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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 10/2022
  • Prof. Dr. Anna-Katharina Hornidge , Dr. Michael Brüntrup
Schwerpunkt

Afrikas anschwellende Hungerkrise: Was können G7 und G20 dagegen tun?

Die Industriestaaten tragen eine besondere Verantwortung in den aktuellen Krisen. Sie können Vorbild sein und multilateral werben, aber im Kreis der Schwellenländer bedarf es hoher Sensibilität – um Fortschritte zu erreichen statt Blockaden.

Frauen in Niger inspizieren ein Getreidelager. Ernährungssicherheit hängt auch an der Infrastruktur von Lagerstätten. © FAO/Giulio Napolitano

Die Welt steht derzeit vor einem gewaltigen Berg von Problemen. Während der Westen stark mit sich selbst bzw. dem russischen Krieg in der Ukraine beschäftigt ist, bedrohen dieser und mehrere weitere sich überlagernde Krisen die wirtschaftliche Entwicklung und die Armutsbekämpfung insbesondere in den Ländern Subsahara-Afrikas und im Extremfall die Ernährungssicherung von vielen Millionen Menschen:

  1. Die Folgen der Covid-Pandemie haben die Einkommen insbesondere der städtischen Bevölkerung reduziert, ihre Rücklagen aufgebraucht und viele Wirtschaftssektoren wie den Tourismus beeinträchtigt. Auch viele agrarbasierte Lieferketten wurden und sind weiterhin gestört. Während der Erholung von der globalen COVID-Krise kam es zu einer Überhitzung auf vielen Märkten, insbesondere bei Energie, Rohstoffen und Agrarprodukten, und damit hohen Nahrungsmittelpreisen.
  2. Der Ukraine-Krieg bewirkte durch die Unterbrechung und den Boykott von Getreide- und Betriebsmittellieferungen aus den kriegsführenden Ländern, durch Energie- und Gasengpässe sowie durch allgemeine Verunsicherung nochmals einen starken Preisausschlag auf diesen Märkten. Zwar sind die Preise aktuell auf Vorkriegsniveau zurückgegangen, aber die weiterhin hohen Dünger- und Gaspreise dürften die Agrarpreise mittelfristig wieder ansteigen lassen.
  3. Die öffentlichen Kassen in Entwicklungs- und Industrieländern stehen durch die COVID- und kriegsbedingten Interventionen unter Stress, viele Länder haben sich tief verschuldet, vielen Entwicklungsländern droht eine Verschuldungskrise. Der Internationale Währungsfonds stuft momentan 60 Prozent der Niedrigeinkommensländer und 25 Prozent der Länder mittleren Einkommens als in ‚debt distress‘ ein. Staatliche Programme und Entwicklungszusammenarbeit für soziale Sicherung, wirtschaftliche Hilfen oder Wiederaufbau drohen damit schwerer finanzierbar zu werden. Auch die Mobilisierung privaten Kapitals wird weiter erschwert.
  4. Auf Ebene der Konsumenten setzt die weltweite Inflation vielen zu und reduziert die Kaufkraft, was insbesondere für ärmere Bevölkerungsschichten – auch am Ende von Lieferketten – existenzbedrohend sein kann. Außerdem zwingt sie die Zentralbanken zu Leitzinserhöhungen und verstärkt damit die oben genannte Finanzierungsproblematik.
  5. Der sich immer stärker bemerkbar machende Klimawandel bedroht zunehmend wirtschaftliche Aktivitäten und Erträge insbesondere in der Landwirtschaft und verteuert Nahrungsmittel für Konsumenten. Vermehrte großflächige Extremwetterereignisse lassen die Agrarmärkte und -preise stärker schwanken. Einkommen von Landwirten und damit auch Kleinbäuerinnen sind auf komplexere Weise betroffen: Höhere Preise sind eigentlich vorteilhaft, aber große Schwankungen wirken sich negativ aus.
  6. Auch andere globale Umweltrisiken verstärken sich – insbesondere die Bodenerosion, die Wasserverfügbarkeit und -qualität sowie die Biodiversität. Sie alle sind gerade für nachhaltigen Produktivitätserhalt und Produktionssteigerungen in der Landwirtschaft von besonderer Bedeutung. Dies fordert die existierenden Wissenssysteme heraus, weist Grenzen auf und verlangt nach der Entwicklung lokal-eingebetteter Lösungsansätze im Umgang mit diesen Risikodynamiken.
  7. Die Globalisierung, deren Verlangsamung sich schon länger abzeichnete, dürfte durch die jüngsten Krisen einen weiteren heftigen Dämpfer erhalten. Das Re-shoring von internationalen Lieferketten in Hocheinkommensländer, die Unsicherheiten auf den internationalen Märkten und die sich wahrscheinlich anbahnende geopolitische Spaltung der Welt wird zu globalen Wachstumsschwächen führen. Die in drei Dekaden erzielten Verbesserungen bei Einkommen und Armut in vielen Teilen der Welt, insbesondere in Asien, sind zumindest teilweise in Gefahr. Darunter wird auch die Leistungsfähigkeit des Westens leiden, internationale Entwicklungshilfe zu leisten.
Feldversuch: In Zentraltunesien wurde eine mexikanische Weizensorte mit hohem Ertrag erprobt. © FAO/Florita Botts

