Die unvollendete Reform der multilateralen Entwicklungsbanken
Die größten Entwicklungsfinanzierer der Welt haben die Weltbank auf einen lebenswerten Planeten verpflichtet. Mit Blick auf den Finanzbedarf der Kunden muss die Diskussion über eine Kapitalerhöhung aber zügig beginnen.
In Schwellen- und Entwicklungsländern werden bis 2030 jährlich zusätzlich 3 Billionen Dollar benötigt, um auf die globalen multiplen Herausforderungen zu reagieren und die vereinbarten internationalen Ziele zu erreichen – einschließlich des Pariser COP21-Abkommens und der Ziele für nachhaltige Entwicklung. Der Bedarf liegt ein Vierfaches über dem heutigen.
Vor diesem Hintergrund wächst der Druck auf das internationale Finanzsystem in einem Ausmaß, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr zu beobachten war. Die Multilateralen Entwicklungsbanken (MEB) stehen dabei im Rampenlicht. Auf sie richten sich viele Erwartungen.
Die MEB sind für die Bewältigung der immensen globalen Herausforderungen in der heutigen Welt unerlässlich. Sie verfügen über einen unverwechselbaren komparativen Vorteil, der staatliche und privatwirtschaftliche Investitionen in großem Umfang ankurbeln kann. Sie sind für viele Schwellen- und Entwicklungsländer eine wertvolle Quelle für kostengünstige Finanzierungen, technisches Wissen und politische Beratung.
Zu den jährlichen internationalen Klimaschutzverpflichtungen in Höhe von 100 Mrd. Dollar leisten die MEB den größten Beitrag. Ohne ihr Zutun wäre dieses Ziel überhaupt nicht in Sicht. Sie können Mittel in dieser Größenordnung mobilisieren, da sie dank starker Regierungen im Rücken (d.h. ihrer Anteilseigner) auf den Kapitalmärkten günstige Finanzmittel aufnehmen können. Die größten MEB konnten seit ihrer Gründung mehr als das 30-fache des in sie eingezahlten Kapitals aufnehmen.
Doch obwohl alles so aussieht, als ob die MEB sowohl die Finanzkraft als auch das Fachwissen aufbringen können, die zur Bewältigung der globalen Herausforderungen erforderlich sind, machen ihnen mehrere strukturelle Hindernisse zu schaffen. Diese halten sie davon ab, ihr Potenzial voll auszuschöpfen.
Um Abhilfe zu schaffen, forderten vor einem Jahr eine Reihe von Regierungen der Anteilseigner die MEB auf, sich stärker anzustrengen. Diese Forderungen erreichten ihren Höhepunkt mit Erklärungen der US-Finanzministerin Janet Yellen, der deutschen Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit, Svenja Schulze, und des indonesischen Finanzministers Sri Mulyani Indrawati. Kurz darauf, im Dezember 2022, beauftragten die Anteilseigner die Weltbank als größte multilaterale Entwicklungsbank mit einer Reform: Auftrag, Arbeitsweise und Finanzen sollen so überholt werden, dass "die Bank der Armen" mit den Instrumenten ausstattet wird, die zur Bewältigung der größten globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts notwendig sind.
Die Arbeiten an diesem Fahrplan zur Evolution einer neuen Vision und strategischen Ausrichtung sind relativ zügig vorangekommen. Was wurde also bisher, ein Jahr danach, erreicht? Und vor allem, was wurde noch nicht erreicht?
Was wurde erreicht?
Über die Vision und die Mission: Dieder Weltbank nun angetragene Vision übernimmt die Prinzipien der Nachhaltigkeit als notwendige Voraussetzung für "Armutsbekämpfung und gemeinsamen Wohlstand" – ihre bereits bestehenden politischen Ziele. Daraus spricht eine zugrundeliegende einheitliche Sichtweise auf Entwicklung und die global zu bewältigenden Probleme – darunter Klimawandel, Pandemievorsorge sowie Frieden und Sicherheit. Das kam nicht von ungefähr. Die Bemühungen, die globalen multiplen Krisen in das Mandat der MEB aufzunehmen, wurden weitgehend angeführt von den Hauptaktionären, die eine Reformagenda vorantrieben, vor allem von den USA und Deutschland.
