Wenn Agrarkonzerne zu Datenkraken werden
Daten sind auch in Ernährungssystemen die neue Währung. Wer sie kontrolliert, hat am Markt die Nase vorn.
Die Digitalisierung unserer Agrar- und Ernährungssysteme beschleunigt sich zunehmend. Die einen sprechen von einer ‚digitalen Revolution‘. Die anderen sehen eher eine Fortsetzung und Vertiefung der Industrialisierung der Landwirtschaft – und somit der bestehenden Strukturen des Agrar-Ernährungssystems, das insbesondere durch die Dominanz weniger transnationaler Großkonzerne gekennzeichnet ist (Clapp und Ruder 2020; Prause et al 2021). Digitale Technologien halten entlang der gesamten Lieferketten von Agrarerzeugnissen Einzug.
Zwei Beispiele am Anfang der Lieferkette sind die Gentechnik oder die Vergabe von Krediten. Es wird mit digitalen Werkzeugen und gentechnischen Methoden wie den CRISPR-Technologien neues, genetisch verändertes Saatgut entwickelt. Vor der Vergabe von Krediten oder Versicherungen für landwirtschaftliche Betriebe werden Daten zurate gezogen, die über die Betriebe erfasst werden. In den Betrieben selbst setzen Landwirt*innen sowohl im globalen Norden wie in industrialisierten Landwirtschaften Brasiliens oder Argentiniens vermehrt Präzisionstechnologien ein: Landmaschinen, die Düngemittel und Pestizide gezielter und damit sparsamer ausbringen können. Roboter kommen für die Ernte von Obst- und Gemüse zum Einsatz.
Großkonzerne wie Bayer, weltgrößter Hersteller von Saatgut und Pestiziden, stellen zudem Onlineplattformen bereit, die Landwirt*innen als Dienstleistung datenbasierte Entscheidungshilfen und Handlungsempfehlungen anbieten. Dafür werden allgemeine Daten wie Wetterprognosen mit den Daten eines spezifischen Betriebs zusammengeführt und ausgewertet. So können zum Beispiel Empfehlungen bereitgestellt werden, wann im Jahr der beste Zeitpunkt für die Aussaat ist.
Auch im Handel und Transport spielen digitale Technologien eine wachsende Rolle. Konzerne nutzen die Blockchain-Technik, um ihre gesamten Lieferketten zu überwachen und transparenter zu machen. Und am Ende der Lieferketten kaufen Konsument*innen gerade in Pandemie-Zeiten Lebensmittel nicht mehr nur im Supermarkt, sondern lassen sie gerne vom Lieferdienst bringen. Die Digitalisierung verändert also die landwirtschaftliche Produktion in den Betrieben ebenso wie die gesamten Nahrungsmittellieferketten.
Konzernmacht im Agrar-Ernährungssystem
Wie verändern diese Technologien nun den Einfluss transnationaler Konzerne im Agrar-Ernährungssystem, das durch eine sehr starke Konzentration von weltweit agierenden Großunternehmen geprägt ist? Diese Konzentration hat sich insbesondere bei Betriebsmitteln in den vergangenen Jahren nach einigen großen Übernahmen wie etwa die von Monsanto durch Bayer oder durch die Fusion von ChemChina und Sinochem, der die chinesischen Behörden 2021 zustimmten, noch verschärft. ChemChina hatte davor 2017 bereits die Schweizer Firma Syngenta übernommen.
Die Nichtregierungsorganisation ETC Group hat berechnet, dass 2018 vier Konzerne (Bayer, Corteva, ChemChina and Limagrain) 67 Prozent des weltweiten Saatgutmarktes kontrollierten. Auch bei den Agrarchemikalien beherrschen nur vier Konzerne 70 Prozent des weltweiten Marktes. Im Getreidehandel halten die größten vier Unternehmen gar 90 Prozent der Marktanteile. Ein Verhältnis vergleichbar mit den deutschen Supermärkten: Vier große Ketten dominieren etwa 85 Prozent des Marktes (Mooney 2018).
