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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 10/2023
  • Dr. Bernhard Dalheimer

Globale Nahrungsmittelketten: Auslöser oder Stoßdämpfer von Preis- und Lieferkrisen?

Wohlfahrtseffekte des Welthandels helfen gegen Hunger. Ein Nachteil der Wertschöpfungsketten sind schwankende Preise. Wo entsteht die Instabilität – und wer sind die Leidtragenden?

Frische Birnen: Früchte aus Argentinien reisen zum Einmachen bis nach Thailand © Marco Verch https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/ via Flickr

In den vergangenen Jahren sind Lieferengpässe bei Nahrungsmitteln allgegenwärtig geworden. Selbst Konsumenten in Deutschland fanden kurz nach der Invasion Russlands in die Ukraine leere Supermarktregale vor, wo sonst Sonnenblumenöl zu finden war. Die Exporte aus der Region waren ausgeblieben. In Teilen Nordafrikas fehlten die Weizenimporte, Bäcker konnten keine Aufträge mehr annehmen. Die Ernährungssicherheit der Region verschlechterte sich. Auch außerhalb des Nahrungsmittelsektors sind Engpässe und Preisschocks in der jüngeren Vergangenheit keine Seltenheit – wie im Frühjahr 2020, als die Welt dringend Masken benötigte und die produzierenden Länder nicht genügend exportieren konnten.

Die Politik hat auf Versorgungsengpässe im Wesentlichen eine Antwort: mehr Produktion zu Hause – weniger Abhängigkeit von Handelsketten. Lokale Herstellung von Nahrungsmitteln, oder auch von anderen Gütern wie Computerchips und Halbleitern, wird weltweit zunehmend unterstützt; die Einfuhr bestimmter Produkte beschränkt. Kombiniert mit Umweltbedenken und dem Interesse der Konsumenten an "lokalen" Nahrungsmittel-Wertschöpfungsketten haben viele Regierungen begonnen, solche Produktionssysteme zu fördern: In Deutschland etwa die im August 2023 verabschiedete Bio-Außer-Haus-Verpflegung-Verordnung zur Verwendung regionaler Produkte in Mensen und Kantinen; in den USA das Local Food Purchase Assistance Cooperative AgreementProgram zum Kauf von lokalen Nahrungsmitteln in öffentlichen Einrichtungen. Außerdem subventioniert der US-Inflation Reduction Act (IRA) heimische Wertschöpfung mit insgesamt 400 Mrd. Dollar.

Allerdings wissen wir aus der Handelstheorie, dass globale Wertschöpfungsketten und internationaler Handel zu Wohlfahrtsgewinnen führen. Stimmt es nun also, dass lange internationale Lieferketten auch zu Instabilität und weniger Resilienz in der Nahrungsmittelversorgung führen? Mit dieser Frage habe ich mich zusammen mit meinen Kollegen Marc F. Bellemare von der University of Minnesota und Sunghun Lim von der Louisiana State University in einem neuen Arbeitspapier beschäftigt. (Dalheimer, Bernhard, Bellemare, Marc F. and Lim, Sunghun, Global Agricultural Value Chains and Food Prices, Working Paper, 2023).

Nahrungsmittelproduktion wird immer globaler

Globale Wertschöpfungsketten in der Nahrungsmittelwirtschaft betreffen Produkte, die auf dem Weg vom Feld auf den Teller mindestens zwei Grenzen überschreiten. Dazu zählen zum Beispiel eingelegte Birnen, die in Argentinien geerntet wurden, zur Verpackung und Weiterverarbeitung nach Thailand verschifft und letztendlich in Europa oder den USA konsumiert werden. Ein anderes Beispiel sind Nordseekrabben, die in der Nordsee gefangen werden, in Marokko geschält und dann wieder in Deutschland verkauft und verzehrt werden. Der Anteil solcher globaler Produktionsprozesse am Welthandel mit Nahrungsmitteln beträgt seit 1995 konstant etwa ein Drittel, während sich der absolute Wert dieses Güteraustausches im selben Zeitraum verdoppelte.

