Chinas Seidenstraße führt auch nach Afrika
Der Bau von Infrastruktur kann Ländern Fluch oder Segen bringen. Sicher ist: Peking gewinnt Verbündete auf der Weltbühne.
Als die neue Seidenstraßeninitiative oder „Belt and Road Initiative“, kurz BRI genannt, im Jahr 2013 eingeführt wurde, schloss sie Afrika gar nicht mit ein. Die BRI war ursprünglich als "Nachbarschaftspolitik" konzipiert, um gute wirtschaftliche und politische Beziehungen mit Ländern in direkter geografischer Nähe zu China zu fördern. Damit konzentrierte sie sich hauptsächlich auf Asien und Europa und berührte nur den Nahen Osten und Nordafrika als Transitwege zum Mittelmeer.
Zugleich waren die Beziehungen Chinas zu Afrika bereits von Prinzipien und Politiken geleitet, die der Infrastrukturentwicklung große Bedeutung beimessen. Chinas Prinzip „san wang yi hua“ (drei Netzwerke und Industrialisierung), das auch den Beziehungen zu Afrika zugrunde liegt, hebt auf den Bau von Straßen-, Eisenbahn- und Luftverkehrsverbindungen ab. In ähnlicher Weise konzentrieren sich Chinas neuere Afrikapolitik und sein Weißbuch zur Außenhilfe auf die Entwicklung von Infrastruktur. Insgesamt fügt sich die BRI also nahtlos in bisherigen Leitprinzipien ein, da die Infrastrukturanbindung auch eine ihrer tragenden Säulen ist.
Angesichts dieser Parallelen und der Ausdehnung der BRI über die Nachbarschaft Chinas hinaus war es eine natürliche Entwicklung, dass allmählich auch afrikanische Länder einbezogen wurden. Bis April 2019 hatten insgesamt 44 afrikanische Länder und die Afrikanische Union irgendeine Art von Abkommen über die Initiative unterzeichnet, wodurch Afrika Teil der BRI wurde.
Zugleich bringt "Belt and Road" auch Peking Vorteile. Chinas Regierung, Banken und Unternehmen haben dabei unterschiedliche Aufgaben, Interessen und Triebkräfte. Auf Regierungsebene trägt die BRI dazu bei, die politischen Beziehungen zu afrikanischen Ländern zu festigen. Sie können mächtige Verbündete auf der Weltbühne sein. Wirtschaftlich hilft das BRI bei der Bewältigung chinesischer Überkapazitäten im Infrastruktursektor und exportiert die Dienstleistungen von Bauunternehmen in neue Märkte. Die Rolle der Banken ist es, diese Prozesse durch die Bereitstellung von dringend benötigtem Kapital zu befördern.
Welche Vorteile bieten sich für Afrika?
Wir wissen, dass chinesische Investitionen insgesamt und trotz einiger Herausforderungen für die afrikanischen Länder im Großen und Ganzen vorteilhaft waren und zur wirtschaftlichen Transformation beigetragen haben. Wie wir in unserem jüngsten Bericht Africa’s economic transformation: the role of Chinese investment des Overseas Development Institute (ODI) zeigen, haben chinesische Investitionen die Schaffung von Arbeitsplätzen, den Technologie- und Wissenstransfer und die wirtschaftliche Diversifizierung unterstützt.
Doch während Investitionen in die Sektoren Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen sich weitgehend vorteilhaft ausgewirkt haben, mag es sich mit der Seidenstraßeninitiative künftig anders verhalten. Da die Initiative in Afrika noch relativ neu ist, empfiehlt es sich, für ein besseres Verständnis einige Infrastrukturvohaben zu betrachten, die bislang von China in Afrika finanziert und gebaut wurden.
Die Afrikanische Entwicklungsbank schätzt den Bedarf für die Finanzierung der Infrastrukturentwicklung in ganz Afrika auf jährlich 68 bis 108 Milliarden US-Dollar. Chinesische Unternehmen und Geldgeber haben bei der Deckung dieses Bedarfs eine Rolle gespielt. Die China-Afrika-Forschungsinitiative (CARI) schätzt, dass im Zeitraum 2000-2018 Darlehen im Gesamtvolumen von rund 148 Milliarden US-Dollar zugesagt wurden. Davon flossen mehr als die Hälfte in den Verkehrs- und Energiesektor. Mit dem Geld kamen die chinesischen Baukonzerne. Afrika ist ein großer und wachsender Markt für sie. Im Jahr 2017 führten chinesische Firmen Bauarbeiten in 54 afrikanischen Ländern durch und unterzeichneten Neuverträge im Wert von 76,5 Milliarden US-Dollar. Das sind 28,8 Prozent des Gesamtwerts der von chinesischen Unternehmen in dem Jahr unterzeichneten Verträge.