Eine solche Marktmacht von wenigen Konzernen, einige Autoren sprechen auch von Oligopolen im Agrar-Ernährungssystem, ermöglicht diesen sehr starken Einfluss auf die Preisgestaltung. Deutsche Landwirt*innen protestieren regelmäßig gegen die Dumpingpreise großer Supermarktketten für ihre Produkte. Durch Lobbyarbeit nehmen Konzerne zudem Einfluss auf die Politik – etwa indem sie sich gegen Verbote bestimmter Pestizide wie Glyphosat oder Steuern auf sehr zuckerhaltige Nahrungsmittel wehren.
Über die vergangenen Jahrzehnte haben sich insbesondere die großen Supermärkte einen zentralen Platz im Agrar-Ernährungssystem gesichert, in dem sie durch ihre Kontrolle über Lieferketten und ihre konzentrierte Markmacht sowohl Standards für die Produktion von Nahrungsmitteln setzen als auch die Preisgestaltung stark beeinflussen. Digitale Technologien könnten die Kontrolle von Supermärkten oder Agrargroßhändlern wie Cargill über ihre globalen Lieferketten und den daran beteiligten Akteuren noch erweitern.
Wohl können digitale Technologien die Transparenz von Lieferketten im positiven Sinn für Verbraucher erhöhen, wenn sie erfahren, woher etwa der Kakao ihrer Schokolade kommt, wie er angebaut und geerntet wurde. Zugleich bedeutet dies aber für die Erzeuger*innen, darunter Kleinbauern und -bäuerinnen, dass große Abnehmer die landwirtschaftliche Produktion stärker kontrollieren können. Wollen oder können sie bestimmten Vorgaben der Unternehmen nicht folgen, kann dies – etwa durch die Überwachung von Feldern mit Satelliten- oder Drohnentechnologie – jetzt viel schneller sichtbar gemacht werden. Im schlimmsten Fall kann es dazu führen, dass Bauern ihre Ernte nicht mehr verkaufen können.
Techkonzerne im Agrar-Ernährungssystem
Kapital aus dem Technologiesektor fließt vermehrt besonders in den Lebensmitteleinzelhandel und erobert Marktanteile (Prause et al 2021). Supermarktketten, die sich bis vor kurzem noch in vielen Ländern auf etablierte Oligopole und sehr wenig Wettbewerb stützten, sehen sich mit der Digitalisierung nun neuen Akteuren gegenüber. Technologie-Riesen wie Amazon oder Alibaba bauen auf ihren Internetplattformen den Handel mit Lebensmitteln aus. In den USA hat Amazon 2017 die Supermarktkette Whole Foods übernommen und verbindet zunehmend Online- und Offlinehandel mit Lebensmitteln.
Konzerne aus dem Technologiesektor investieren jedoch auch in anderen Bereichen des Agrar-Ernährungssystems: Der chinesische Alibaba-Konzern bietet etwa das ET Agricultural Brain an – ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Werkzeug zur Verbesserung des Obst- und Gemüsebaus sowie der Schweinezucht. Alibabas Blockchain-Technologien werden außerdem für die Rückverfolgbarkeit und Transparenz von Lebensmitteln entlang von Lieferketten genutzt.
Agrarkonzerne und digitale Technologien
Doch auch die traditionellen großen Player des Agrar-Ernährungssystems haben digital aufgerüstet, um ihre Marktmacht zu stärken. Sie dominieren die digitalen Technologien in der Landwirtschaft und im Nahrungsmittelgroßhandel. Alle Weltmarktführer bei Saatgut – Bayer, DowDuPont und Sinochem-ChemChina – haben zahlreiche Verträge abgeschlossen, um Zugang zu den Grundlagenpatenten für die CRISPR-Technologien zu erlangen. DowDuPont gelang es, 48 Grundlagenpatente in einen gemeinsamen Pantente-Pool zu vereinen. Diese Grundlagenpatente ermöglichen die vollumfängliche Nutzung der CRISPR-Technologie in der Pflanzenzucht.
