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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 10/2023
  • Miriam Wiemers, Marilena Bachmeier

Welthunger-Index 2023: Kampf gegen Hunger dreht sich im Kreis

Die multiplen Krisen bremsen Fortschritte bei der Überwindung des Hungers aus. Die Jugend ist als große Bevölkerungsgruppe unverhältnismäßig stark betroffen.

Schulspeisung für bessere Ernährung: eine Schülerin der Grundschule Yith Aluk in Südsudan. © Caton/Welthungerhilfe

In diesem Jahr wird die Halbzeit der Nachhaltigen Entwicklungsziele erreicht, so dass nur noch sieben Jahre verbleiben, um das SDG2 Null Hunger zu erreichen. Bis zum Jahr 2030 bleibt fast einer dreiviertel Milliarde Menschen das Recht auf Nahrung verwehrt. Obwohl es viele Jahre lang positive Entwicklungen gegeben hat, sind die Fortschritte bei der Verringerung des Hungers weltweit praktisch zum Erliegen gekommen. Hunger ist nicht neu, und seine Ursachen sind es auch nicht - warum also bleibt die Welt weit hinter dem Notwendigen zurück, um Null Hunger zu erreichen?

Am 12. Oktober hat die Welthungerhilfe (WHH) gemeinsam mit Concern Worldwide die diesjährige Ausgabe des Welthunger-Index (GHI) veröffentlicht. Der Bericht für 2023 zeichnet ein besorgniserregendes Bild: Der globale GHI-Wert für 2023 liegt bei 18,3 und damit weniger als einen Punkt unter dem GHI-Wert von 19,1 für 2015 - dem Jahr der Umsetzung der SDGs. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der unterernährten Menschen weltweit gestiegen, von etwa 572 Millionen im Jahr 2017 auf etwa 735 Millionen. Diese Trends zeigen deutlich, dass außerordentliche Anstrengungen erforderlich sind, um wieder stärker gegen den Hunger vorzugehen und das Recht auf Nahrung für alle Menschen zu erfüllen, auch für jene Millionen, die heute jeden Abend hungrig schlafen gehen.

Können wir bis 2030 noch Null Hunger erreichen?

In den vergangenen Jahren fand ein globaler Gipfel nach dem anderen statt - darunter die Klimakonferenz, der UN-Gipfel für Ernährungssysteme und der SDG-Gipfel. Es wurden Versprechungen gemacht und Hände geschüttelt, um das Engagement für ein besseres Leben für die Menschen und den Planeten zu bekräftigen. Aber stattdessen werden wir Zeuge der Rückwärtsbewegung: Jahrzehntelange Fortschritte wurden zunichte gemacht. Was ist also geschehen - oder nicht geschehen? Und was muss getan werden, um wieder auf Kurs zu kommen? Haben wir noch Zeit?

Der Welthunger-Index will Licht in diese Fragen bringen und gleichzeitig betonen, wie dringend notwendig es ist, jetzt zu handeln!

Was ist der Welthunger-Index?

Der Welthunger-Index ist ein von Sachverständigen geprüfter Bericht, der jährlich von der Welthungerhilfe und Concern Worldwide veröffentlicht wird. Seit 2006 werden in dieser Reihe Langzeittrends des Hungers auf globaler, regionaler und nationaler Ebene gemessen und nachverfolgt. Der Bericht schärft auch das Bewusstsein für das Ausmaß und die Tragweite des Hungers in der Welt, um Anreize zum Handeln zu schaffen.

Der GHI misst den Hunger durch die Kombination der folgenden vier Indikatoren:

  1. Unterernährung: der Anteil der Bevölkerung, dessen Kalorienbedarf nicht gedeckt ist.
  2. Wachstumsverzögerung bei Kindern: der Anteil von Kindern unter fünf Jahren mit einer zu geringen Größe in Bezug auf das jeweilige Alter, ein Beleg für chronische Unterernährung.
  3. Auszehrung bei Kindern: der Anteil von Kindern unter fünf Jahren mit einem zu niedrigen Gewicht in Bezug auf die jeweilige Größe, ein Beleg für akute Unterernährung.
  4. Kindersterblichkeit: der Anteil der Kinder, die vor ihrem fünften Geburtstag sterben, was zum Teil das fatale Zusammenwirken von mangelnder Nährstoffversorgung und einem ungesunden Umfeld widerspiegelt.

