeutend, da seine Führung der FAO auch im Zeichen des chinesischen Aufstiegs gesehen wird. Die starke Unterstützung Chinas seiner ersten Kandidatur 2019 war ein Indiz, dass für China hier strategische Interessen im Spiel sind – die Ernährungssicherheit im eigenen Land, aber auch der vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping formulierte Anspruch, China als globale Führungsmacht in einer neuen, multipolaren Weltordnung zu etablieren. Die Entwicklungsländer sehen darin eine Chance. Bei westlichen Staaten, und besonders den europäischen, herrscht dagegen eher Skepsis vor.
Qu Dongyu als zupackender Reformer
Qu hat sich in seiner ersten Amtszeit als zupackender Reformer erwiesen und eine institutionelle und programmatische Erneuerung der FAO angestoßen, die auch bei Kritikern Respekt findet. Eine als überfällig gesehene Reform der Managementstruktur, im Wesentlichen eine Verschlankung, sollte die FAO agiler machen. Sie hat aber wohl auch seine Position als Generaldirektor gestärkt. Qu, der Biologie, Pflanzenzucht und -genetik studiert hat, hat sich darüberhinaus für eine weitere Professionalisierung der Belegschaft eingesetzt.
Programmatisch hat Qu den Schwerpunkt auf Technologie, Innovationen und Digitalisierung als „Beschleuniger“ für den Kampf gegen Hunger und für globale Ernährungssicherheit gelegt. In der Nutzung von Daten für Entwicklung hat die FAO damit innerhalb der VN eine Führungsrolle übernommen, gemeinsam mit UN-DESA, einer Abteilung des UN-Generalsekretariats, die ebenfalls unter chinesischer Leitung steht. Auf Länderebene sollen Initiativen wie „1000 digitale Dörfer“ das Potential von Digitalisierung in ländlichen Regionen belegen.
Qus zentrales Projekt ist die Hand-in-Hand-Initiative. Deren Kern bildet zum einen eine Plattform für sozio-ökonomische Analysen und Geodaten, um das Potential von ländlichen Regionen zu erschließen, die für eine Stärkung der landwirtschaftlichen Produktion geeignet sind. Auf dieser Grundlage identifiziert die FAO Bedarf für Investitionen und bewirbt internationale Partner. Hier wird die Idee sichtbar, die FAO als ‘Broker’ aufzustellen, der Projekte im wechselseitigen Interesse von Investoren und Entwicklungsländern vermittelt.
Nicht nur daran wird deutlich, wie sich die FAO unter Führung von Qu stark für den Privatsektor geöffnet hat, besonders für die Großwirtschaft. Partnerschaften der FAO mit Syngenta, einem chinesischen Agrarkonzern, mit CropLife International, einem Verband von agrochemischen Unternehmen, sowie mit dem World Economic Forum markieren einen deutlichen Kurswechsel gegenüber seinem Amtsvorgänger José Graziano da Silva.
Qu hat es auch vermocht, die FAO besser ins öffentliche Rampenlicht zu stellen. Mit der Schaffung des World Food Forums, das zunächst als Jugendforum vorgestellt, dann aber auch zur zentralen Plattform für die Hand-in-Hand-Initiative wurde, hat die FAO nun eine jährliche Großveranstaltung. Die Beteiligung ist breit und hochrangig. Darüber hinaus gibt die FAO unter anderem in Kooperation mit Weltbank, OECD und der Welthandelsorganisation wichtige Analysen heraus. Sie ist zunehmend stärker auch bei der G20 und den VN-Klimakonferenzen präsent. Das alles bedeutet politische Aufmerksamkeit für globale Ernährungsfragen.
Anderes hat allerdings an Bedeutung verloren. So kommt der Begriff „Rechte“ in Qus Reden praktisch nicht vor. Das in den 1990er-Jahren geschaffene und auch von Deutschland favorisierte Recht auf Nahrung sei zu einem „absoluten Mauerblümchen“ verkommen, so ein Vertreter der Zivilgesellschaft. Marginalisiert sei auch der unter Vorgänger da Silva noch recht stark in die FAO-Programmatik eingeflossene agrarökologische Ansatz, der auf den Prinzipien Ökologie, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit beruht.
Hat der chinesische Einfluss in der FAO zugenommen?
Die genannten Reformen können leicht in Verbindung mit chinesischen Ansätzen und Interessen gebracht werden und haben daher den Verdacht einer chinesischen Instrumentalisierung der FAO geweckt, besonders bei westlichen Akteuren. Allerdings ist es nicht einfach, legitimen Einfluss, der ja in den VN auch gewünscht ist, von Machtpolitik im nationalen Interesse zu differenzieren. Entscheidend ist, dass die Integrität der FAO gewahrt bleibt: Die Neutralität der Organisation und ihrer Beamten, Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber zwischenstaatlichen Gremien, sowie die Orientierung an den Normen und Werten der VN.