Hunger ist Hypothek für die Zukunft

Die kumulierten Folgen der schon wirkenden Krisen auf die globale Ernährungssicherheit sind enorm. Simulationen der Welternährungsorganisation (FAO) schätzen, dass durch den Ukrainekrieg die Zahl der unterernährten Menschen je nach Szenario um 7 bis 19 Millionen zunehmen könnte. Schon 2020 war die Zahl der Hungernden um über 100 Mllionen gewachsen, 2021 um weitere 45 Millionen. Dabei gab es schon davor ein großes strukturelles Problem der Unterernährung: Zwischen 2010 und 2019 waren nie weniger als 570 Millionen Menschen von Hunger betroffen. Hin zukommen gravierende Probleme der Unterversorgung mit Mikronährstoffen für gut viermal so viel. Während die absolute Zahl der Hungernden in Asien immer noch am höchsten ist, mit dem Spitzenreiter Indien, ist Afrika mit über 20 Prozent der Bevölkerung der Kontinent mit dem höchsten Anteil. Damit ist Afrika das Sorgenkind der Welternährung.

Hunger ist aber nicht nur eine Katastrophe für Einzelne, sondern eine Hypothek für die Zukunft und eine gravierende Menschenrechtsverletzung. Er schwächt gesellschaftlichen Zusammenhalt und Krisenstandhaftigkeit, fördert Perspektivlosigkeit und Migration, innerhalb von Landesgrenzen und darüber hinaus. Hunger ist somit ein Risiko für politische Stabilität, prägt Regime, wird zur Waffe und Teil geopolitischer Machtaushandlungen. Damit bedrohen die Folgen von Hunger insbesondere in den Nachbarregionen auch unmittelbare Interessen des Westens.

Was ist zu tun?  Ziehen G7 und G20 an einem Strang?

Die multiple Krise lässt keine einfachen Antworten zu. Lösungen müssen kurz-, mittel- und langfristig gestaffelt werden. Die langfristige Bekämpfung der genannten tieferen Ursachen der Krise wie menschengemachter Klimawandel, Degradierung der natürlichen Ressourcen, Armut und Ungleichheit und insbesondere Kriege ist unabdingbar. Allerdings sind dies Empfehlungen auf einem Abstraktionsniveau, das für die Hungerkrise nicht ausreichend handlungsleitend und zu schwierig zu erfüllen sind.

Die G7 haben sich unter deutscher Präsidentschaft der Ernährungskrise angenommen. Es wurden hochrangige Diskussionen organisiert, der Landwirtschaftsstrang der G7 aktiviert und in diesem ein Bündel von kleineren Maßnahmen beschlossen, erhebliche zusätzliche Mittel für kurz- und mittelfristige Schritte zur Ernährungssicherung über internationale Organisationen wie Weltbank, Welternährungsprogramm (WFP), FAO und IFAD verfügbar gemacht, und es wurde die Global Alliance for Food Security (GAFS) zur besseren Koordinierung initiiert.

