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  • Krisen & Humanitäre Hilfe
  • 06/2023
  • Sophia Brachtendorf

Hungerkrise in Nordkorea verschärft sich

Im isolierten Nordkorea spitzt sich die Versorgungslage zu: Die Kombination aus Ernteausfällen und strengen Corona-Restriktionen führt laut Beobachtern zu einer akuten Nahrungsmittelknappheit.

Überschwemmtes Reisfeld in Nordkorea. © NK News via FB

Die Lage scheint ernst: Hunderttausende Soldaten schickte Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un dieses Jahr schon zur Feldarbeit. Das Militär soll eine treibende Kraft bei der Steigerung der Nahrungsmittelproduktion werden, forderte er im Februar 2023. Fast täglich rufen die Staatsmedien die Bevölkerung dazu auf, mehr Nahrungsmittel zu erzeugen.

Was genau in dem Land vorgeht, lässt sich nur schwer beurteilen. Nordkorea ist weitgehend isoliert und hat sich wegen der Corona-Pandemie noch stärker von der Außenwelt abgeschottet also zuvor. Dennoch sind die Einschätzungen internationaler Nordkorea-Beobachter ziemlich eindeutig: Pandemie und Ernteausfälle haben die Versorgung mit Lebensmitteln in Nordkorea in den vergangenen zwei Jahren stark verschlechtert. "Nordkorea hat es mit einer komplexen humanitären Notlage zu tun, bei der die Ernährungsunsicherheit im Mittelpunkt steht", warnt der Analyst Lucas Rengifo-Keller in einem Bericht für 38 North, ein auf Nordkorea spezialisierter Thinktank. (1)

Anzeichen für Hungersnot im Norden

Die südkoreanische Entwicklungsagentur (KOICA) geht sogar davon aus, dass Menschen im Norden bereits verhungern. Es sei eine massive Hungersnot ausgebrochen. Satellitenfotos zeigten, dass Nordkorea im Jahr 2022 rund 180.000 Tonnen weniger Getreide erzeugt habe als im Jahr davor. Die Gründe für die Ernteausfälle sind eine Dürreperiode von April bis Mai sowie starke Überschwemmungen im Juli 2022. Damit dürfte sich die ohnehin chronische Nahrungsmittelknappheit weiter verschärft haben.

Die Auswertung der Satellitenfotos geschieht mit Hilfe der Normalized-Difference Vegetation Index (NDVI)-Analyse, mit der sich ziemlich detailgenau die Dichte der Vegetation in jedem Pixel berechnen lässt. So können Rückschlüsse auf die landwirtschaftliche Lage gezogen werden. Davon ausgehend lag die Getreideproduktion in Nordkorea in den vergangenen Jahren zwischen 4,4 und 4,8 Millionen Tonnen pro Jahr. Doch 5,5 Millionen Tonnen wären nötig, um alle Nordkoreaner versorgen zu können.

Auch höhere Preise für Reis und Mais deuten auf eine wachsende Knappheit hin. Die Getreidepreise werden nicht offiziell veröffentlicht, sondern von Informanten in Nordkorea an ausländische Nichtregierungsorganisationen und Medien übermittelt. Demnach hat sich vor allem der Preis für Mais stark erhöht. Dies deutet auf eine besondere Notlage hin, da Mais vor allem dann verzehrt wird, wenn der beliebtere Reis nicht mehr verfügbar ist.

Nicht zuletzt lassen auch Aussagen und Maßnahmen der nordkoreanischen Regierung auf eine schwierige Situation schließen. Staatsmedien berichteten im Februar, dass Machthaber Kim Jong-un während einer wichtigen Konferenz des Zentralkomitees der Arbeiterpartei eine Modernisierung der Landwirtschaft angekündigt hat und dazu aufrief, die Getreideproduktion zu erhöhen.

Einige Experten gehen davon aus, dass in Nordkorea derzeit die schlechteste Versorgungslage seit der Hungersnot in den 1990er-Jahren herrscht. Im Zeitraum von 1994 bis 1998 sollen in Nordkorea zwischen einigen hunderttausend und bis zu drei Millionen Menschen verhungert sein. Die Ursachen waren ungünstige Wetterbedingungen wie schwere Überschwemmungen, die die Reisernten zerstörten.

Coronapolitik hat das Land weiter isoliert

Dass sich die Lage derzeit so stark zuspitzt, liegt neben den wetterbedingten Ernteausfällen auch an der strengen Corona-Politik Nordkoreas. Nach dem Ausbruch der Pandemie hat sich das Land noch stärker isoliert. An der Grenze zu China wurden zusätzliche Zäune und eine Pufferzone eingerichtet. Wer dort ohne Erlaubnis eindringt, wird laut Befehl sofort erschossen.

Die strenge Abriegelung unterbrach auch den für die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung eigentlich unerlässlichen Schmuggel. Für Nordkoreaner außerhalb der Hauptstadt Pjöngjang sind Schwarzmärkte und der illegale Handel mit China jedoch die einzige Möglichkeit, zusätzliche Nahrungsmittel zu erhalten, wenn das schlechte Rationierungssystem des Staates nicht mehr ausreicht. Dies war insbesondere für die Landbevölkerung wichtig, da sie bei der Rationierung von Lebensmitteln häufig benachteiligt wird.

Auch den offiziellen Handel mit anderen Staaten reduzierten die Behörden stark. Das Land schickte Transportpersonal und Waren mehrere Monate lang in Quarantäne. Vor der Pandemie hatten Einfuhren aus China das chronische Versorgungsdefizit zumindest teilweise ausgeglichen. Zumindest hier deutet sich mittlerweile eine Entspannung an: Seit Anfang dieses Jahres wurde damit begonnen, die langen Quarantänebedingungen für Importe zu lockern und den Handel mit China wieder zu intensivieren.