Unter Berücksichtigung all dieser Indikatoren misst der Index nicht nur die Verfügbarkeit von Kalorien, sondern berücksichtigt auch die Qualität der Ernährung und die Verwertung der Lebensmittel. Auf diese Weise ist der GHI in der Lage, den multidimensionalen Charakter des Hungers zu messen. (Weitere Informationen auf Methodik-Welthunger-Index).

Was sagt der WHI 2023 über die Hungersituation in der Welt?

Nach Fortschritten ist die Hunger-Situation laut dem Bericht wieder auf den Stand von 2015 zurückgefallen. In 43 Ländern bleibt die Lage ernst, in neun alarmierend (Burundi, DR Kongo, Jemen, Lesotho, Madagaskar, Niger, Somali, Südsudan und Zentralafrikanische Republik). Südasien und Afrika südlich der Sahara sind die Weltregionen mit den höchsten und besorgniserregenden Hungerraten. Setzt sich die derzeitige Entwicklung fort, werden 58 Länder bis 2030 das Ziel eines niedrigen Hungerniveaus verfehlen – von Null-Hunger ganz zu schweigen. Die Verbreitung von Unterernährung ist seit 2017 gestiegen, und die Zahl der unterernährten Menschen hat sich von 572 Millionen auf etwa 735 Millionen erhöht.

Ein Blick auf die Faktoren, die zu diesen Rückschritten geführt haben, verweist auf sogenannte Polykrisen, die sich überall auf der Welt entfalten. Die sich gegenseitig verstärkenden Folgen des Klimawandels, von Konflikten, wirtschaftlichen Schocks, der globalen Pandemie und des Ukrainekriegs haben die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten verschärft und frühere Errungenschaften bei der Reduzierung des Hungers in vielen Ländern gebremst oder umgekehrt.

Krisen haben Ungleichheiten zwischen Regionen, Ländern und Gruppen verschärft

Während sich einige Länder als krisenfest erwiesen haben, kam es in anderen zu einer Verschärfung der Hunger- und Ernährungsprobleme. Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind im Vergleich zu Hocheinkommensländern besonders stark betroffen. Und große Bevölkerungsgruppen wie Frauen und Jugendliche tragen die Last dieser Krisen. Ernährungssysteme werden Jugend nicht gerecht.

Diese Entwicklungen legen offen, dass die heutigen Ernährungssysteme nicht nachhaltig, ungerecht, nicht inklusiv und anfällig für Umweltschäden und die gefährlichen Folgen des Klimawandels sind. Auf der elementarsten Ebene sind diese Ernährungssysteme nicht in der Lage, alle Menschen mit ausreichend nahrhaften Lebensmitteln zu versorgen.

Die derzeitige Jugendbevölkerung, die auf 1,2 Milliarden geschätzt wird, ist die größte in der Geschichte. In vielen Teilen der Welt sind junge Menschen mit harten Realitäten konfrontiert. Häufiger als Erwachsene sind sie von extremer Armut und Ernährungsunsicherheit betroffen. Und auch das Geschlecht spielt bei Hunger und Unterernährung junger Menschen eine Rolle: Junge Frauen trifft es besonders hart, obwohl ihre Gesundheit und der Ernährungszustand für künftige Generationen so wichtig sind. und die Ungleichheit der Geschlechter wird durch unbezahlte Arbeit im Haushalt noch verschärft.

Die COVID-19-Pandemie hat Jugendliche, die besonders anfällig für Arbeitslosigkeit und Krisen sind, empfindlich getroffen. Weltweit ist mehr als einer von fünf jungen Menschen nicht in Ausbildung, Beschäftigung oder Fortbildung. Die Arbeitslosigkeit ist unter Jugendlichen dreimal so hoch wie unter Erwachsenen, und junge Menschen arbeiten häufiger im informellen Sektor.

Zwar ist eine Beschäftigung in der Agrar- und Ernährungswirtschaft für junge Menschen oft leichter zu finden, da sie nur geringe Anforderungen an Kapital und Fähigkeiten stellt. Für viele Jugendliche ist die Landwirtschaft als Beschäftigung aber der letzte Ausweg, auf dem nur wenig herausspringt. Um sich produktiv im Lebensmittelsektor zu betätigen, fehlen ihnen oft die nötigen Ressourcen, das Land, die Fähigkeiten und die Gelegenheiten.