Allerdings waren die Konsultationen mit Entwicklungs- und Partnerländern über Sanktionen gegen Russland nicht überzeugend. So wurde bspw. die Versorgung mit Düngern und anderen landwirtschaftlichen Betriebsmitteln deutlich weniger sensibel gehandhabt als etwa die heimische Gasversorgung. Vorwürfen, der Westen trage (Mit-)Verantwortung an der Nahrungsmittelkrise, wurde dadurch Vorschub geleistet.

Viele G20-Länder, darunter Indonesien, und Entwicklungsländer teilen deutlich andere Sichtweisen und Interessen zu dem Konflikt, zu den jetzt anstehenden Maßnahmen sowie zu dem sich anbahnenden geopolitischen Systemkampf. Die Sicherung der Ernährung gehört dezidiert zu den strittigen Themen.  

Entwicklungsstaatssekretär Jochen Flasbarth brandmarkt den russischen Krieg gegen die Ukraine beim Treffen der G20-Fachminister in Indonesien als Gift für eine nach vorn gerichtete Zusammenarbeit der Staaten. © G20 Indonesia Press

Was können die G7 für die erforderliche Agenda tun? Um diese Frage zu beantworten, muss man in Betracht ziehen, dass sich die Rahmenbedingungen für globale Initiativen der G7 geändert haben und weiter ändern werden. Die G7 sind global nicht mehr so einflussreich wie in früheren Zeiten. Dies gilt insbesondere auch für den Agrarbereich, in dem Schwellenländer in den letzten Dekaden substantiell aufgeholt haben. Auch in Bezug auf die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten überwiegen Länder niedrigen und mittleren Einkommens schon lange.

In einer zunehmend multipolaren Welt gerät auch die politische Führungsrolle zunehmend unter Druck, und die geopolitische Neuordnung der Welt in Folge des Russland-Krieges, der wachsenden Entfremdung von China und der Erstarkung einiger Mittelmächte wie der Türkei oder dem Iran wird diese Tendenz eher zunehmen. Dennoch bleiben die G7 die wichtigste Staatengruppe, und ein Engagement im globalen Agrar- und Ernährungssektor ist einerseits auf diese Gruppe angewiesen und kann andererseits auch ihre Rolle stärken.

Fairerweise größeren Anteil

Zugleich haben die G7-Länder neben ihrer auch heute noch herausragenden Finanzstärke eine besondere historische Verantwortung für die Krisen unserer Zeit zu tragen. Sie müssten von daher fairerweise einen größeren Teil der Ausgaben tragen, die sich kurzfristig für Nahrungsmittel- und andere Nothilfe sowie mittel- bis langfristig für die externe Unterstützung von Entwicklung und Transformation ergeben. Die wichtigste Quelle ist die offizielle Entwicklungshilfe (Official Development Assistance, ODA). Verschiedene Kalkulationen ergeben zwischen 300 und 1.200 Dollar pro Kopf von 2015-2030, um Hunger und Unterernährung durch eine Mischung aus sozialen Sicherungsmaßnahmen, Ernährungskampagnen und armutswirksamem Wachstum mit Schwerpunkt Land- und Ernährungswirtschaft weltweit zu beseitigen.

Die CERES-Studie eines Konsortiums führender Forschungsinstitute unter Leitung des Zentrums für Entwicklungsforschung der Universität Bonn von 2020 bleibt mit zusätzlichen 14 Mrd. Dollar pro Jahr von 2020 bis 2030 am unteren Ende der Spanne. Auch wenn dies wahrscheinlich schon damals eine Unterschätzung war und mittlerweile deutlich erhöht werden muss, scheint diese Dimension doch realisierbar angesichts einer Gesamt-ODA von 168 Mrd. Dollar (2019) (Corona-bedingt 178,9 Mrd. Dollar in 2021) und 17 Mrd. Dollar für den Sektor der Landwirtschaft inklusive ländlicher Entwicklung. Die Umsetzung setzt natürlich die Kooperation mit den Zielländern voraus und enthält nicht die Kosten für die Änderungen der politischen und institutionellen Rahmenbedingungen.

