Fishy Business: Das richten Fernfischerflotten in Entwicklungsländern an
Eine Studie vermisst erstmals in einer ökonomischen Folgenabschätzung den Raubbau, den ausländische Industriefischer beim Fang in fremden Gewässern betreiben.
Jedes Jahr fangen industrielle Fischereischiffe unbeabsichtigt 38 Millionen Tonnen Meerestiere, die tot oder sterbend ins Wasser zurückgeworfen werden. Dies entspricht etwa 40 Prozent des gesamten weltweiten Fischfangs. Unter dem ins Meer zurückgeworfenen Beifang sind auch 300.000 Kleinwale und Delfine und 250.000 gefährdete Unechte Karettschildkröten. Abgesehen von der direkten Schädigung der biologischen Vielfalt verursacht dies auch wirtschaftliche Verluste. Ein Bericht des Overseas Development Institute (ODI), einer Denkfabrik für globale Angelegenheiten, erstellt erstmals eine Schätzung der wirtschaftlichen Folgen für Entwicklungsländer, wenn sie Unternehmen in ihren Gewässern fischen lassen, die solche und andere illegale Praktiken verfolgen.
Die Liste des schädlichen Vorgehens ist lang: Beifang und unbeabsichtigter Fischfang, mangelnde Transparenz, unzureichende Meldung von Fangmengen, Beteiligung am Saiko-Tauschsystem, Korruption, Fischfang ohne Lizenz, Überschreitung der Quoten, Menschenrechtsverletzungen, Haifischflossen und vieles mehr. Diese Handlungen müssen nicht zwangsläufig mit illegaler, undokumentierter und unregulierter Fischerei (IUU-Fischerei) einhergehen. Sie können jedoch trotzdem äußerst schädlich sein. Warum also lassen Staaten solche Unternehmen in ihren Gewässern zu?
Warum Ecuador, Peru, Senegal, Ghana und die Philippinen?
Der neue ODI-Bericht nimmt eine Folgenabschätzung der Tätigkeit von Unternehmen auf Ecuador, Peru, Senegal, Ghana und den Philippinen vor, die in der Vergangenheit für Fehlverhalten oder nicht nachhaltige Praktiken bekannt geworden sind. Wir bewerten die Auswirkungen auf die Menschen, indem wir die potenziellen Folgen für die Wirtschaft, Arbeitsplätze und den Wohlstand in diesen fünf Ländern untersuchen. Wir haben uns auf diese Länder konzentriert, weil sie zu den am stärksten von Überfischung bedrohten gehören, aber auch, weil in ihren Gewässern eine große Präsenz ausländischer Fernfischereiflotten zu beobachten ist. Unter Fernfischerei versteht man ganz allgemein den Fischfang durch Schiffe aus einem Land in den Gewässern eines anderen Landes oder in internationalen Gewässern.
Die hochmoderne Technik der Fernfischerei-Schiffe ermöglicht den Fischfang nonstop, während sie in entlegene Gebiete fahren, wobei dies oft in einem unfairen Wettbewerb mit kleineren inländischen Schiffen geschieht. Uneingeschränkte Fernfischerei wird mit Überfischung, IUU-Fischerei und der Dezimierung der Fischbestände in einer nicht nachhaltigen Geschwindigkeit in Verbindung gebracht. Dies beeinträchtigt nicht nur die Verfügbarkeit von Ressourcen für die lokalen Fischer, sondern stört auch das ökologische Gleichgewicht des marinen Ökosystems.
Im Senegal und in Ghana beispielsweise liefert Fisch mehr als 60 Prozent des für eine gesunde Ernährung erforderlichen tierischen Eiweißes. In einigen isolierten Küstengemeinden stützt sich fast die gesamte Ernährung auf Eiweiß aus Fisch. In Peru sind sind die Fischproduktion und -exporte stetig gestiegen, ihr Beitrag zur Wirtschaft ist enorm. Im Senegal, in Ghana und auf den Philippinen hingegen sind viele Gemeinden in unterschiedlichem Maß für ihren Lebensunterhalt auf Fisch und Fischfang angewiesen; die Fischerei leistet einen wichtigen Beitrag zu ihrer wirtschaftlichen Entwicklung.
