An der Seitenlinie: Höchste Zeit, EU-Gesetz mit dem Globalen Süden abzustimmen
Bei der Entstehung des europäischen Lieferkettengesetzes fehlte die Stimme der Schwellenländer als zentrales Glied der globalen Wertschöpfung. Vorschläge für einen Aktionsplan zu einer besser koordinierten Umsetzung.
Im April 2024 wird die EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit (CS3D) mit der Zustimmung des Europäischen Parlaments als Gesetz in Kraft treten. Der endgültigen Verabschiedung gingen viele Monate Verhandlungen und wichtige Zwischenschritte voraus, darunter die Zustimmung durch den EU-Ministerrat und den Rechtsausschuss des EU-Parlaments.
Die EU-Richtlinie wird selbst in ihrer abgeschwächten Version als wichtiger Schritt in die richtige Richtung angesehen. Das liegt vor allem an der klaren Formulierung der Absicht und des Ziels, das darin besteht, "das Potenzial des Binnenmarktes besser zu nutzen, um zum Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen, indem potenzielle oder tatsächliche nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt in den Tätigkeitsketten der Unternehmen verhindert und gemildert werden".
Der vorgeschlagene Gesetzesentwurf sendet die Botschaft an die Beteiligten der Wertschöpfungsketten, dass die Verantwortung und Rechenschaftspflicht der Unternehmen in Umfang, Ausmaß und Bedeutung bleibend zunehmen werden. Er stuft Unternehmen als wichtige Mitwirkende an einer nachhaltigen Entwicklung und dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft ein und trägt zugleich Sorge, dass sie weder absichtlich noch unabsichtlich Schaden anrichten.
Wie bei jedem anderen Gesetz gibt es jedoch auch bei der EU-Richtlinie Bereiche, die einer weiteren Prüfung und Verbesserung bedürfen. Ein Schlüsselaspekt, der aufgrund seiner vollkommenen Abwesenheit besonders auffällt, ist die Stimme und Rolle des "globalen Südens" im Entstehungsprozess. Die Schwellenländer, die in der Regel das Ende der globalen Wertschöpfungsketten bilden, haben zwar einiges zu verlieren, sind aber nicht vertreten.
Einige mögen das damit rechtfertigen, dass die Richtlinie in ihrer derzeitigen Form ab 2029 nur für folgende Unternehmen gilt: EU-Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von mehr als 450 Mio. Euro sowie Nicht-EU-Unternehmen, die in der EU 450 Mio. Euro Umsatz erwirtschaften (ohne Schwellenwert für die Zahl der Beschäftigten).
Es wird geschätzt, dass fast 5.300 Unternehmen in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen werden. In der Praxis wird ihre Zahl jedoch weitaus höher sein, da sich im Geltungsbereich – wenn auch indirekt – klare Erwartungen auch an Akteure wie Tochtergesellschaften und Geschäftspartner in der Wertschöpfungskette richten. Die Richtlinie wird das Verhalten der Unternehmen gegenüber Lieferanten, Investoren, Regulierungsbehörden, Verbrauchern, Kunden usw. beeinflussen.
Partizipation im Entstehungsprozess
So wie die Qualität eines starken und effizienten Werkzeugs oder Gerätes wesentlich davon abhängt, wie es geschmiedet wurde, bestimmt dieser Entstehungsprozess auch die Wirksamkeit und Stärke eines Gesetzes. Engagement und Konsultation sind wichtige Stichworte in einem Prozess, der durch einen inklusiven und partizipativen Charakter die verschiedenen und sogar divergierenden Perspektiven einbringt und berücksichtigt.
Ein Beispiel dafür ist der von Indien entwickelte nationale Rahmen für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln mit dem Titel "National Guidelines on Responsible Business Conduct" (aktualisierte Fassung der National Voluntary Guidelines on Social, Environmental and Economic Responsibilities of Business, 2011; NVGs), der 2019 vom Ministerium für Unternehmensangelegenheiten der Bundesregierung veröffentlicht wurde. Der Zeitplan für die Entwicklung des ursprünglichen Leitfadens verlief parallel zur Entwicklung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs), die ebenfalls 2011 verabschiedet wurden. Die Arbeiten an dem nationalen Rahmen leitete ein Ausschuss zur Ausarbeitung der Richtlinie (der verschiedene Interessengruppen vertrat) – unterstützt von einem umfassenden Konsultationsprozess in ganz Indien.
Während die NVGs freiwillig waren, wurde die Offenlegung und Berichterstattung darüber von der obersten Marktaufsichtsbehörde SEBI schrittweise vorgeschrieben. Der Leitfaden wurde später aktualisiert, um ihn an die SDGs und die UNGPs anzupassen. Das aufwändige Verfahren, das bei der Fortentwicklung angewandt wurde, trug wesentlich zum Mainstreaming der nationalen Leitlinien bei. Die weitere Verbreitung der NVG wurde durch einen gut geplanten Prozess der Bewusstseinsbildung und des Kapazitätsaufbaus befördert. Heute sind die 1.000 größten Unternehmen (gemessen an der Marktkapitalisierung) verpflichtet, nach dem Format der Unternehmensverantwortungs- und Nachhaltigkeitsberichterstattung zu informieren. Für kleine und mittlere Unternehmen wurde eine abgespeckte Version entwickelt.