Chinas Entwicklungsfinanzierung bezahlt Infrastrukturprojekte unterschiedlicher Art: von Verkehrsvorhaben wie die Eisenbahnen in Kenia (Standard Gauge) oder von Äthiopien nach Dschibuti, über Energieprojekte wie die Wasserkraftwerke Memve'ele in Kamerun oder Karuma und Isimbi in Uganda, bis hin zu Industrieparks, wie die chinesisch-ägyptische TEDA Suez Economic and Trade Cooperation Zone, sowie Projekte der Stadtentwicklung, etwa den Bau der neuen Hauptstadt Ägyptens.
Über den nationalen Radius hinaus kann chinesische Infrastruktur auch dazu beitragen, panafrikanische Ambitionen zu verwirklichen. So hat die chinesische Regierung sich bereit erklärt, die BRI in Einklang mit der Agenda 2063 zu bringen, der langfristigen Entwicklungsvision der Afrikanischen Union. Ein Abgleich, der auch von afrikanischen Wissenschaftlern unterstützt wird.
Im weiteren Sinne kann die BRI die Umsetzung der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone befördern, die Afrika zu einem Markt für den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen machen soll. Während Regierungen noch damit beschäftigt sind, Zölle und andere Handelshemmnisse abzubauen, benötigen sie auch bessere Verbindungen. Die BRI bietet auch hier Möglichkeiten, entsprechende Lücken in der Infrastruktur zu schließen.
Hat Afrika andere Herausforderungen als Asien?
Wenn BRI-Projekte gut umgesetzt werden, eröffnet das dem Kontinent eine Chance, einige der entwicklungspolitischen Herausforderungen anzugehen – vor allem mit Blick auf den Mangel an Infrastruktur. Allerdings birgt sie auch einige Risiken für afrikanische Länder.
Eines der beherrschenden Themen im Diskurs über chinesisches Engagement ist die Verschuldung: Viele Staaten haben große Summen geliehen, in der Regel von spezialisierten Staatsbanken, manchmal zu Vorzugskonditionen, aber auch zu marktüblichen Zinskosten. Je mehr die Summe chinesischer Kredite an afrikanische Länder steigt, desto lauter wurden Bedenken hinsichtlich der finanziellen Tragfähigkeit dieses Modells.
Befeuert durch Berichte über chinesisch-finanzierte Megaprojekte in Asien, wie den Hafen Hambantota in Sri Lanka, entstand das Narrativ der Schuldenfalle. Demnach vergibt China untragbare Darlehen, die den Schuldner in Zahlungsschwierigkeiten bringen. Folglich finden sie sich in der Falle, sind chinesischer Kontrolle ausgeliefert und sehen sich gezwungen, strategisch wichtige Vermögenswerte zu übertragen.
Einige Studien sind der Existenz einer solchen Schuldenfalle nachgegangen. Die übereinstimmende Erkenntnis scheint indes zu sein, dass es keine Hinweise auf vorsätzlich böswillig vergebene Kredite gibt, die darauf abzielen, einen Schuldner in die Falle zu locken, oder sich dessen Vermögen zu bemächtigen. Während eine steigende Schuldenlast – häufig infolge des Ausbaus dringend benötigter Infrastruktur – in vielen afrikanischen Ländern zweifellos Anlass zur Sorge gibt, ist die Problematik keinesfalls spezifisch mit chinesischen Geldgebern verknüpft, sondern eine Frage der Gesamtverschuldung.
So gehen die ersten Anzeichen von Finanznot infolge der Corona-Pandemie etwa in Sambia eher auf fällige Zinsforderungen privater Gläubiger zurück, als auf Verbindlichkeiten gegenüber China. In der Vergangenheit haben chinesische Geldgeber auch Schulden gestundet, neu verhandelt oder gestrichen; aber das ist ein langer Prozess und wird nicht für alle Arten von Entwicklungsfinanzierung angeboten.
Natürlich darf die Schuldenproblematik deswegen nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Es ist ein ernstes Anliegen, das die afrikanischen Länder forthin sorgfältiger prüfen müssen. Große Infrastrukturprojekte, wie Entwicklungsländer sie nun einmal brauchen, sind kompliziert in der Verwaltung und leiden oft unter Verzögerungen und explodierenden Kosten, während der Nutzen überschätzt wird. Wenn dann der Beitrag zum Wirtschaftswachstum begrenzt ist, können Zahlungsnöte mit potenziell katastrophalen Folgen für die Schuldner entstehen.