Die in skurrilen Werbevideos und etwas zu stolzen FAO-Pressestatements gefeierte Wahl und Amtsführung Qus muten nach chinesischer Propaganda an, ebenso wie die Slogans seiner Initiativen, etwa die „Four betters“ (bessere Produktion, bessere Ernährung, bessere Umwelt und besseres Leben) oder „One country one priority product“. Abseits stilistischer Fragen erscheint problematisch, dass eine Reihe von Leitungspositionen, die im Zusammenhang mit Qus Prioritäten stehen, mit Chinesen besetzt wurden. Dass Qu in enger Abstimmung mit der chinesischen Botschaft in Rom agiert, die auch chinesische FAO-Mitarbeiter im Blick behält, gilt bei westlichen Diplomaten als sehr wahrscheinlich. Unklar ist eher, wie weit das über bad practices anderswo in der VN hinausgeht.
Die Hand-in-Hand-Initiative wird von Kritikern als ein Projekt zur Stützung der Neuen Seidenstraße gesehen. Zumindest einzelne Projekte wie etwa in Panama, São Tomé und Príncipe oder Laos lassen einen sehr direkten Bezug zu geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen Chinas erkennen, während die im VN-Kontext verbindliche Menschenrechtsorientierung eine allenfalls nebensächliche Rolle spielt. Welchen Nutzen allerdings China tatsächlich aus der Hand-in-Hand-Initiative zieht gegenüber anderen Akteuren, lässt sich schwer sagen. Es fehlt hier an der nötigen Transparenz.
Der Ukraine-Krieg hat nochmals deutlich gemacht, dass Qu die FAO nicht im westlichen Lager verortet. Qu hat auf einer politisch neutralen Position bestanden und sich dem sehr expliziten Druck westlicher Staaten widersetzt, den Angriffskrieg gegen die Ukraine als solchen, als Bruch der VN-Charta und als Ursache gestiegener Nahrungsmittelpreise zu verurteilen. Seine Einlassungen spiegeln eher das chinesisch-russische Narrativ einer zunehmend multipolaren Weltordnung wieder. Damit hat er auch Werbung bei den Entwicklungsländern für seine Wiederwahl gemacht.
Weitere Spannungsfelder
Die Instrumentalisierung der FAO, letztlich schwer zu beweisen, ist für viele Stakeholder nicht das zentrale Thema. Andere Aspekte sind wichtiger. Europäische Staaten beklagen sich, dass das FAO-Management sie bei dem Anliegen auflaufen lässt, eine angemessene zwischenstaatliche Aufsicht für den unter Qu massiv ausgebauten Bereich von Daten herzustellen. Sie fordern insbesondere Richtlinien für einen transparenten, im Einklang mit internationalem Recht (etwa bezüglich Datenintegrität, Privatsphäre und Eigentumsrechten) stehenden Umgang der FAO mit Daten. Die FAO hält das für eine interne Angelegenheit. Zum Thema Rechenschaftspflicht gehört auch die von Qu veranlasste und im VN-System präzedenzlose Verhinderung einer Inspektion der FAO durch die Joint Inspection Unit, einer VN-internen, unabhängigen Prüfinstanz vergleichbar dem Bundesrechnungshof. Eine kritische Bewertung hätte seine Chancen auf Wiederwahl reduzieren können. Nun soll ein neuer Termin vereinbart werden.
Zivilgesellschaftliche Beobachter sehen mit Sorge die Einrichtung und Stärkung von informellen Plattformen, welche den mächtigeren Akteuren, ob Staaten oder aus Privatwirtschaft, entgegenkommen. Der von der FAO mitgetragene Welternährungsgipfel und das World Food Forum werden als Parallelstrukturen gesehen, die zu Lasten inklusiver zwischenstaatlicher Verhandlungen gehen und die Mitgestaltungsmöglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen beschneiden können. Das gut finanzierte Sekretariat des Welternährungsgipfels wurde in der FAO untergebracht, mit direkter Anbindung an Qu. „Wild und undurchsichtig“, seien die Entscheidungsstrukturen dort, so ein Vertreter der Zivilgesellschaft.
Verlierer ist das Welternährungskomitee (Committee on World Food Security, CFS) an dem alle Mitgliedsstaaten und die Zivilgesellschaft beteiligt sind und wo Normen und Richtlinien erarbeitet werden, die auch für die FAO relevant sind. Die beiden Vorgänger von Qu haben das Welternährungskomitee daher nicht unbedingt gemocht, aber dennoch unterstützt. Unter Qu nehmen die Spannungen jedoch zu. Er hat das CFS von seinem angestammten Termin am Welternährungstag verschoben, der nun vom World Food Forum besetzt wird. In der Zivilgesellschaft macht sich inzwischen Unbehagen breit. Man sieht das Recht auf Mitsprache und Selbstorganisation bedroht und fürchtet Kooption. Der undurchsichtige Fokus auf Jugend im World Food Forum ist ein Beispiel.