Aufnahme von der Grenzanlage zwischen Süd- und Nordkorea 2015 anlässlich einer EU-Delegation 2015. © The European Union

Als Folge der strengen Corona-Restriktionen haben auch die wenigen in Nordkorea arbeitenden Hilfsorganisationen das Land verlassen. Sie hatten zuvor landwirtschaftliche Maschinen und Werkzeuge aus Stahl ins Land importiert – dank Ausnahmeregelungen von den Sanktionen waren diese Einfuhren möglich.

Unproduktive Landwirtschaft

Nordkorea litt schon mehrfach unter Hungersnöten – die Unterernährung der Menschen ist chronisch. Die kollektivierte und in Staatsbetrieben organisierte Landwirtschaft gilt als unproduktiv und ineffizient. Da Ernten weitgehend an den Staat abgegeben werden müssen, ist der Anreiz zur Ertragssteigerung gering. Landwirtschaftliche Betriebe sind in Kollektiven zusammengefasst. Auf privaten Märkten wird verkauft, was über die vom Staat festgelegten Ertragsquoten hinausgeht – oder was an illegalen privaten Feldern in Hanglage, bekannt als "Sotoji", angebaut wird. Diese Flächen stehen unter der Kontrolle der Forstbehörden und sind eigentlich für die Wiederaufforstung vorgesehen. Doch korrupte Forstinspektoren dulden, dass Flächen gerodet und bestellt werden.

Laut Peter Ward, Nordkorea-Experte an der Kookmin Universität in Seoul, ist eine Liberalisierung der Landwirtschaft zwingend erforderlich, um die Hungerkrise zu beenden.(2) Landwirte müssten mehr Eigentumsrechte erhalten, darüber entscheiden dürfen, was angebaut wird, und mehr von den Erträgen behalten dürfen. Dadurch würden auch Anreize für weitere verwandte Branchen geschaffen, etwa in der Produktion von Düngemitteln.

Chancen für Reformen sind gering

Zudem müsste Nordkorea mehr in die landwirtschaftliche Infrastruktur investieren, um sich gegen Unwetter zu wappnen. Die Chancen für solche Reformen seien jedoch gering, so Ward. Derzeit investiere die Führung lieber in teure Tourismusprojekte. Mehr Eigentumsrechte und die Schaffung von privaten Unternehmen würde indes die komplette soziale Ordnung Nordkoreas verändern. Wenn eine selbstbewusste Schicht von Landwirten entsteht, könnte das die Macht von Kim Jong-un untergraben.

Die letzte Reform in Richtung Marktwirtschaft war die Legalisierung des Handels und der Aufzucht von Zugochsen im Jahr 2021. Bis dahin waren diese für die kaum motorisierte Landwirtschaft wichtigen Nutztiere ausschließlich im Staatsbesitz. Trotz der aktuellen Krise und der Ankündigung von Reformen deutet sich jedoch keine weitere Liberalisierung der Landwirtschaft an. Im Gegenteil: Machthaber Kim Jong-un rief zuletzt dazu auf, die staatliche Kontrolle über die Landwirtschaft auszuweiten.

Weiterhin gilt außerdem das ideologische Prinzip von "Juche" (sprich: "Dschutsche", deutsch: Selbstständigkeit oder Autarkie) als Staatsdoktrin. Demnach soll Nordkorea möglichst unabhängig vom Ausland sein. Hilfsorganisationen werden entsprechend skeptisch gesehen. Sogar auf Covid-19-Impfstofflieferungen aus dem Ausland verzichtete das Land. Die Lebensmittellieferungen aus den befreundeten Staaten Russland und China reichen nicht aus, um das Nahrungsmitteldefizit zu decken.

Sanktionen der Vereinten Nationen und einzelner Länder, die wegen des nordkoreanischen Atom- und Waffenprogramms verhängt wurden, verschärfen die Lebensmittelknappheit zusätzlich. Die Strafen blockieren nicht nur den Handel bestimmter wirtschaftlicher Güter mit dem Ausland, sondern erschweren oder verhindern auch die Einfuhr von Waren und Rohstoffen, die für die Lebensmittelproduktion wichtig sind. Dazu gehören beispielsweise landwirtschaftliche Maschinen oder Öl, das zur Düngerproduktion verwendet wird. Zudem führen die Handelssanktionen dazu, dass Nordkorea kaum Devisen für Nahrungsmittelimporte einnehmen kann.

Um die Sanktionen zu beenden, müsste das Land sein Nuklearprogramm stoppen. Doch Diktator Kim-Jong un treibt sein Waffenprogramm unbeirrt voran. Den Preis dafür muss die Bevölkerung zahlen: Laut einer Schätzung des südkoreanischen Institute for Defense Analyses (KIDA) hätte Nordkorea im vergangenen Jahr anstelle der Investitionen in das Atomprogramm auch eine Million Tonnen Getreide importieren können.

Sophia Brachtendorf Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Seoul

Fußnoten:

(1) Lucas Rengifo-Keller: Food Insecurity in North Korea Is at Its Worst Since the 1990s Famine www.38north.org/2023/01/food-insecurity-in-north-korea-is-at-its-worst-since-the-1990s-famine/

(2) Peter Ward: North Korean Food Security and Rural Development Strategy gjia.georgetown.edu/2023/01/18/north-korean-food-security-and-rural-development-strategy/

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