Teil der neuen Vision ist auch, die so genannte "Corporate Scorecard" zu überarbeiten, damit diese das neue Mandat besser abbildet. Die Ergebnis- und Wirkungsmessung soll den systemischen, sektorübergreifenden und öffentlich-privaten Charakter der gewünschten Transformationen widerspiegeln. Das vorgeschlagene "Global Challenges Programme" soll als Zielsystem im operativen Geschäft der Weltbank dienen und die Arbeitsgrundlage für alle Teilbereiche der Weltbankgruppe darstellen.
Über das operative Modell: Für die Bedürfnisse der Entwicklungsländer sind die operative Effektivität und Effizienz der Schlüssel, um die Durchführung von MEB-Projekten schneller, umfangreicher und qualitativ hochwertiger zu machen. Für viele Länder kann die Kreditaufnahme bei MEB eine komplexe und Ressourcen verschlingende Angelegenheit sein. Nach den jüngsten verfügbaren Daten benötigt die Weltbank im Durchschnitt mehr als zwei Jahre für die Bereitstellung eines Darlehens.
Glücklicherweise hat die Bank im vergangenen Jahr erkannt, dass "verzögerte Entwicklung verweigerte Entwicklung ist". Ein neues "Playbook" enthält eine Reihe von Vorschlägen, die darauf abzielen, die Effizienz durch verstärkte Kapazitäten auf Länderebene zu erhöhen. Der neue Ansatz legt auch großen Wert auf die Partnerschaft zwischen der Weltbankgruppe, anderen multilateralen Entwicklungsbanken und (vor allem) nationalen Akteuren. Auf der COP28 in Dubai bekannten sich zehn MEB zur nationalen Zusammenarbeit, indem sie ankündigten, gemeinsam Länderplattformen zu unterstützen, die externe Finanzierungen um ein einzelstaatlich gesteuertes Investitionsprogramm herum koordinieren.
Zur Bereitstellung von Finanzmitteln: Im Reformfahrplan sind unterschiedliche Möglichkeiten zur Steigerung der finanziellen Schlagkraft der Bank enthalten, darunter eine effizientere Nutzung des Kapitals, eine Erhöhung des Kapitals und/oder eine stärkere Mobilisierung.
Insbesondere legt er den Grundstein für die Umsetzung mehrerer Empfehlungen, die 2022 vom unabhängigen Gremium der G20 zu den Kapitaladäquanzrahmen (CAFs) der MEB ausgesprochen wurden. Werden diese umgesetzt wie empfohlen, könnten die Weltbank und andere MEB zusätzliche Kredite in Milliardenhöhe vergeben (insbesondere an Länder mit mittlerem Einkommen wie Kenia und Marokko), ohne dabei ihre langfristige finanzielle Tragfähigkeit zu beeinträchtigen und ohne dass neue Kapitalzuführungen von den Anteilseignern erforderlich wären. Die Weltbank ist dabei, mehrere dieser Empfehlungen umzusetzen.
Neben der Weltbank haben auch die regionalen Entwicklungsbanken an der Aufwertung ihrer Finanzmittel gearbeitet und begonnen, einige der Empfehlungen umzusetzen. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und die Investitionsabteilung der Interamerikanischen Entwicklungsbank bereiten Kapitalerhöhungen vor. Die Asiatische Entwicklungsbank (AsDB) schafft neue Finanzinstrumente, um leichter Mittel für Initiativen zum Klimawandel zu vergeben. Die AfDB war federführend bei den Bemühungen um eine mögliche Weitergabe von Sonderziehungsrechten (SZR) über die MDB.
Als erstes konkretes Mittel, das Angebot an Entwicklungsfinanzierung zu erhöhen, ist nun hybrides Kapital hinzugekommen (ein komplexes Finanzinstrument, das an Anleger verkauft wird, um Gelder zu mobilisieren, ohne das Kapital der MEB zu verwässern – eine ausführliche Erläuterung finden Sie hier). Auf der Jahrestagung 2023 der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds bestätigte Deutschland, dass es der Weltbank 305 Mio. EUR an Hybridkapital zur Verfügung stellen wird, was es der Bank laut Schulze ermöglichen wird, innerhalb von vier Jahren zusätzliche 2,4 Mrd. USD zu mobilisieren. Andere Anteilseigner – darunter Frankreich, Kanada und die Niederlande – haben ihre Absicht signalisiert, sich Deutschland anzuschließen.
