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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 06/2023
  • Sarah Ganter

Kommt die UN-Steuerkonvention für nachhaltige Entwicklung?

Eine führende Rolle der Vereinten Nationen in der globalen Steuerkooperation verspricht mehr Transparenz und weniger Machtgefälle als im Reformprozess der Industrieländer.

Die Navachab Goldmine in Namibia. Durch Vertragsbedingungen zugunsten von Bergbaukonzernen entgehen Regierungen gerade in ärmeren Ländern wertvolle Einnahmen. © Wikipedia Hp.Baumeler CC BY-SA 4.0

Internationale Steuerkooperation ist eine der zentralen Stellschrauben in der Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele und der Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens. Staaten brauchen Geld, um auf die multiplen Herausforderungen unserer Zeit reagieren zu können und zukünftigen Krisen vorzubeugen. Der Finanzierungsbedarf ist enorm. Schätzungen der Weltbank zufolge müssen bis 2025 jährlich eine Billion und in der Folge bis zum Ende dieses Jahrzehnts 2-2,8 Billionen USD pro Jahr investiert werden, um die Agenda 2030 umzusetzen und die Pariser Klimaziele zu erreichen. Doch durch globale Gewinnverschiebung multinationaler Konzerne entgehen öffentlichen Kassen große Summen an Steuereinnahmen.

Wie hoch genau die Verluste sind, lässt sich aufgrund der mangelnden Transparenz des internationalen Steuersystems nur schwer beziffern. Die OECD schätzt, dass jährlich um die 100-240 Milliarden US-Dollar durch Steuervermeidung verloren gehen. Zivilgesellschaftliche Schätzungen lagen 2021 bei mehr als 480 Milliarden US-Dollar. Länder niedrigen Einkommens sind von den Verlusten besonders betroffen, da sie stärker als Industrieländer von den Einnahmen der Konzernbesteuerung abhängen.

Platz am Tisch

Die Forderung, die Vereinten Nationen zum zentralen Austragungsort internationaler Steuerkooperation zu machen, ist so alt wie die Debatte um eine Reform des internationalen Steuersystems selbst. Bislang ist mit der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) der Club der Industrieländer federführend im Reformprozess des internationalen Steuersystems. Im Auftrag der G20 erarbeitet die OECD Vorschläge zur Eindämmung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS). Die Gruppe der G77 und zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Global Alliance for Tax Justice fordern schon seit langem, eine stärkere Rolle der Vereinten Nationen, um ein internationales Steuersystem zu gestalten, das an den Zielen der nachhaltigen Entwicklungsagenda orientiert ist und für mehr internationale Steuergerechtigkeit sorgt. Mit dem Slogan „If you are not at the table, you are on the menu“ kritisieren sie, dass Entwicklungsländer bei den OECD-Verhandlungen nicht gleichberechtigt mit am Tisch sitzen.

Im November 2022 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen zur allgemeinen Überraschung eine von der Gruppe afrikanischer Staaten eingebrachte Resolution zur internationalen Steuerkooperation verabschiedet. Die Resolution sieht einen zwischenstaatlichen Prozess vor, der die bestehenden Instrumente und Prozesse der internationalen Steuerkooperation in Hinblick auf ihre Inklusivität und Effektivität auf den Prüfstand stellen soll. Der VN-Generalsekretär wurde mit der Erarbeitung eines entsprechenden Berichts beauftragt.

Die Entscheidung ist insofern historisch, als sie der langjährigen Forderung von Entwicklungsländern und Zivilgesellschaft nach einer Aufwertung der Rolle der Vereinten Nationen im Reformprozess des internationalen Steuersystems Rechnung trägt. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass langfristig der Weg frei gemacht wird, im Rahmen einer VN-Steuerkonvention die Ungerechtigkeiten des bestehenden Systems zu adressieren. 

Das internationale Steuersystem – marode und ungerecht

Komplexität und Regulierungslücken machen es Konzernen, die in mehreren Ländern tätig sind, leicht, ihre Gewinne an Niedrigsteuerstandorte zu verschieben. Denn das aktuelle internationale Steuersystem ist über hundert Jahre alt. Es stammt noch aus der Zeit des Völkerbundes. Doch die Regeln der internationalen Steuerkooperation sind für die heutige globalisierte Welt nicht nur dysfunktional, sie sind auch ungerecht, weil sie Besteuerungsrechte an den Muttersitz von Unternehmen knüpfen und nicht da verorten, wo Wertschöpfung tatsächlich stattfindet. Auch das System der Doppelbesteuerungsabkommen ist überholt und begünstigt in vielfacher Weise reiche und kapitalexportierende Länder.