Die Globalisierung der Nahrungsmittelproduktion hat einen einfachen Grund: Effizienz und Wohlfahrtsgewinne durch niedrigere Preise. Jeder Arbeitsschritt der Wertschöpfungskette wird dort vollzogen, wo er  – nach Abzug von Transportkosten – am kostengünstigsten erbracht werden kann. So ist das arbeitsintensive Verpacken von Birnen oder auch das Pulen von Krabben in Thailand und Marokko kostengünstiger als in den Ernte- oder Absatzländern. Der Preis an der Kasse ist damit niedriger, und Konsumenten müssen weniger Geld für Nahrungsmittel ausgeben. Für Konsumenten mit hohen Einkommen in Industrieländern mögen solche Preiseffekte kaum spürbar sein. Verbraucher mit niedrigeren Einkommen – sowohl in Entwicklungs- als auch in Industrieländern – die einen größeren Anteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, profitieren stärker von solchen Wohlfahrtsgewinnen.

Wir konzentrieren uns in der Studie auf zwei potenzielle Effekte. Erstens das Preisniveau: Welchen Effekt hat die Integration in internationale Wertschöpfungsketten auf reale Nahrungsmittelpreise? Niedrigere Preise sind wohlfahrtssteigernd für Konsumenten, höhere für Produzenten. Zweitens die Variabilität der Preise: Führt die Teilnahme an globalen Wertschöpfungsketten zu mehr oder weniger Preisstabilität und damit zu mehr Planbarkeit für Konsumenten und Produzenten gleichermaßen? Wir analysieren die globalen Wertschöpfungsdaten, die auf Handelsdaten basieren und von der UN-Handels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) bereitgestellt werden, sowie die Nahrungsmittelpreis-Inflationsdaten der Welternährungsorganisation (FAO) im Zeitraum von 2000 bis 2015. Dementsprechend untersuchen wir einen langfristigen Zeitraum, der die jüngsten Schocks wie COVID-19 und die russische Invasion nicht beinhaltet.

Globalisierung senkt Preise, erhöht aber Unsicherheit

Die empirischen Ergebnisse der Studie zeigen, dass Integration in internationale Wertschöpfungsketten einerseits zu starken Preissenkungen von Nahrungsmitteln weltweit führt. Im Durchschnitt sinken Nahrungsmittelpreise real um etwa zwei Prozent, wenn der Anteil der Nahrungsmittelproduktion, die in die globale Wertschöpfung integriert ist, um ein Prozent steigt. Dies sind die aus der Handelstheorie bekannten Konsumgewinne des internationalen Handels. Sie belegen die starken Wohlfahrtseffekte der Globalisierung und des internationalen Handels, die in der Vergangenheit einen großen Beitrag zur Reduktion von Hunger, Armut und zum Erreichen vieler Entwicklungsziele geleistet haben. Andererseits zeigt die Studie auch, dass internationale Wertschöpfungsintegration zu höherer Preisinstabilität, also mehr Unsicherheit führt. Mit jedem Prozent mehr Wertschöpfung aus internationalen Lieferketten steigen jährliche Preisschwankungen um etwa acht Prozentpunkte.

Dieser Effekt ist einerseits überraschend, da die Internationalisierung von Lieferketten Möglichkeiten der Diversifizierung bietet. Im Falle von unerwarteten Produktions- oder Ernteausfällen können Güter und Vorarbeiten aus dem Ausland bezogen werden und die heimische Versorgung sicherstellen, wodurch Preise wiederum stabiler sein sollten. Dagegen spricht allerdings, dass die Internationalisierung von Lieferketten auch zur Spezialisierung führt. Die Produktionsschritte werden eben dort ausgeführt, wo sie am kostengünstigsten sind. Industrien oder produzierende Gewerbe in anderen Regionen, die dieselben Verarbeitungsschritte anbieten, sind dagegen nicht mehr wettbewerbsfähig und verschwinden. Diese Spezialisierung bietet wenig Widerstandsfähigkeit der Nahrungsmittelversorgung gegenüber unerwarteten Krisen.