Die Transformation des gesamten Ernährungssektors wird deutlich teurer. Eine Studie für die Business and Sustainable Development Commission kalkuliert mit Investitionskosten von 320 Mrd. Dollar, die in 14 Geschäftsbereichen des globalen Agrar- und Ernährungssystems zu verbesserter Nachhaltigkeit führen. Dabei würde ein Umsatz von 2,3 Trillionen Dollar erzielt, bei einem geschätzten Gesamtumsatz von 11,4 Trillionen Dollar. Dies sind private Investitionen inklusive der Landwirtschaft. Bei entsprechender Wirtschaftlichkeit und Stabilität der Rahmenbedingungen dürften diese Dimensionen kein Problem sein. In vielen Fällen braucht es dafür aber substantielle öffentliche Investitionen: in Forschung, öffentliche Infrastruktur, Gesetzgebung für sozial-ökologische Leitplanken und deren Umsetzung.

Ein Mähdrescher erntet Sommerdurum in Italien. Die Getreideernte 2022 fällt gut aus, aber die Weltmarktpreise bleiben hoch. © FAO/Alessia Pierdomenico

Subventionen und Handel

Die oft schon erheblichen nationalen Stützungsmaßnahmen für die Landwirtschaft können stärker auf Nachhaltigkeitsziele fokussiert werden. Sie beziffern sich global auf mindestens 540 Mrd. Dollar, allerdings oft ausgerichtet auf Maßnahmen, die verzerrend (und damit ineffizient), ungleich verteilt und schädlich für die Umwelt und die menschliche Gesundheit sind. Die G7 sollten hier vorangehen, etwa im Rahmen der zukünftigen Reform der gemeinsamen Agrarpolitik der G7-Länder Deutschland, Frankreich und Italien im Geiste des "Green New Deals" der EU.

Auch die bi- und plurilateralen Abkommen der G7-Länder mit Partnerländern in Bereichen wie Handel, Investitionen oder Eigentumsrechten können die Ernährungssicherheit und die Agrar- und Ernährungssysteme beeinflussen – und müssen jeweils partnerschaftlich verhandelt und sorgfältig evaluiert werden. Auch hier können die G7 eine wichtige Rolle spielen: durch die Förderung von internationaler Forschung und der Schaffung von globalem Wissen und Technologien, durch die Finanzierung von Infrastruktur (zum Vergleich: Die neue G7-Initiative für globale Infrastruktur wird mit 600 Mrd. Euro von 2022-2027 beziffert), und gezielte Förderung von Innovationsprozessen in Partnerländern.

Bestimmte Akteure, insbesondere Kleinbäuer*innen und andere Akteure des informellen Sektors in ärmeren Ländern benötigen auch zusätzliche finanzielle Unterstützung und Zugang zu Krediten, um ihre Produktionen umzustellen. Auch bei diesen Unterstützungen privatwirtschaftlicher Investitionen spielt die ODA eine Rolle, aber wichtiger sind wiederum private Mittel.

Multilateraler Einfluss in der Krise

Für die Gestaltung des politischen, institutionellen und ökonomischen Umfeldes der Transformation sind in erster Linie die einzelnen Staaten zuständig, in jeweils ausgewählten Bereichen auch Regionalorganisationen wie die Europäische Union. Die G7 können dieses Umfeld außer durch bilaterale Abkommen und genannte Aktivitäten insbesondere durch ihren Einfluss in internationalen Organisationen beeinflussen. Dazu gehören FAO, WTO, WFP, IFAD, die Weltbank und regionale Entwicklungsbanken, das CGIAR, die großen Umweltkonventionen und einige andere.

Das Gipfeltreffen der G20-Industrie- und Schwellenländer im vergangenen Jahr in Italien. © Government of Brazil - Planalto Palace, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons

Genau dieses Feld der internationalen Beziehungen ist allerdings, wie eingangs erwähnt, selbst in einer Krise bzw. befindet sich in sehr dynamischen, auch geopolitischen Turbulenzen. Es bedarf daher sehr hoher Sensibilität sowohl für die globalen fachlichen Probleme der Agrar- und Ernährungslage sowie auch für die politischen Konstellationen und Interessenlagen, um hier Fortschritte zu erreichen statt Blockaden oder gar Rückschritte.