An der Seitenlinie
Ein genauer Blick auf die zeitlichen Abläufe bei der Entwicklung der EU-Richtlinie, beginnend mit der Veröffentlichung des vorgeschlagenen Textes durch das Europäische Parlament (EP) und die Europäische Kommission im März 2021 bzw. im Februar 2022, zeigt uns allerdings, dass der globale Süden größtenteils an der Seitenlinie saß – als Empfänger von Informationen (oft versetzt mit verwirrenden Nachrichten und Unklarheiten über die nächsten Schritte).
Nach der endgültigen formalen Zustimmung des EP und der Mitgliedstaaten wird die Richtlinie nun am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft treten. Danach bleibt den EU-Mitgliedstaaten zwei Jahre, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. (In Deutschland durch Anpassung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetztes, LkSG) Beginnend mit den großen Unternehmen wird sie dann ab 2027 schrittweise gelten.
Von jetzt bis 2027, wenn die EU-Richtlinie von den Unternehmen umzusetzen ist, kann und muss viel getan werden, um eine reibungslose Einführung und Umsetzung der Sorgfaltspflichtengesetze zu gewährleisten. Denn in Ermangelung eines klar umrissenen Entwicklungsplans (im Rahmen eines vorgeschalteten Konsultationsprozesses) werden die Gesetze zwangsläufig auf Skepsis stoßen und etwa als Form von Protektionismus und Handelshemmnisse gesehen werden. Dies kann im Gegenzug die Akzeptanz der Richtlinie durch die Akteure der Wertschöpfungsketten und die Bemühungen um ihre Anwendung beeinträchtigen.
Um das Ziel der Richtlinie, den Aufbau gerechter und nachhaltiger globaler Wertschöpfungsketten, zu erreichen, wird es wichtig sein, vorausschauend die folgenden Schritte zu prüfen:
(1) Erstellung eines Aktionsplans, in dem die Übernahme der EU-Richtlinie in den Lieferketten (die sich ausnahmslos im globalen Süden befinden) beschrieben wird. Mit:
- klarer Kommunikation und Informationsaustausch über die nächsten Schritte, einschließlich von Fristen und Auswirkungen der Sorgfaltspflichtengesetze auf kleinere Unternehmen und
- Formulierung der Erwartungen an die Akteure der Lieferkette gemäß der EU-Richtlinie.
(2) Bewusstseinsbildung und Aufbau von Kapazitäten
- Sensibilisierung für die Sorgfaltspflichtengesetze, um ein einheitliches Verständnis zu gewährleisten und Vertrauen aufzubauen und damit auch etwaigen Befürchtungen hinsichtlich der Verfolgung von Protektionismus und Strafmaßnahmen entgegenzutreten.
- Konzertierte Anstrengungen, um die Unternehmen in den Schwellenländern bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichtgesetze zu unterstützen und anzuleiten, und zwar schrittweise, und
- Festlegung eines klaren Zeitplans und eines Budgets, um den Aufbau der Kapazitäten aktiv voranzutreiben. Dies ist nicht nur aus Sicht der Lieferanten wichtig, sondern auch für große Unternehmen (Marken und Käufer), die möglicherweise nicht mehr in der Lage sind, von ihren Lieferanten zu kaufen, wenn keine angemessene Unterstützung und kein Kapazitätsaufbau erfolgt. Dies wiederum könnte dazu führen, dass die Lieferanten "offenere" Märkte bedienen und somit Sinn und Zweck eines solchen Gesetzes zunichtemachen.
(3) Unterstützung bei der Bewältigung der Veränderungen, mit denen die Lieferanten in ihrem lokalen Umfeld konfrontiert sind
- So wichtig es ist, die Zulieferer zu unterstützen, so wichtig ist es auch, die Großabnehmer über ihre Verantwortung aufzuklären und sie dahinzuführen, Zulieferer zu unterstützen, anzuleiten und ihnen realistische Leistungsziele zu setzen.
- Wissenstransfer und technisches Know-how bereitstellen, und
- mögliche Engpässe der Lieferanten verstehen und sie gemeinsam bewältigen.
(4) Anerkennung der nationalen Ordnungsrahmen und Richtlinien in Schwellenländern. Dazu
- den politischen Entscheidungsträgern des globalen Südens eine Plattform bieten, um über ihre Politik und Rahmenbedingungen zu sprechen und
- den Zulieferern im globalen Süden eine Plattform schaffen, um ihre bewährten Erfahrungen und Herausforderungen zu teilen.
Wohl gibt es eine breite Anerkennung der Notwendigkeit und Bedeutung eines EU-weiten Sorgfaltspflichtengesetzes, das Unternehmen und Menschenrechte in den Mittelpunkt stellt. Es ist jedoch die Herangehensweise an die Einbindung und Annahme des Gesetzes, die über seine Wirksamkeit in den kommenden Jahren entscheiden wird.