Wertschöpfungsketten sind konzentriert, nicht diversifiziert

Die Produktion von Nahrungsmitteln ist zudem geografisch konzentriert und nicht diversifiziert. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein zufälliges landwirtschaftliches Produkt, das von zwei verschiedenen Ländern importiert wird, aus dem gleichen Ursprungsland stammt, beträgt durchschnittlich 75 Prozent.

Unternehmen verfolgen Kostenminimierung in der Produktion. Dies bedeutet, dass die Produktionsmaterialien dort beschafft werden, wo der Einkaufspreis am niedrigsten ist. Zudem versuchen produzierende Unternehmen zwar auf individueller Ebene auch, die Versorgungslage langfristig zu stabilisieren und damit die Lieferanten zu diversifizieren. Das geschieht  allerdings nicht in dem Ausmaß, wie es kollektiv – beispielsweise für eine nationale Versorgungssicherheit – erstrebenswert wäre. Anstatt die Lieferanten breit aufzustellen, konzentrieren sich Produzenten mehr und mehr auf den günstigsten Ort bzw. auf die Region, die am günstigsten liefern kann.

Hochwertige Verarbeitung erhöht Einkommenschancen – und Ausfallrisiken

In einem weiteren Schritt untersuchen wir in der Studie auch den Unterschied zwischen Verarbeitungsschritten aufwärts von Wertschöpfungsketten  – also Wertschöpfung, die kurz nach der Ernte geschieht und typischerweise mit niedrigeren Margen verbunden ist – und Verarbeitungsschritten abwärts von Wertschöpfungsketten – also Wertschöpfung, die kurz vor dem Verkauf und Konsum geschieht und typischerweise mit höheren Margen verbunden ist. Die Ergebnisse zeigen, dass die Teilnahme an aufwärts-Teilen der Wertschöpfungsketten mit stärkeren Preissenkungen und höherer Unsicherheit einhergeht als an abwärts-Teilen der Wertschöpfungsketten.

Mit anderen Worten: Die Internationalisierung von hochwertiger Nahrungsmittelverarbeitung ist ertragreicher für Konsumenten, birgt aber auch mehr Risiken in Bezug auf Preisschwankungen oder Lieferengpässe als die Internationalisierung von Arbeitsschritten am Anfang von Lieferketten, wie beispielsweise der Handel von Rohstoffen. Die Erklärung für dieses Ergebnis liegt in der Länge der Wertschöpfungsketten: Je mehr Verarbeitungsschritte internationalisiert werden, desto mehr Effizienzeffekte werden gesammelt. Jedoch werden auch die Ausfallrisiken eines jeden Produktionsschrittes summiert.

Entwicklungsländer profitieren am wenigsten

Ein weiteres Teilergebnis der Studie zeigt, dass diese beiden gegenläufigen Effekte regional unterschiedlich ausgeprägt sind. In Entwicklungsländern, besonders in Ländern südlich der Sahara, wurden die schwächsten Effekte zugunsten von Preissenkungen und die stärksten zur gesteigerten Unsicherheit gefunden. Dies bedeutet, dass Konsumenten in Ländern mit niedrigen Durchschnittseinkommen am wenigsten von globaler Wertschöpfung profitieren und Konsumenten und Produzenten in diesen Ländern gleichzeitig die höchste damit verbundene Unsicherheit erfahren. Der Grund hierfür liegt in der Instabilität der Handelsketten.