Eine weitere wichtige Rolle der G7 für die Transformation des Agrar- und Ernährungssektors ist die Vorbildfunktion: Wer wenn nicht diese Länder, in denen die Unterstützung für die Landwirtschaft astronomische Summen beträgt, wo Konsumenten auf international hohem Niveau geschützt und gestützt werden, wo Staat, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Privatsektor höchst leistungsfähig sind, die generelle Bildung und die politische Teilhabe der Bevölkerung hoch sind, kann eine Transformation zu mehr Nachhaltigkeit durchsetzen?

Rolle der G20

Was können die G7 im Kreis der G20 für die Agenda tun? Es sei daran erinnert, dass die G7-Länder Teil der G20 sind. Die Musik der Zukunft spielt in vielen Bereichen – und gerade auch im Agrar- und Ernährungssektor – in den bevölkerungsstarken und flächenintensiven Schwellenländern. Umso wichtiger ist es von Seiten der G7 und im kontinuierlichen Austausch innerhalb der G20 auf globale Ernährungssicherung durch grenzüberschreitende Kooperation hinzuwirken.

Dies erfordert für die laufende deutsche G7-Präsidentschaft ebenso wie für die ab 2023 folgende Präsidentschaft Japans, stets den engen Austausch mit der jeweiligen G20-Präsidentschaft zu pflegen. In 2022 sind dies Deutschland und Indonesien – und die Kooperation scheint trotz der Blockade des G20-Prozesses durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zumindest in Teilen gelungen (s.o.).

Indonesien will – wie wahrscheinlich einige andere G20-Länder und viele Entwicklungsländer – die globale Ordnung nicht radikal gestört sehen und sich nicht zwischen den Lagern entscheiden müssen. So reiste der Präsident Jokovi im Juni/Juli sowohl nach Kiew als auch nach Moskau, um auf die schweren Belastungen seines Landes durch hohe Agrar-, Dünger- und Energiepreise aufmerksam zu machen und sich als Vermittler zu präsentieren. Anfang Oktober äußerte der indonesische Gastgeber der Vize-Finanz- und Agrarminister: “Es liegt in unserer Verantwortung, zu beweisen, dass die G20 den Geist des Multilateralismus bewahrt, ihn in die Tat umsetzt und ein wirksames Forum für die Bewältigung globaler Herausforderungen ist – insbesondere bei der Bewältigung der unsicheren Ernährungslage.” Er bekräftige zudem “unsere Unterstützung für ein offenes, transparentes, integratives, berechenbares und nichtdiskriminierendes, auf Regeln basierendes multilaterales Handelssystem”.  

Eine Woche später legte der Agrarminister in Washington nach: “... die indonesische G20-Präsidentschaft [setzt] eine Strategie zur Steigerung der Produktionskapazität für Lebensmittel, zur Eindämmung der Inflation, zur Verringerung der Importe und zur Steigerung der Lebensmittelexporte um.” Diese Marschrichtung zur Produktionssteigerung und Intensivierung strategischer Güter kontrastiert mit dem weitgehenden Festhalten vieler G7- und Industrieländer an Strategien der Extensivierung, wie etwa der EU im Rahmen des Green New Deals. Hier deuten sich somit Interessen-, Ziel- und Politikkonflikte an, z.B. beim globalen Wald-, Umwelt- und Klimaschutz.Entscheidend für die weitere Ausbildung von ‚Global Leadership‘ werden die kommenden Jahre unter den G20-Präsidentschaften Indiens (2023), Südafrikas (2024) und Brasiliens (2025) sein. Die Rolle der G7 wird es dann sein, das globale Führungsverständnis, das sich als Teil dieser G20-Präsidentschaften durch große Schwellenländer aus Asien, Afrika und Lateinamerika neu ausformen wird, mit zu prägen – und zwar basierend auf Werten partizipativer und inklusiver Entscheidungsfindung, respektvoll gegenüber ethnischer und religiöser Vielfalt, Geschlechtergerechtigkeit und unter Wahrung der 1948 verabschiedeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auf Ebene der Vereinten Nationen.