So wurde die Präsenz der Unternehmen in diesen Gewässern ermittelt
Es wurden verschiedene Arten von Daten – aus der Fischerei und von Satelliten – mit Karten, Deep-Learning-Tools sowie Wirtschafts- und Armutsindikatoren kombiniert, um zunächst herauszufinden, welche Arten von Fernfisch-Trawlern und einheimischen Schiffen in diesen Gewässern anwesend waren. Die Flaggenregistrierung gab Aufschluss über die inländischen Flotten, während Satellitendaten die Präsenz ausländischer Flotten in den Gewässern zeigten. Untersucht wurden dann mehr als 50.000 Schiffe. Um bei Mehrzweckschiffen oder Schiffen unbekannten Typs über Fischereimanöver auf den Schiffstyp schließen zu können, wurden Deep-Learning-Algorithmen angewandt.
Anschließend ermittelten wir die Besitzer oder Betreiber dieser Schiffe und prüften, ob über Missstände oder nicht-nachhaltige Praktiken in Zusammenhang mit ihnen berichtet worden waren. Zudem wurden rund 30 Quellen mit vertrauenswürdigen Informationen genutzt, vom US-Finanzministerium bis hin zu Nichtregierungsorganisationen und investigativen Journalisten. Waren die Informationen nicht eindeutig, wurde sie mit alternativen Quellen verifiziert. Schließlich bewerteten wir den Preis, der aus der Zusammenarbeit mit den Unternehmen entstand, die mit illegalen oder nicht nachhaltigen Praktiken aufgefallen waren. Wir berechneten die Auswirkungen über verlorenes Potenzial für die Volkswirtschaft, Arbeitsplätze und die Armut.
Die Untersuchung bedeutet weder, dass alle in den Schätzungen enthaltenen Schiffe IUU-Fischerei betreiben, noch dass die Unternehmen im Untersuchungszeitraum erhebliche Verstöße begangen hätten. Aber die Analyse eröffnet einen detaillierten Einblick in die wirtschaftlichen Folgen und dient als Grundlage für umsetzbare Reformvorschläge an die Politik zugunsten von Beschäftigung und Wohlstand der fünf betroffenen Länder.
Auswirkungen auf Wirtschaft, Beschäftigung und Armut
Die wirtschaftlichen Auswirkungen nicht nachhaltiger Fischereipraktiken durch identifizierte Unternehmen sind tiefgreifend. Insgesamt könnten die Fischereiaktivitäten ökonomische Opportunitätskosten verursachen, die 0,26 Prozent des kombinierten BIP der fünf Länder entsprechen, mehr als 30.000 Arbeitsplätze betreffen und dazu beitragen, dass 142.192 Menschen in Armut leben. Die Kosten verteilen sich ungleich über die fünf Länder. Im Senegal etwa verursachen diese Fischereiaktivitäten einen erheblichen Verlust von 0,2 Prozent des BIP. In Ghana bedeuten sie 27.000 zusätzlich in Armut lebende Menschen.
Wenn Fischtrawler, hinter denen häufig aber nicht ausschließlich ausländische Unternehmen stehen, Überfischung betreiben, dezimieren sie die Fischbestände und gefährden eine nachhaltige lokale Fischereiwirtschaft. Die Überfischung betrifft direkt die Einkommensströme der betroffenen Länder ebenso wie die lokalen Gemeinschaften, die auf die Fischerei als Haupteinkommensquelle angewiesen sind, und ihre Zukunft.
Die Überfischung bedroht auch direkt die Beschäftigung in den lokalen Fischereisektoren der betroffenen Länder. Tausende Arbeitsplätze sind bedroht, von der aktiven Fischerei bis hin zu dazu gehörenden Betrieben wie Fischverarbeitung und -vermarktung. So wankt nicht nur der Lebensunterhalt Einzelner, auf ganze Küstengemeinden kommt verschärfte Armut zu. Das sind die menschlichen Kosten nicht nachhaltiger Fischereipraktiken, die auch in erheblichem Maße zur Zerstörung der marinen Lebensräume beitragen – einschließlich der Dezimierung der Fischbestände. Diese Umweltzerstörung birgt wiederum schwerwiegende Gefahren und beeinträchtigt wichtige Ökosystemleistungen, wie die Ernährungssicherheit und den Schutz vor Naturkatastrophen.