Teilweise wird auch Kritik am Entwicklungsverständnis von Qu geäußert. Entwicklung wird heute, gerade auch in der VN, als komplexes Problem gesehen, das eine Sektor- und auch länderübergreifende, integrative Herangehensweise erfordert. Qu setzt in den Augen kritischer Beobachter zu sehr auf einen „monokausalen“ Ansatz zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion.
Es wäre zu kurz gegriffen, nur China hinter diesen strittigen Prioritäten zu sehen. Der Fokus auf Technologie, Daten und Digitalisierung sowie Privatsektor wird auch von den USA mitgetragen. Der organisatorisch aufgewertete Bereich Partnerschaften (und damit auch die Hand-in-Hand-Initiative) wird von einer amerikanischen FAO-Vize-Direktorin verantwortet. Die USA haben ihre Beiträge an die FAO von 158 Mio. Dollar in 2020 auf 449 Mio. Dollar in 2022 erhöht. In anderen Bereichen, wie etwa in Bezug auf die Zivilgesellschaft, ist die Interessenlage unter den Mitgliedsstaaten gemischt.
Eine politische Einordnung
Spannungsfelder gibt es also einige, geschadet haben sie Qu letztlich nicht. Er konnte seine Initiativen durchsetzen, auch gegen Widerstände. Die Finanzierung der FAO durch freiwilige Beiträge hat über seine erste Amtszeit signifikant zugenommen, nicht nur wegen den USA. Jüngst wurde auch das auf Pflichtbeiträgen beruhende Kernbudget in einer Art Inflationsausgleich leicht angehoben, zum ersten Mal seit 12 Jahren. Einen Gegenkandidaten haben die westlichen Staaten bei der jüngsten Wahl erst gar nicht nominiert. Man arrangiert sich. Die Alternative einer VN ohne China und allzu viele Konflikte in der VN wollen auch sie nicht. Ohnehin gehört zu einem runden Bild auch die Bemerkung, dass westliche Staaten bei der Durchsetzung ihrer Interessen in der VN auch nicht immer zimperlich waren.
Einem robusten Durchregieren werden die Checks und Balances einer VN-Organisation Grenzen setzen.
Max-Otto Baumann German Institute of Development and Sustainability (IDOS)Produktiver als das Aufrechnen gegenseitiger Vorwürfe wäre die Frage, ob mit China ein anderes Verständnis von multilateraler Kooperation an Bedeutung gewinnt – eines, wo die VN weniger Akteur ist, versehen mit starken Mandaten und einigermaßen unabhängig in der Implementierung, sondern eher Plattform und Vermittler, wie eben in der Hand-in-Hand-Initiative. Das mitgliedsstaatliche Engagement ist dann vielleicht auch mehr am unmittelbaren Nutzen orientiert, während die auf längerfristige, gemeinsame Ziele angelegte multilaterale Kooperation einen geringeren Stellenwert genießt. Das könnte ein Mechanismus sein, um die VN auf sich verändernde globale Machtverhältnisse anzupassen. Die Risiken sind aber, dass die normative Fundierung der VN, ihre Legitimität und der solidarische Einsatz für die Schwachen zu kurz kommen.
In seiner zweiten Amtszeit dürfte Qu versuchen, den eingeschlagenen Kurs zu konsolidieren. Neue Initiativen sind bislang nicht bekanntgeworden. In einem chinesischen Medium war die Erwartung zu lesen, Qu würde die Kooperation Chinas mit der FAO (und darüber mit den Entwicklungsländern) stärken. Einem robusten Durchregieren werden allerdings die Checks und Balances einer VN-Organisation, zu denen auch der beträchtliche finanzielle Einfluss westlicher Mitgliedsstaaten zählt, Grenzen setzen.
Besonderes Augenmerk verdient die Rolle der Entwicklungsländer. Dem Entstehen eines „neuen Südens“ zum Trotz herrscht unter ihnen noch immer das Gefühl vor, in der VN Mitglieder zweiter Klasse zu sein. China, selbst Entwicklungsland, wird eine globale Führungsrolle nur spielen können, wenn es im Namen der Entwicklungsländer zu agieren weiß und diesen ein attraktives Angebot macht. Von der westlichen unter die chinesische Dominanz zu geraten, stellt für die Entwicklungsländer keine Verbesserung dar. Die beschriebenen Entwicklungen in der FAO, die den großen Akteuren mehr Einfluss geben, dürften in diesem Kontext problematisch sein.