Die von der Weltgemeinschaft 2015 gemeinsam verabschiedeten Nachhaltigen Entwicklungsziele dienen hierbei außerdem als konkrete Leitplanken, bedürfen aber der jeweils kontext-spezifischen Umsetzung auf allen Ebenen. 

Kurz-, mittel- und langfristige Handlungsstränge

Ob G7 oder G20: Folgende Schritte können eine etwas konkretere Orientierung für den Umgang mit den aktuellen Krisen bieten. Sie müssen im Einzelnen immer weiter auf die jeweilige Situation vor Ort angepasst werden.

Kurzfristig ist eine Stabilisierung der Agrarmärkte, der Preise, der Kaufkraft und der staatlichen Unterstützungskapazitäten für die unmittelbar Betroffenen notwendig. Die Wiedereröffnung der Agrarexporte aus der Ukraine und Ausnahmen für Gas-, Dünger-, und andere landwirtschaftliche Betriebsmittel von Boykottmaßnahmen sind wichtige Maßnahmen, um das Angebot von Nahrungsmitteln kurzfristig auszuweiten. Die kürzlich in der Welthandelsorganisation vereinbarte Ausnahme von Exportbeschränkungen für Nahrungseinkäufe des Welternährungsprogramms (WFP) war ein wichtiger Schritt für die Nahrungsmittelhilfe.

Getreidekorridor: UN-Generalsekretär Guterres inspiziert in Istanbul die Passage von Frachtern aus der Ukraine. © UN Photo via Flickr

Die Mittel für Nahrungsmittelhilfe müssen erhöht werden, insbesondere für die Länder und Regionen, in denen sich zu den genannten Krisen noch lokale Kriege und Bürgerkriege, Dürren und Überflutungen oder Flüchtlingsströme gesellen, die die nationalen Regierungen überfordern – Somalia, Jemen, Pakistan oder Nordäthiopien sind akute Kandidaten. Sonderkredite und -zuschüsse für notleidende Staaten – insbesondere aus der Kategorie Low-Income Food Deficit Countries der FAO – sind überfällig. Zu prüfen ist neben verteuerten „Veredelungsprodukten“ auch die Frage, wo sich Futtermittel und Rohstoffe für die Bioenergie zugunsten des menschlichen Verzehrs umlenken lassen. Ebenfalls kurzfristig muss die nächste Ernte gesichert werden – viele Landwirte haben zwar bei höheren Preisen einen Anreiz, mehr zu produzieren, können sich aber die exorbitant gestiegenen Düngerpreise nicht leisten. Hier sind Subventionen für Düngemittel in ökologisch wenig bedenklichen Situationen sowie verbesserter Kreditzugang angezeigt.

Mittelfristig, d.h. mindestens in den nächsten zwei Jahren, dürften die Energie- und Agrarpreise hoch bleiben – und damit der Bedarf an angebotssteigernden und preisdämpfenden Maßnahmen. Die Umlenkung von Veredelungs- zu direkten menschlichen Nahrungsmitteln kann mittelfristig stärker zum Tragen kommen. Doch sollten diese Nutzungen nicht zu radikal gekürzt werden, da sie für kommende Angebotskrisen auch wichtige Puffer darstellen können. Es dürfte weiter nötig sein, die globale Gewinnung, Verarbeitung und Verteilung von Dünge- und anderen Betriebsmitteln teilweise umzuverteilen – insbesondere, solange die Versorgung aus Russland und Belarus gefährdet ist und Gaspreise hoch bleiben.

Für viele Länder mit Agrarpotenzial ergeben sich auch große Chancen, die Agrar- und Ernährungssektoren zu beleben und damit auch wichtige Wachstumsimpulse zu geben. Durch die hohe Arbeitsintensität und oft niedrigen Qualifikationsanforderungen schaffen diese Sektoren in der Regel beschäftigungsstarkes Wachstum mit Armutsminderungspotentialen in der Breite der Gesellschaften. Diese Aktivierung erfordert staatliche Investitionen und wachstumsförderliche Politiken, insbesondere für die Anregung privater Investitionen durch Landwirte und Firmen in Sektoren, die der Landwirtschaft vor- und nachgelagert sind.