Die mit hochrangigen Ökonom_innen besetzte „Unabhängige Kommission für die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT)“ forderte in ihrer Gründungserklärung von 2015 deshalb grundlegende Reformen. Demnach sollten multinationale Unternehmen durch eine Gesamtkonzernsteuer als Ganzes in den Blick genommen und nicht mehr als verbundene Einzelunternehmen besteuert werden. Das würde die Missbrauchsmöglichkeiten im Rahmen des bisherigen Transferpreissystems reduzieren. Außerdem schlug die Kommission eine globale Mindeststeuer vor, um dem internationalen Unterbietungswettbewerb einen Riegel vor zu schieben. Im Zuge dessen versuchen Regierungen, durch immer niedrigere Unternehmenssteuern Investitionen anzulocken.

Darüber hinaus empfahl die Kommission, das Expert_innenkomitee zu internationalen Steuerangelegenheiten der Vereinten Nationen zu einer zwischenstaatlichen Steuerbehörde auszubauen – mit dem Ziel, die Spielregeln des internationalen Steuersystems in einer gemeinsamen VN-Steuerkonvention festzuschreiben. Das Expert_innenkomitee bietet schon jetzt praktische Unterstützung für Regierungen, Steuerverwaltungen und Steuerzahlende mit besonderem Fokus auf Herausforderungen für Entwicklungsländer. Unter anderem hat das Gremium ein VN-Muster-Doppelbesteuerungsabkommen erarbeitet und ein Handbuch zu Verrechnungspreisen sowie weitere Handbücher zur Vermeidung und Beilegung von Steuerstreitigkeiten und zur Umweltbesteuerung veröffentlicht.

Verhandlungserfolge bei der globalen Mindeststeuer

Eine neue Dynamik bekam die internationale Reformdebatte in den letzten Jahren durch die wachsenden Herausforderungen in der Besteuerung der digitalen Wirtschaft und von Unternehmen mit virtuellen Betriebsstätten. Immer deutlicher zeigte sich, dass kosmetische Reparaturen des alten Systems kaum ausreichen würden, um es fit für das 21. Jahrhundert zu machen. 2016 wurde deshalb mit dem sogenannten Inclusive Framework on BEPS ein neuer OECD-Prozess aufgesetzt, der digitale Geschäftsmodelle mit in den Blick nehmen sollte. Zugleich trug er der institutionellen Kritik Rechnung, indem er Entwicklungsländer unter dem Dach der OECD stimmberechtigt beteiligte.

Verhandelt wurde in zwei Säulen: In der ersten ging es um die globale Verteilung von Besteuerungsrechten und damit ganz konkret um die Frage, wer künftig wieviel vom internationalen Steuerkuchen abbekommen sollte. Hier erwiesen sich die Verhandlungen als zäh und wenig ertragreich. In der zweiten Säule konnte hingegen ein Durchbruch zur Eindämmung des Niedrigsteuerwettbewerbs erzielt werden. Nach langwierigen Verhandlungen einigten sich die Mitgliedsländer des Inclusive Frameworks 2021 auf die Einführung einer globalen Mindeststeuer von 15 Prozent.

Der Satz liegt unter den von der ICRICT-Kommission geforderten 25 Prozent und birgt die Gefahr, dass ihn Länder mit höheren Steuern zum Anlass nehmen, ihre Sätze nach unten zu korrigieren. Trotzdem ist es ein Schritt in die richtige Richtung, der zurecht als Meilenstein in der internationalen Steuerkooperation gefeiert wurde.

Das nicht so inklusive „Inclusive Framework“

Im Inclusive Framework on BEPS arbeiteten Vertreter_innen aus 138 Ländern gemeinsam an der Entwicklung neuer Steuerstandards – über zwei Drittel dieser Länder sind keine OECD-Mitgliedsstaaten, die Steuerungsgruppe war paritätisch mit Mitgliedern aus OECD- und Nicht-OECD-Ländern besetzt und Entscheidungen werden im Konsensverfahren getroffen. Trotzdem wurde das Format weiterhin für seine mangelnde Inklusivität kritisiert. Die Federführung des Prozesses lag beim OECD-Sekretariat, in dem die Industrieländer das Sagen haben. Eintrittskarte für die Teilnahme war außerdem eine Verpflichtung, die in den bisherigen BEPS-Verhandlungen unter Ausschluss des Globalen Südens beschlossenen Mindeststandards umzusetzen. Die teilnehmenden Länder niedrigen Einkommens verpflichteten sich also darauf, Regeln zu implementieren, obwohl sie an der Regelsetzung nicht beteiligt waren und nicht auf entsprechende Erfahrungen und technische Ressourcen in der eigenen Steuerverwaltung zurückgreifen konnten.