Der Konzern kann damit gebündelte, nicht-exklusive Lizenzen zu diesem Patente-Pool anbieten – natürlich gegen Gebühr. Insbesondere Dow-Dupont sichert sich so eine neue Form der Markmacht, der Konzern kontrolliert gerade für kleinere Unternehmen im Bereich der Saatgutzucht den Zugang zu dieser Technologie (Then 2019).
Um bei künftigen Innovationen mit vorne dabei zu sein, haben die führenden Agrarkonzerne zudem eine ganze Reihe kleinerer Start-Ups und Firmen übernommen, die digitale Technologien für die Landwirtschaft entwickelt haben. Monsanto hatte vor der Übernahme durch Bayer selbst Start-Ups übernommen, darunter The Climate Corporation, die die erfolgreiche Farmmanagement-Plattform Climate Field View entwickelte (Mooney 2018). Zugleich bauen die Agrarkonzerne eigene Start-up-Inkubatoren und Wagniskapital-Finanzierungen aus.
Big Data und neue Formen von Konzernmacht
Farmmanagement-Plattformen sind zu einem wichtigen Aktions- und Investitionsbereich der großen Agrarkonzerne geworden. Sie ermöglichen es Landwirt*innen, datengestützte Entscheidungen in der Bewirtschaftung ihrer Betriebe zu treffen. Erntedaten werden z.B. direkt von den Erntemaschinen an die Plattform übertragen, die diese mit Wetterdaten und möglicherweise Daten zur Bodenqualität kombiniert und daraus Empfehlungen für die Aussaat im nächsten Jahr erstellt.
Auch die Schweizer Syngenta (jetzt Teil von ChemChina-Sinochem) hat für "smarte" Lösungen bei Saatgut und Pflanzenschutz stark in die Übernahme von Farmmanagement-Plattformen investiert. Der Konzern will das einzige Unternehmen sein, das Zugang zu den führenden digitalen Plattformen in den vier wichtigsten Agrarmärkten der Welt hat: USA, Brasilien, China und Osteuropa. Nicht zuletzt schöpfen die führenden globalen Agrarmaschinenproduzenten wie John Deere oder AGCO Daten ab, denn über die Sensoren und GPS-Systeme ihrer Maschinen werden viele Informationen überhaupt erst erhoben.
Über diese Plattformen und andere digitale Technologien können Agrarkonzerne riesige Datenmengen über landwirtschaftliche Betriebe sammeln. Um die Technologien vollumfänglich nutzen zu können, müssen Landwirte ihre persönlichen Betriebsdaten preisgeben, ebenso wie Informationen über die Qualität der Böden und der Pflanzen, die sie anbauen. Das geltende Recht in Deutschland, Europa und den USA schützt die Betriebsdaten nicht vor dem Zugriff Dritter, also der anbietenden Agrarkonzerne (Vogel 2020). Alistair Fraser (2018) prägte dafür den Begriff Data-Grab, den wir gerade in der Landwirtschaft beobachten.
Die von Großkonzernen kontrollierten Softwareplattformen produzieren zudem so genannte Lock-In-Effekte. Einerseits sind die Kosten für die Nutzung der Plattformen gering oder gleich null, während sie für den Wechsel zu einem anderen Anbieter dann hoch sind (z.B. aufgrund der Inkompatibilität von Datenformaten). Zum anderen verbinden die großen Agrarkonzerne die Funktionen der Farmmanagement-Plattformen eng mit ihren eigenen Produkten und Betriebsmitteln – und schaffen so einen weiteren Lock-In-Effekt.
Syngentas Chief Information and Digital Officer erklärte in einem Interview, der Konzern glaube nicht, mit dem Verkauf von Software für die Landwirtschaft Geld verdienen zu können; stattdessen sehe er Farmmanagement-Plattformen als Ergänzung zu seinen Kernprodukten (Rana 2020). Weitere Lock-In-Effekte für Landwirte entstehen, wenn die Farmmanagement-Plattform nur für bestimmte Kulturen oder gar nur bestimmtes Saatgut Empfehlungen bietet (Carolan 2020).