Langfristig bleibt eine weitergehende Transformation der Agrar- und Ernährungswirtschaft notwendig und kann durch die Krise – wie in Europa die Energiewende – befördert werden. Dabei kann diese Transformation nicht überall auf der Welt gleich aussehen, dazu sind technologische, wirtschaftliche und soziale Entwicklungen, die Problemlagen und die Potentiale viel zu unterschiedlich. Vielmehr müssen lokale und regionale Transformationspfade von lokalen Akteursnetzwerken (und unterstützt durch transregionale Kooperationen) entworfen und begangen werden. Wie wohl kein anderer Bereich sind Landwirtschaft und Ernährungssysteme standortabhängig.

Niedrig- und Mitteleinkommensländer müssen priorisieren

Während in vielen Industrieländern die gesamtwirtschaftliche und Arbeitsmarkt-Bedeutung der Landwirtschaft minimal ist, ist sie in vielen Niedrig- und Mitteleinkommensländern dominant. Während in Hocheinkommensländern Überversorgung und Lebensmittelverschwendung herrschen, reicht in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen Mangel oft noch in die Mittelschichten hinein – allerdings zunehmend auch Fehl- und Überernährung in den urbanen Räumen.

Die Umweltschäden durch die Landwirtschaft sind fast überall gravierend, allerdings regional verschieden und oft aus höchst unterschiedlichen Gründen: Böden werden durch Über- und Unterdüngung und -nutzung geschädigt; Grundwasser und Gewässer werden teilweise übernutzt und verunreinigt, teilweise bleiben sie für die Bewässerung fast ungenutzt; Wälder und Biodiversität werden durch große Agrarunternehmen und Plantagen, aber auch durch Kleinbetriebe gerodet, zerstört und degradiert. Wichtig ist daher, standort- und kontext-angepasste nachhaltige Lösungen zu finden. In Hocheinkommensländern wird dies meistens eine Reduktion der Intensitäten bedeuten, in Niedrigeinkommensländern müsste es eigentlich eine Intensivierung geben, in vielen Fällen dazwischen einen neuen Mix aus Technologien, Wirtschaftsweisen und territorialen Mustern der Landnutzung.

Insbesondere in Niedrig- und Mitteleinkommensländern müssen Forschung und Beratung, Innovationsförderung, Mechanisierung und Bewässerung, Verarbeitung sowie Infrastruktur der ländlichen Räume stärker priorisieren als in der Vergangenheit. Wichtige Bereiche dieser Transformation wären die jeweilige Zonierung von landwirtschaftlicher Nutzung und der Konservierung von Naturräumen, die Beachtung von agrarökologische Anbauprinzipien, verbesserte Sorten, gemäßigter Ausbau der Nutzung externer Betriebsmittel, angepasste Mechanisierung und Bewässerung, Modernisierung und Reduzierung von Verlusten entlang der Lieferketten. Eine kluge Integration in den internationalen Agrarhandel ist ein wichtiger Baustein für Resilienz gegenüber nationalen Schocks und für die Sicherung von Effizienz durch Wettbewerb.

Aber auch jenseits der Ernährungssysteme sind Entwicklungen nötig, um den globalen Hunger zu bekämpfen: Beim Ausbau der sozialen Sicherungssysteme, arbeitsintensivem nicht-landwirtschaftlichem Wachstum, stabilen makro-ökonomischen Rahmenbedingungen und der Bildung von Rücklagen durch private Haushalte und Staaten.

Die Autoren sind WissenschaftlerInnen am German Institute of Development and Sustainability (IDOS, ehemals Deutsches Institut für Entwicklungspolitik). Frau Hornidge (Direktorin des IDOS) füllt zusätzlich eine Professur für globale nachhaltige Entwicklung an der Universität Bonn aus.

Prof. Dr. Anna-Katharina Hornidge German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
Dr. Michael Brüntrup German Institute of Development and Sustainability (IDOS)

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