Diese zusätzlichen Verpflichtungen der Anteilseigner, die hybrides Kapital zuschießen, geben diesen "staatlichen Investoren" auch ein stärkeres Mitspracherecht, welche politischen Prioritäten bei einem Teil der Kreditvergabe der MEB gefördert werden. Schulze wies in einer Rede im September darauf hin, dass ihre Regierung darauf drängen werde, dass neue Weltbankmittel, die über Hybridkapital gehebelt werden, für Klimaschutz und Impfstoffe verwendet werden. Auch Biodiversität ist der Ministerin ein Anliegen.
Doch selbst wenn die staatlichen Beiträge aufgestockt werden, werden die Bilanzen der MEB weit hinter dem zurückbleiben, was tatsächlich benötigt wird. Dabei haben die MEB bereits gezeigt, dass sie direkt und indirekt in der Lage sind, mehr privates Kapital zu bewegen, z.B. durch Garantien, Syndizierungsmodelle oder Blended Finance.
Was ist noch zu tun (von den MEB und ihren Anteilseignern)?
Zu Vision und Auftrag: Erneuerte Vision und Auftrag dienen dem Mandat der Weltbank zwar als Richtschnur, es bedarf aber noch einiger Klärung. Insbesondere ist noch nicht vollständig definiert, was eine "globale Herausforderung" genau umfasst. Obwohl sich die Anteilseigner allgemein einig sind, vertritt jeder eine andere Auffassung davon, welche globalen Herausforderungen vorrangig zu behandeln sind. So möchte Schulze, dass die Artenvielfalt darunter fällt, während die USA diese nicht als prioritär betrachten. Die Entwicklungsländer wiederum haben ganz andere Ansichten und möchten, dass die Schuldentragfähigkeit berücksichtigt wird.
Diese Fragen sind äußerst wichtig, da die Weltbank anschließend darüber entscheidet, welche "globalen Herausforderungen" in den Genuss der am stärksten begünstigten Finanzierungsformen kommen, die die Bank bereitstellt. Und abgesehen von definitorischen Hürden enthalten die Vision und der Auftrag auch keine expliziten Ziele oder Zeitvorgaben, wie Entwicklungsländer bei der Einhaltung ihrer Verpflichtungen zur Emissionsbegrenzung bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum unterstützt werden können.
Zum operativen Modell: Selbst wenn alle Reformen umgesetzt werden, besteht weiterhin die Gefahr, dass die Kundenländer nur begrenzte Beträge aufnehmen, insbesondere für Projekte, die einen globalen und nicht nur einen länderspezifischen Nutzen haben. Bei der Weiterentwicklung der Reform sollten daher vier Bereiche im Vordergrund stehen:
- Unterstützung der Länder bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Strategien für eine klimagerechte wirtschaftliche Entwicklung: Die Nutzung von nationalem Fachwissen, Räume für nationalen Dialog und die Koordinierung der Geber untereinander können dazu beitragen, die Eigenverantwortung zu stärken und Schlüsselsektoren zu identifizieren, die grüne und Wachstumschancen vereinen. In Zusammenarbeit mit nationalen Entwicklungsbanken könnten MEB z.B. Diagnosen, Projektvorbereitung und gemeinsame Finanzierungen teilen. So können inländische Kapazitäten aufgebaut und Risiken gemindert werden, indem Akteure die bessere Kenntnis der lokalen Märkte und die Fähigkeit der nationalen Entwicklungsbanken zur Kreditvergabe in Landeswährung nutzen.
- Vereinfachung der Auflagen und Sicherheitsregularien. So könnten die MEB beispielsweise ihre Regeln und Verfahren harmonisieren. Ein großer Teil dieser papier-basierten Prozesse könnte auch digitalisiert werden.
- Änderung des Ansatzes für die technische Zusammenarbeit. Laut einer ODI-Umfrage ist nur ein Drittel der Regierungsbeamten in den Kundenländern der Meinung, dass die MEB bei der Bereitstellung von technischer Hilfe und Politikberatung auf ihre Bedürfnisse eingehen. Sie sind frustriert darüber, wie die technische Zusammenarbeit und die Politikberatung – insbesondere die Projektvorbereitung und -entwicklung – in der Regel stark auf verschiedene Anbieter verteilt sind. Die MEB sollten Wege für den Aufbau längerfristiger Beziehungen finden, statt auf Einzelbesuche und -berichte zu setzen.
Zur Bereitstellung von Finanzmitteln: Bislang war es vor allem der Druck des US-Finanzministeriums und anderer G7+-Länder, der Bemühungen um eine Stärkung der Finanzkraft der MEB durch die Umsetzung der CAF-Empfehlungen zum Finanzrahmen vorangetrieben hat. Leider verhielten sich einige große Anteilseigner, wie Deutschland und die nordischen Länder, eher zurückhaltend. Sie gaben der Weltbank und anderen MEB keine deutlichen Signale, für eine Neubewertung ihrer eigenen Risikobereitschaft offen zu sein.
