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  • Wirtschaft & Menschenrechte
  • 06/2023
  • Ulrich Post

Ibrahim-Index: Schlechte Noten für Regierungsführung in Afrika

Demokratie und Sicherheit haben auf dem Kontinent Rückschritte gemacht. Nach einer Auswertung missachten Regierungen das Recht der Bürger auf politische, soziale und wirtschaftliche Güter heute mehr als vor zehn Jahren.

Afrika ist heute im Schnitt weniger sicher und weniger demokratisch als noch vor zehn Jahren. Beides hemmt den von den Menschen ersehnten Fortschritt in vielen Bereichen, etwa im Gesundheitswesen, in der Bildung und bei der wirtschaftlichen Entwicklung. Auch die Corona-Pandemie, der Klimawandel und Russlands Krieg gegen die Ukraine trugen zum Ergebnis der Bewertung bei.

Zu diesen Schlüssen kommt jedenfalls der im Frühjahr 2023 veröffentlichte „Ibrahim Index of African Governance 2022“ (IIAG). Der Index untersucht und bewertet die Bereitstellung öffentlicher Güter und Dienstleistungen sowie die politischen Ergebnisse auf dem gesamten Kontinent. „Governance“, also Regierungsführung, definieren die Herausgeber als die Bereitstellung politischer, sozialer und wirtschaftlicher Güter, die Bürger zu Recht von ihrem Staat erwarten können und für die der Staat die Bringschuld hat.

Der Bericht bewertet die Fort- oder Rückschritte mithilfe von vier Hauptkategorien: 1. Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit, 2. Teilhabe, Rechte und Inklusion, 3. Grundlagen für wirtschaftliche Entwicklung und 4. Menschliche Entwicklung (u.a. Bildung, Gesundheit, soziale Sicherung). Insgesamt wurden 81 Indikatoren und 256 Variablen benutzt, um zu den Bewertungen zu kommen.

Der aus dem Sudan stammende und in England lebende Mobilfunk-Unternehmer und Milliardär Mo Ibrahim stellte den alle zwei Jahre erscheinenden Index 2007 erstmals vor; heute wird er von der Mo Ibrahim-Stiftung herausgegeben, die dabei mit einer Reihe Wissenschaftler oder Institutionen zusammenarbeitet, auch afrikanischen. Die Transparenz bezüglich der Methodologie, der Datenherkunft und der AutorInnen ist bemerkenswert. In der 2023 veröffentlichten 14. Ausgabe enthält der Bericht die aktuell für 2012 bis 2021 verfügbaren Daten.

Danach hat sich die Regierungsführung insgesamt in den letzten zehn Jahren im Durchschnitt leicht verbessert, weil die Grundlagen für wirtschaftliche Entwicklung und die menschliche Entwicklung besser beurteilt wurden. Schlechter bewertet wurden dagegen die Bereiche Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit sowie Teilhabe, Rechte und Inklusion.

Der größte Sprung nach vorne gelang Gambia und den Seychellen, insbesondere bei demokratischer Partizipation – mit faireren Wahlen, größerer Versammlungsfreiheit und mehr Spielraum für zivilgesellschaftliche Akteure. Die meisten Verschlechterungen gab es in Libyen. Die effektivsten Regierungen hatten im Berichtszeitraum laut Index Mauritius, die Seychellen, Tunesien, die Kapverden und Botswana, während Eritrea, Somalia und Südsudan die am wenigsten effektiven Führungen hatten.

In dem Bericht wird auch darauf hingewiesen, dass in einer Reihe von Staaten demokratische Freiheiten eingeschränkt wurden, etwa in Nigeria oder im Sudan. Die Zahl der Proteste, die mit exzessiver Gewalt niedergeschlagen wurden, hat sich seit 2016 ständig erhöht. Positiv dagegen werden die in den letzten zehn Jahren verbesserte Infrastruktur sowie bessere Telefon- und Internetverbindungen bewertet, weil sie die wirtschaftlichen Entwicklungschancen vergrößert haben. Auch bei den Gesundheitsdiensten für Kinder und schwangere Frauen sowie der Bekämpfung von Krankheiten und im Bildungswesen seien Fortschritte zu verzeichnen.

Verschlechtert hat sich hingegen die Ernährungssicherheit in den letzten zehn Jahren, vor allem zwischen 2017 und 2021. Über 20 Prozent der Bevölkerung waren im Jahr 2021 unterernährt. 36 afrikanische Länder waren Nahrungsmittel-Nettoimporteure, was sie anfälliger für Preisanstiege auf dem Weltmarkt machte. Mit fast 30 Prozent hat Afrika bei weitem die höchste Getreide-Einfuhrabhängigkeit aller Weltregionen, dreimal höher als Asien.

Von den zehn friedlichsten Ländern des Kontinents hatten acht vergleichsweise effektive Regierungen und die geringste Korruption. Der Bericht stellt auch einen bemerkenswerten Trend in der Rechenschaftslegung und Transparenz von Regierungen fest. Danach stehen diesbezüglich die Länder mit Regierungschefs, die mehr als 20 Jahre im Amt waren, am schlechtesten da.

Bürger laut Afrobarometer zunehmend unzufrieden

Um auch zu dokumentieren, was die Bürgerinnen und Bürger von ihren Regierungen halten, greift der Bericht auf Daten des pan-afrikanischen Forschungsinstituts Afrobarometer zurück. Afrobarometer hat die Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger von 37 der 54 afrikanischen Länder abgefragt. Danach sind sie in wachsendem Maße unzufrieden mit der Regierungsführung – am meisten in Algerien, Namibia und Mauritius, und eher zufrieden in Ägypten, Tansania und Marokko.

Zur Unzufriedenheit trugen vor allem die Unsicherheit und Korruption bei. In 26 der 37 Länder sind die Menschen überwiegend der Meinung, die Regierungen würden weniger gegen Korruption vorgehen als vor zehn Jahren. Besonders viele Bürgerinnen und Bürger im südlichen Afrika waren dieser Ansicht – ihre Zahl wuchs doppelt so stark wie in anderen Regionen. Ähnliches gilt für die Frage nach Sicherheit. Im Jahr 2012 hatten die Menschen im südlichen Afrika die von allen Regionen am meisten positive Wahrnehmung von öffentlicher Sicherheit; 2021 hatten sie die negativste Wahrnehmung. Ganz besonders verbreitet war die Angst vor Verbrechen.

Prträt: Ulrich Post, Leiter Team Grundsatzfragen.
Ulrich Post Mitglied im Redaktionsbeirat

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