Fehlverhalten und nicht nachhaltige Praktiken
Eine Handvoll Konzerne – 19 Unternehmen –, die 657 Schiffe in diesen Gewässern besitzen oder betreiben, waren nachgewiesenerweise in der Vergangenheit an nicht nachhaltigen Praktiken beteiligt.
So funktionieren zum Beispiel verlorene oder zurückgelassene Fanggeräte weiter als Fallen und töten Meereslebewesen – ein Phänomen, das als „Geisterfischerei“ bekannt ist. Ausrangierte Fanggeräte, wie treibende Fischsammelvorrichtungen (Fish Aggregating Devices, FADs), können sich an Korallenriffen und anderen empfindlichen Lebensräumen festsetzen und bilden Fallen. Dies führt nicht nur zu einem verschwenderischen Verlust von Meereslebewesen, es trägt auch zur Verschlechterung der Meeresökosysteme bei. Dies ist z.B. ein Problem auf den Galapagos-Inseln in Ecuador.
Fischsammelvorrichtungen dienen etwa dazu, pelagische Fische wie Thunfisch anzulocken. Sie nutzen dem Management und der Fischerei, gefährden aber die Meeresökosysteme und die Nachhaltigkeit der Fischbestände. Sie können in Küstengebieten auf dem Meeresboden verankert werden oder treiben im offenen Ozean. Ihr Einsatz nahm seit den 1990er Jahren erheblich zu, was die Beifangraten von Nichtzielarten erhöhte, einschließlich von Haien und Schwertfischen, die aufgrund ihrer Lebensweise besonders gefährdet sind.
Die ökologischen Auswirkungen von FADs sind beträchtlich: Sie verändern das natürliche Verhalten von Fischen, was zu einem möglichen Rückgang von jungem Thunfisch und anderen Arten führt, die sich in der Nähe der Geräte aufhalten. Außerdem beeinträchtigen FADs Küstenökosysteme, wenn sie sich lösen und auf Riffe oder Strände gespült werden. Die verwendeten Materialien, darunter Bambus, können aufgrund fremder Elemente in der Meeresumwelt die lokalen Ökosysteme weiter stören.
Gemäß den Industriestandards darf der Zufallsfang (incidental catch) fünf Prozent des Gesamtfangs eines Schiffes nicht überschreiten; er bezieht sich auf den Fang, der unbeabsichtigt gefangen, aber behalten wurde. Dies ist Thema für einheimische Unternehmen in Peru, die unter dem Druck der großen Fischmehlindustrie stehen. Zufallsfang ist zu unterscheiden von Rückwürfen (unbeabsichtigt gefangene und dann ins Meer zurückgeworfene, meist tote oder sterbende Fische) und Beifang (einschließlich von nicht zu den Zielarten gehörender Arten, die aber zusammen mit den Zielarten gefangen werden).
Im Rahmen vom Saiko-Handel tauschten industrielle Fischereischiffe ursprünglich ihre unerwünschten Fänge gegen Lebensmittel und Vieh aus, die von Kanus auf See geliefert wurden, vor allem in Ghana. Inzwischen hat sich das System dahingehend gewandelt, dass die industriellen Trawler absichtlich Arten für den Saiko-Handel fangen, was die lokalen Märkte stört und zum Handel mit Jungfischen beiträgt. Obwohl die ghanaische Regierung den Saiko-Handel Ende 2021 verboten hat, weil er gegen nationales Recht verstößt, ergaben Recherchen der Environmental Justice Foundation (EJF), dass er fortbesteht und sogar immer offener wird. Erhebliche Mengen an kleinen pelagischen und jungen Grundfischen werden demnach in Ghanas großem Industriehafen verpackt, verkauft und im heimischen Markt vertrieben.
Unter Finning versteht man die Praxis, Haifischen die Flossen abzuschneiden und den Rest des Körpers zurück ins Meer zu werfen. Auch dieses Problem tritt in Peru auf. Die Haie sind noch am Leben, können aber nicht mehr richtig schwimmen. Sie ersticken, oder werden Opfer von Raubtieren. Wohl ist das Finning in vielen Ländern illegal, bleibt durch den hohen Wert der Haifischflossen aber attraktiv – vor allem für die Suppe, einer Delikatesse in einigen Kulturen.