Diese Hindernisse verbunden mit der fehlenden Ernährungssouveränität, einschließlich des Verlusts indigener und lokaler Landwirtschafts- und Wissenssysteme und des eingeschränkten Zugangs zu Saatgut, halten viele junge Menschen von der Landwirtschaft und einer ländlichen Existenz ab. Zugleich erben sie diese Ernährungssysteme, die den Bedürfnissen der Menschen und des Planeten nicht gerecht werden. Ihre Beteiligung an Entscheidungen, die ihre Zukunft betreffen, bleibt begrenzt.

Junge Frauen an einer verbesserten Wasserstelle im Dorf Kolloma in Niger. © Vaughan/Concern

Zentrale Rolle in der Transformation der Systeme

Um die Kraft und das Potenzial der Jugend bei der Umgestaltung der Lebensmittelsysteme freizusetzen, müssen ihre Fähigkeiten gestärkt werden. Landwirtschaft und die Lebensmittelsysteme brauchen attraktive und tragfähige Existenzgrundlagen. Erforderlich sind dafür Investitionen in die (Berufs-)Bildung junger Menschen, in ihre Gesundheit und in den Zugang zu Krediten und Land. Die ländliche Wirtschaft muss vielfältiger werden, und Investitionen sollten sich auf den Aufbau nichtlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze im gesamten Lebensmittelsystem konzentrieren - mit angemessenen Löhnen und Arbeitsbedingungen.

Schon jetzt gründen junge Menschen weltweit eigene Organisationen und Initiativen, die ihre Wahrnehmung der globalen Herausforderungen verändern, soziale Innovationen vorantreiben und ihre Bereitschaft zeigen, Teil der Lösung zu sein. Jetzt müssen sie gehört und in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Die sinnvolle Einbindung junger Menschen in Führungspositionen kann ihr Potenzial als innovative Akteure des Wandels freisetzen und ihre Energie und Dynamik für die Transformation der Ernährungssysteme erschließen.

Unsere Taten heute - und die, die wir unterlassen - werden die zukünftigen Bedingungen im Ernährungssystem bestimmen, aber es sind die jungen Menschen von heute, die in den kommenden Jahrzehnten damit leben werden. Eine langfristige Perspektive, die das Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität in den Mittelpunkt der Lösungen stellt, wird die Lebensumstände, Optionen und Wahlmöglichkeiten der jungen Menschen berücksichtigen und für Generationengerechtigkeit sorgen.

Beispiele für Fortschritt und Hoffnung

Der Welthunger-Index 2023 offenbart eine ernüchternde Realität und unterstreicht die Dringlichkeit des Handelns. Er zeigt aber auch, dass sich entschlossenes Handeln auszahlt. Trotz der weltweiten Herausforderungen und der jüngsten Stagnation der Hungersituation auf globaler Ebene haben einige Länder seit 2015 bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Mit verstärkten Anstrengungen können wir eine Zukunft schaffen, in der alle Menschen Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln haben und in der junge Entscheidungsträger einen nachhaltigen Wandel in unseren Ernährungssystemen vorantreiben.

Die Kräfte des Klimawandels und der Ungleichheit verändern die Welt. Es ist unerlässlich, dass die Regierungen viel mehr tun, um den Hunger bis 2030 zu beenden und überdies an der Umgestaltung der Ernährungssysteme zu arbeiten. Es bedarf außerordentlicher Anstrengungen, damit das Recht auf angemessene Nahrung respektiert, geschützt und erfüllt wird, und zwar nicht nur für die Millionen von Menschen, die derzeit jede Nacht hungrig zu Bett gehen, sondern auch für die Milliarden von Menschen, die bis weit in die Zukunft hinein die Last von Krisen schultern werden, die sie nicht selbst verschuldet haben - die sich verschärfenden Konsequenzen von Konflikten und Klimawandel.

Vor allem aber müssen wir über die verstärkten Bemühungen zur Erreichung eines Ziels hinaus stets die menschlichen Wirklichkeiten hinter den Zahlen im Auge behalten. Der aktuelle Bedarf an humanitärer Hilfe ist gewaltig und muss gedeckt werden, aber wir müssen auch sehen, dass Hunger sich so schnell und so stark ausbreitet, weil Millionen von Menschen bereits am Rande des Hungers lebten - ein Erbe des vergangenen Versagens beim Aufbau gerechterer, widerstandsfähigerer und inklusiverer Ernährungssysteme.

Portrait-Foto von Miriam Wiemers.
Miriam Wiemers Team Politik und Außenbeziehungen
Marilena Bachmeier Welthungerhilfe

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