Neben finanziellen Komplikationen sind chinesische Projekte auch auf Widerstände gestoßen, die politisch, ökologisch oder sozial begründet sind oder aus einer Kombination der Faktoren. Der Hafen Bagamoyo in Tansania ist ein solches Projekt. Die Bauarbeiten begannen 2015 mit dem ersten Spatenstich, wurden aber wegen Differenzen über die Bedingungen des Abkommens zwischen China und der Regierung gestoppt. Im Jahr 2019 bekräftigte Präsident John Pombe Magufuli erneut, die Konditionen seien ausbeuterisch. Und die Arbeiten sind seither ausgesetzt.
Auf der Insel Lamu in Kenia sollte ein Kohlekraftwerk gebaut werden. Sie ist indes eine Touristenattraktion und die Stadt UNESCO-Weltkulturerbe. Kenianische Aktivisten fochten das Projekt wegen drohender Umweltschäden und wirtschaftlicher Bedenken vor Gericht an, und die Richter verhängten einen Baustopp. Zahlreiche Streitfälle gab es auch beim Bau der Eisenbahn in Kenia, unter anderem über die Beschäftigung von Ortskräften (die chinesische Baufirma wollte kenianische Arbeiter einstellen, die kenianische Seite bestand auf der Beteiligung von Dorfbewohnern entlang der Baustelle). Ein Teil der Strecke quert zudem einen Nationalpark. Solche Probleme sind indes keineswegs einzigartig für Afrika. Sie begleiten große Infrastrukturprojekte überall in der Welt.
BRI als neues Entwicklungsmodell für Afrika?
Birgt die Seidenstraßeninitiative unterm Strich also Gutes für Afrika? Und bietet sie ein alternatives Entwicklungsmodell, das die afrikanischen Länder übernehmen können? Meiner Ansicht nach eröffnet sie eine Chance für Afrika.
Jahrzehntelang ging es bei der Unterstützung afrikanischer Länder durch traditionelle Entwicklungspartner wie Europa und den USA um die Öffnung der Märkte, die Durchsetzung von Sparpolitik im Zuge von Strukturanpassungen und den Rückzug des Staates. Was die Länder aber wirklich brauchten, war gezielte Unterstützung zur Umgestaltung ihrer Volkswirtschaften, um Arbeitsplätze und Chancen jenseits der Mittel- und Oberschicht zu schaffen. Dies erfordert Investitionen in die Infrastruktur, mit dem Ziel, afrikanische Produktionskapazitäten zu stärken. Die traditionellen Geber waren nicht in der Lage, dies angemessen zu fördern. Und nun bieten chinesische Partner hierfür eine Möglichkeit.
Allerdings lauert eine Gefahr. Chinas wirtschaftliches Entwicklungsmodell stützte sich auf den Ausbau von Infrastruktur, um Produktion und Industrialisierung auf die Sprünge zu helfen. Für chinesische Entscheidungsträger war offensichtlich: Auf Straßen, Schienen und Kraftwerke folgen Investitionen, die Arbeitsplätze schaffen und Wachstum ankurbeln. In vielen (nicht allen) Fällen in Afrika ist diese Verbindung nicht explizit gegeben. Projekte zielen nicht speziell darauf ab, die produktive Kapazität zu steigern.
Keine automatische Ansiedlung von Produktion
Ein eklatantes Beispiel dafür ist die Schnellstraße Kampala-Entebbe, die Ugandas Hauptstadt mit dem wichtigsten Flughafen verbindet. Die Straße kostete 476 Millionen US-Dollar, und obwohl sie die Verkehrsüberlastung verringert und die Transitzeit zum Flughafen verkürzt, ist unklar, wie sie das Wirtschaftswachstum in Uganda befördert. In Kenia werden Händler trotz unwirtschaftlicher Konditionen gezwungen, ihre Fracht zwecks Auslastung auf den Güterzügen zu befördern.
Neue Infrastruktur sollte grundsätzlich Treiber wirtschaftlicher Entwicklung sein – und oftmals wird dieser Zweck in Afrika nicht erfüllt. Wo sollten wir dafür die Schuld suchen? Sollten afrikanische Regierungen Sorge tragen, dass die Projekte diesen Nutzen bringen, oder ist es die Verantwortung chinesischer Gläubiger? Die Antwort liegt wohl irgendwo in der Mitte. Afrikas Regierungen sollten natürlich wirtschaftliche Impulse über eigene "Eitelkeiten" stellen. Aber chinesische Partner sollten ihrerseits darauf achten, die potenziellen Nutzen der von ihnen finanzierten Vorhaben in der Planungsphase nicht zu überzeichnen, um unrealistische Erwartungen über die finanzielle Tragfähigkeit zu vermeiden.
Während die "Belt and Road"-Initiative somit großes Potenzial für afrikanische Länder birgt, sollte sowohl auf chinesischer wie auch auf afrikanischer Seite mehr Selbstreflektion stattfinden, um sicherzustellen, dass jedes Vorhaben auch wirklich den Menschen in Afrika nützt.