Wenn Regierungen Schiffen mit bekanntem Fehlverhalten den Zugang zu Fischgründen und Hafeninfrastrukturen gewähren, laufen sie Gefahr, die Verpflichtungen zur nachhaltigen Fischerei zu verfehlen. Sie verspielen damit auch eine Chance für die langfristige Entwicklung und das Wohlergehen ihrer lokalen Fischereigemeinden.
Die Präsenz ausländischer Flotten
Überraschenderweise sind die größten Flotten in den untersuchten Ländern nicht unbedingt jene, die unter der Flagge des jeweiligen Landes fahren. Die größten Fischereinationen sind Ecuador (wegen seiner vielen einheimischen traditionellen Fischerboote), gefolgt von China, Peru, Spanien, Japan, Panama und Taiwan.
Tatsächlich stellte sich heraus, dass insgesamt 192 Schiffe mit chinesischen Interessen verbunden sind, obwohl sie unter der Flagge eines der fünf Länder außer Peru fahren. Diese Einbindung ausländischer Schiffe in einheimische Flotten wirft Fragen auf: Sie führt zu Marktverzerrungen, fördert die Überschreitung nachhaltiger Fanggrenzen und kann die Ernährungssicherheit und den Lebensunterhalt gefährden.
Laut der Analyse der Fischereimanöver in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen (Exclusive Economic Zones, EEZ) liefern sich inländische und ausländische Flotten desselben Fischereityps einen intensiven Wettbewerb. Ausländische Fernfischerei-Schiffe genießen durch den technischen Vorsprung, nonstop zu fischen und in entlegene Gebiete zu fahren, oft einen Wettbewerbsvorteil.
Empfehlungen und Lösungen
Für politische Entscheidungsträger zeigt die Studie die negativen Effekte von Schiffen mit nicht nachhaltigen Praktiken auf die Entwicklung auf. Wir hoffen, dass sie wirklich dazu beiträgt, aus ökonomischer Sicht Reformen anzustoßen, die zur Unterstützung von handwerklichen Fischern und anderen Arten der nachhaltigen Fischerei beitragen. Die Studie plädiert für einen umfassenden Ansatz zur Bewältigung nicht nachhaltiger Fischereipraktiken. Zu den wichtigsten Empfehlungen gehören:
- Stärkung des gesetzlichen Rahmens: Verbesserung der nationalen und internationalen Vorschriften, um Überfischung zu verhindern und nachhaltige Fischereipraktiken zu gewährleisten.
- Verbesserte Überwachung und Durchsetzung: Einführung robuster Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen, um IUU-Fischerei zu verhindern und die Einhaltung der Fischereivorschriften sicherzustellen.
- Förderung der nachhaltigen Fischerei: Unterstützung der Einführung nachhaltiger Praktiken in der Fernfischerei, um die biologische Vielfalt der Meere zu schützen und die langfristige Lebensfähigkeit der Fischbestände zu gewährleisten.
- Internationale Zusammenarbeit: Förderung der internationalen Zusammenarbeit, um den grenzüberschreitenden Charakter der Meeresökosysteme und die globale Ausdehnung der Fischereiindustrie zu berücksichtigen.
Der Bericht "Fishy Business" unterstreicht, wie dringend notwendig es ist, den schädlichen Auswirkungen nicht nachhaltiger Praktiken von Fernfischerei auf die Wirtschaft, Beschäftigung und das ökologische Wohlergehen in Ecuador, Ghana, Peru, den Philippinen und dem Senegal Einhalt zu gebieten. Die Ergebnisse verdeutlichen die weitreichenderen Folgen für die weltweite biologische Vielfalt der Meere und die Lebensgrundlage von Millionen Menschen, die von einer nachhaltigen Fischereiwirtschaft abhängig sind. Es ist ein Aufruf zu konzertierten Anstrengungen auf nationaler und internationaler Ebene, um die Nachhaltigkeit der weltweiten Fischerei und die Zukunft der Küstengemeinden zu gewährleisten.