Unwägbarkeiten für Entwicklungsländer brachte beispielsweise die aufwändige Einsetzung von obligatorischen und verbindlichen Schiedsverfahren zur Konfliktbeilegung mit sich. Von den ärmsten Ländern waren nur weniger als ein Viertel im Inclusive Framework vertreten. Dass nicht in Ländergruppen verhandelt wurde, erschwerte es den Vertreter_innen des Globalen Südens zusätzlich, sich gegen die Dominanz der Industrieländer durchzusetzen. Anders als an VN-Standorten, konnten die anreisenden Delegierten auch nicht auf die technische Unterstützung ihrer ständigen Vertretungen vor Ort zurückgreifen.

Der neue Vorstoß für eine VN-Steuerkonvention

Der weiterhin dringliche Reformbedarf des internationalen Finanz- und Steuersystems bleibt auch nach Abschluss der OECD-Verhandlungen unbestritten. VN-Generalsekretär Antonio Gueterrez sprach kürzlich in einer Pressekonferenz von einem moralisch bankrotten globalen Finanzsystem, das von reichen Ländern gestaltet wurde und dementsprechend auch deren Interessen bedient. Das hochrangige UN Panel on Financial Accountability, Transparency and Integrity (kurz FACTI-Panel), dem auch die ehemalige deutsche Entwicklungsministerin, Heidemarie Wieczorek-Zeul, angehörte, unterzog das internationale Finanzsystem 2020 einem umfassenden Kohärenzcheck. In einem Empfehlungskatalog wurden Maßnahmen zum Stopfen von Schlupflöchern und der Beseitigung regulatorischer Blindstellen aufgeführt. Darin wird der Vorschlag aufgegriffen, aufbauend auf den bereits existierenden Strukturen eine inklusive und zwischenstaatliche Institution für Steuerangelegenheiten unter dem Dach der Vereinten Nationen anzusiedeln.

Im Frühjahr 2022 legten die Organisationen Eurodad und Global Alliance for Tax Justice nach und veröffentlichten einen fiktiven aber bis ins Detail ausgearbeiteten Entwurf einer VN-Steuerkonvention. Die Gruppe afrikanischer Länder bei den Vereinten Nationen, die sich in der Vergangenheit schon für eine solche Konvention ausgesprochen hatte, unterstützte den Vorstoß. Industrieländer stehen dem Vorhaben hingegen eher skeptisch gegenüber. Kritiker befürchten eine Parallelstruktur zum etablierten Reformprozess bei der OECD.

Eine im Oktober 2022 von der Gruppe der G77 zusammen mit China in die VN-Generalversammlung eingebrachte Resolution zur Bekämpfung von Illicit Financial Flows, die die Schaffung einer Steuerbehörde bei den Vereinten Nationen vorsah, blieb entsprechend erfolglos. Auch die Gruppe der afrikanischen Staaten musste sich von dem ursprünglich im Resolutionsentwurf enthaltenen direkten Mandat zur Schaffung einer VN-Steuerkonvention verabschieden. Mit der letztendlich im November vergangenen Jahres verabschiedeten Resolution wurde jetzt ein ergebnisoffener Prozess in Gang gesetzt, an dessen Ende eine VN-Steuerkonvention stehen könnte.

Welche Vorteile bringt eine VN-Steuerkonvention?

Eine federführende Rolle der Vereinten Nationen in der internationalen Steuerkooperation würde helfen, die im OECD-Rahmen immanenten institutionellen Machtasymmetrien im Reformprozess zu reduzieren. Außerdem brächte eine institutionelle Aufhängung bei den Vereinten Nationen mehr Transparenz. Die öffentlich ausgetragenen Verhandlungen würden Entscheidungsprozesse für die Öffentlichkeit nachvollziehbar machen. Dadurch böten sie Bürger_innen die Möglichkeit ihre Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen. Auch zivilgesellschaftlichen Organisationen, denen in steuerpolitischen Angelegenheiten in der Regel eine Übermacht von Unternehmenslobbyisten gegenübersteht, bietet das VN-System bessere Zugangsmöglichkeiten.

Schließlich böte das VN-System aber vor allem die Möglichkeit, die Reform des internationalen Steuersystems im größeren Kontext nachhaltiger Entwicklung zu verorten und seine Kohärenz mit anderen globalen Prozessen sicherzustellen. Eine stärkere Rolle der Vereinten Nationen sollte dabei nicht im Widerspruch zu bisher erreichten Kooperationserfolgen stehen, sondern wie in der November-Resolution beschrieben, auf dem aufbauen, was schon erreicht wurde – sowohl von der OECD als auch vom Expert_innenkomitee zu internationalen Steuerangelegenheiten der Vereinten Nationen.

Sarah Ganter Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin
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