Fazit
Digitale Technologien sind bereits ein fester Bestandteil des Agrar-Ernährungssystems. Zwar haben gerade im globalen Süden die wenigsten Produzent*innen Zugang zu diesen Technologien. Dennoch werden auch ihre Produktions- und Lebensweisen zunehmend durch digitale Werkzeuge, die entlang globaler Lieferketten eingesetzt werden, beeinflusst. Die derzeit prominenten Digitaltechnologien für die Landwirtschaft werden von den großen Agrarkonzernen entwickelt und kontrolliert. Sie ermöglichen es, globale Lieferketten noch enger zu überwachen. Neue Fragen stellen sich bezüglich der Autonomie von Landwirt*innen, die durch Programme zum Betriebsmanagement noch stärker in die Abhängigkeit von den großen Input-Produzenten geraten.
Die derzeit dominierenden digitalen Technologien stärken die Macht großer Agrarkonzerne im Agrar-Ernährungssystem und festigen die derzeit dominanten industrialisierten Produktionsweisen in der Landwirtschaft. Zwar wird gerne von der digitalen Revolution in der Landwirtschaft gesprochen, um jedoch eine wirkliche soziale und ökologische Transformation des Agrar-Ernährungssystems voranzubringen, brauchen wir andere digitale Technologien, die:
- gemeinschaftlich und mit Produzent*innen entwickelt und als Open source-Programme veröffentlicht werden;
- Daten der Landwirt*innen schützen;
- gezielt sozial und ökologisch nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken unterstützen;
- und eine ökologische Transformation des Sektors ermöglichen, statt wie bisher marginal die klimaschädlichen Praxen der industrialisierten Landwirtschaft zu verbessern (Fraser 2021).
Hier gibt es Nachholbedarf: Digitale Technologien müssen gezielt für die Unterstützung agro-ökologischer und regenerativer landwirtschaftlicher Praxen entwickelt werden. Erste Schritte in diese Richtung gibt es bereits.
Unternehmen wie RucolaSoft bieten digitale Anbauplaner für Gemüse speziell für solidarische Landwirtschaften an. Die Three Rivers Farmer Alliance, ein Netzwerk aus Landwirt*innen in den USA, hat eine App entwickelt, mit der Restaurants, Schulen, und Läden Lebensmittel direkt von lokalen landwirtschaftlichen Betrieben bestellen können. So werden lokale Vertriebsnetzwerke ausgebaut (Rotz et al 2019). FarmOS ist eine freie Opensource-Farmmanagementplattform, die von einer Gemeinschaft aus Landwirt*innen, Entwickler*innen, Forscher*innen und Organisationen entwickelt wurde.
Auch SpotFarming könnte künftig eine Alternative zu der bisher dominanten Form der Digitalisierung bieten. Bei SpotFarming stehen die Bedürfnisse der einzelnen Pflanze im Mittelpunkt. Ackerflächen werden in kleine Bereiche mit gleichen Eigenschaften eingeteilt und diese von autonom agierenden Robotern standort- und einzelpflanzenspezifisch bewirtschaftet. Damit solche Technologien (weiter-)entwickelt werden und sich im größeren Maßstab durchsetzen können, braucht es jedoch eine andere Agrarpolitik, die durch Regulierung und gezielte Finanzierung eine ‚alternative‘ digitale Infrastruktur für die Landwirtschaft und das Agrar-Ernährungssystem als Ganzes unterstützt.
Literaturverzeichnis
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Prause, Louisa, Sarah Hackfort, and Margit Lindgren. 2021. Digitalization and the third food regime. Agriculture and Human Values (38):641–655. doi:10.1007/s10460-020-10161-2.
Rana, S. 2020. Interview: Syngenta’s digital offerings will effectively accompany its core CP/seed products. Agrow. https ://agrow .agrib usine ssint ellig ence.infor ma.com/AG032 365/Inter view-Synge ntas-digit al-offer ings-will-effec tivel y-accom pany-its-core-CPsee d-produ cts. (18 Juni 2020).
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