Das würde den MEB jedoch den nötigen Spielraum für die Umsetzung der notwendigen Reformen verschaffen. Doch haben die Anteilseigner und die MEB sowie die regionalen Entwicklungsbanken immer noch die Möglichkeit, entschlossener auf alle Empfehlungen der unabhängigen Überprüfung der CAFs einzugehen.
Dies würde jedoch über kleine Korrekturen finanzieller Kennzahlen hinausgehen (so will die Bank für jeden vergebenen Dollar künftig nur noch 19 statt 20 Cent Eigenkapital vorhalten, Anm.d.Red). Die MEB müssten untereinander und mit ihren Anteilseignern stärker gemeinsam die einzigartigen Seiten des Finanzmodells der MEB bewerten und die außerordentliche Finanzkraft dieser Institutionen besser in Wert setzen. Das Management der MEB hat sich bisher der Auseinandersetzung mit grundlegenderen Aspekten der CAF-Reformvorschläge entzogen – insbesondere der Frage, ob die MEB (wie auch die Rating-Agenturen) die finanziellen Risiken überbewerten, was zulasten der Kreditvergabekapazität geht.
Hybrides Kapital kein Ersatz
Sorgfältig sollten die MEB zudem prüfen, wie hybrides Kapital zur Erhöhung der Kreditvergabekapazität beitragen kann. Diese und andere Innovationen sollten nicht als einfacher Ersatz für das traditionell eingezahlte Kapital der staatlichen Anteilseigner angesehen werden, auf dem die Finanzkraft der MEB und ihr Zugang zu den Kapitalmärkten aufbaut. Wenn die Regierungen der Anteilseigner wollen, dass die MEB bestimmte politische Ziele erreichen, müssen sie auch das erforderliche Kapital bereitstellen.
Die Diskussionen über die Einwerbung von Privatkapital haben zuletzt an Fahrt gewonnen. Der nachfolgbaren Umsetzung dieser Agenda könnte es jedoch helfen, institutionelle Ziele festzulegen und die Anreizmechanismen für erhöhte Risikobereitschaft zur Mobilisierung zu optimieren. Bislang haben die MEB vor allem private Akteure angeworben, die auf einzelne Transaktionen fixiert sind, statt ihr gesamtes Portfolio zu nutzen. Um von marginalen Interventionen auf der Transaktionsebene zu einem breiten systematischen Wandel zu gelangen, müssen die MEB einen Gesamtbankansatz verfolgen, der es in den Mittelpunt der Unternehmensstrategie stellt, Katalysator und Mobilisator für private Finanzmittel für eine nachhaltige Entwicklung zu sein – und dabei die gesamte Palette der verfügbaren Instrumente einsetzt.
Während all diese Anstrengungen zur Erhöhung des Finanzangebots weiterhin notwendig sind, werden sie nicht ausreichen, um den Bedarf der Schwellen- und Entwicklungsländer zu decken. Dies bedeutet, dass die Diskussionen über eine Kapitalerhöhung jetzt beginnen sollten, um sicherzustellen, dass die Regierungen mehr Geld auf den Tisch legen werden. Um das erweiterte Mandat der Weltbank auszufüllen, sollten sich die Anteilseigner außerdem zu einer ehrgeizigen Aufstockung des auf Zuschüssen basierenden IDA-Fensters der Bank verpflichten, das Finanzmittel speziell für die ärmsten und einkommensschwächsten Länder bereitstellt. Wie der jüngste Bericht der Unabhängigen Expertengruppe feststellt, würde eine Verdreifachung der IDA-Mittel bis 2030 lediglich jährliche Beiträge von etwa 0,04 Prozent des Bruttonationaleinkommens erfordern.
Das nächste Jahr wird für die Weltbank und andere multilaterale und regionale Entwicklungsbanken ein weiterer Lackmustest sein. Die Umsetzung der nächsten Phase der Reformagenda wird neben beträchtlicher technischer Arbeit vor allem den politischen Willen erforden, sie durchzuziehen. Die Anteilseigner müssen parallel sicherstellen, dass die MEB sich stärker an den Prioritäten und Bedürfnissen ihrer Kundenländer orientieren und ihre Kapazität der Mittelvergabe maximieren.