Internationaler Handel findet verstärkt mit angrenzenden Ländern – oder geografisch nahen Partnern – statt. Viele Entwicklungsländer, vor allem südlich der Sahara, sind extremeren Wetterereignissen und anderen naturbedingten Risiken ausgesetzt. So werden diese Regionen häufiger von Dürren, Stürmen, Flutkatastrophen, Erdbeben oder Vulkanausbrüchen heimgesucht. Hinzu kommt oft politische Instabilität bis hin zu militärischen Konflikten, die auch zu Produktionsausfällen führen können. Eine enge Handelsvernetzung und Verteilung der Nahrungsmittelproduktion in diesen Gegenden bringt höhere Ausfallrisiken der einzelnen Produktionsschritte entlang der Wertschöpfungsketten mit sich, als in stabilen Industrieländern.

Dieser Effekt wiegt umso schwerer, wenn man das Verhältnis zwischen Produzenten und Konsumenten bedenkt. Niedrigere Nahrungsmittelpreise sind gut für Konsumenten und schlecht für Produzenten. Preisinstabilität ist besonders ein Problem für Produzenten, da erhöhte Unsicherheit die Planbarkeit und damit Investitionen in die Produktion verhindert. Während in vielen Industrieländern nur etwa ein bis drei Prozent der Bürger ihre Einkommen im Nahrungsmittelsektor beziehen, so ist dieser Anteil in vielen Entwicklungsländern oft höher als 50 bis hin zu 70 Prozent.

Dies bedeutet, dass die Effekte von niedrigeren Preisen und höherer Unsicherheit, die in den Ländern des globalen Südens ohnehin stärker ausgeprägt sind, dort auch zu Wohlfahrtsverlusten führen. Aufgrund der Kombination dieser beiden Konstellationen können Entwicklungsländer weniger von der Integration globaler Nahrungsmittelwertschöpfung profitieren als Industrieländer.

Käse aus Amhara reist zur Verarbeitung in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba. © Kelley Lynch USAID via Flickr

Für die Entwicklungspolitik ist dies eine wichtige Erkenntnis. Aufgrund der hohen Margen wird der Aufbau von hochwertiger verarbeitender Industrie, auch im Nahrungsmittelbereich, in Entwicklungsländern angestrebt. Dies bedeutet die Ansiedlung von produzierendem Gewerbe näher am Verkaufs- beziehungsweise Konsumpunkt von Nahrungsmitteln nicht nur zur Verbesserung der Versorgungslage, sondern auch um besser bezahlte Arbeitsplätze zu generieren. Die Studie bestätigt, dass solche Industrien genau dazu beitragen. Allerdings ist die Ansiedlung auch bedeutend riskanter in Ländern mit niedrigen Einkommen, besonders südlich der Sahara, als in Industrieländern. Politische Maßnahmen, die darauf abzielen, verarbeitende Industrien im globalen Süden aufzubauen, sollten daher immer Strategien zur Absicherung von Lieferketten beinhalten.

Politik sollte Diversifizierung anstreben – nicht Protektionismus

Die Instabilität von Nahrungsmittelketten hat Regierungen vieler Länder veranlasst, sich auf heimische Produktion zu konzentrieren, um die Abhängigkeit von ausländischen Versorgern zu minimieren. Als Lösung des Konzentrationsproblems von Lieferketten bringt dies einen eher marginalen Nutzen, da maximal ein weiterer Versorger dem Portfolio von möglichen Lieferanten hinzugefügt wird, nämlich der heimische Markt. Dieser wiederum ist wie alle anderen Märkte auch einem Ausfallrisiko ausgesetzt.

Genau wie bei einem Aktienportfolio kann die Versorgungslage stabilisiert werden, indem man die Anzahl an Lieferanten erhöht und darauf abzielt, dass deren Ausfallrisiken möglichst unabhängig voneinander sind. Das hieße beispielsweise, dass aus verschiedenen Weltregionen importiert wird, um den Einfluss von wetterbedingten Risiken zu minimieren. Maßnahmen, die Importe diversifizieren, können dies unter minimalen Verlusten der Handelsgewinne leisten und könnten wiederum Möglichkeiten für viele Entwicklungsländer bieten, vielfältige und höherwertige Produktionssektoren anzusiedeln.

Dr. Bernhard Dalheimer Purdue University, Indiana, USA

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