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  • Entwicklungspolitik & Agenda 2030
  • 02/2020
  • Prof. Dr. Matthias Basedau

Eskalation im Sahel: Eine Region gerät außer Kontrolle

Europas Engagement bringt weder Sicherheit noch Entwicklung. Die Ursachen liegen bei den Regierungen vor Ort und der Vielzahl der Akteure.

Blick aus dem Helikopter auf Madama im Norden von Niger.
Blick aus dem Helikopter auf Madama im Norden von Niger. Das alte Fort der Stadt wurde von Frankreich bis 2019 als Militärposten genutzt, um Versorgungsrouten von Terroristen aufzuspüren. © Thomas Goisque / Wikimedia

Der Sahel umfasst im engeren Sinn fünf Staaten in der Übergangsregion von Nordafrika zum subsaharischen Afrika. Von West nach Ost sind dies Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und der Tschad. Bisher war der Sahel nur wenig in den Schlagzeilen. Das hat sich geändert, seit die Region fest im Griff einer Krise ist, deren Auswirkungen auch vom Nachbarn Europa ernst genommen werden. Fast täglich erreichen uns Nachrichten zu dschihadistischer Gewalt und blutigen Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen; die Region ist durch viele sozioökonomische Probleme und schwache Staaten geprägt.

Die wichtigste Herausforderung mit Eskalationspotential besteht derzeit im Sicherheitsbereich. Alle fünf Staaten wurden in Vergangenheit und Gegenwart von dschihadistischer Gewalt heimgesucht. Während es in Mauretanien zuletzt relativ ruhig blieb, hält die Gewalt in Mali in steigendem Ausmaß an und hat auf Niger übergegriffen. In Niger und im Tschad gibt es zudem Attacken von Boko Haram aus dem benachbarten Nigeria. Die dramatischste Entwicklung erlebt Burkina Faso: War das Land nach dem Sturz des langjährigen Potentaten Blaise Compaoré eine Hoffnung für Demokratie, so droht es nun in politisches Chaos abzugleiten. Die Sicherheitskräfte sind überfordert.

Zudem vermischt sich die dschihadistische Gewalt in der gesamten Region zunehmend mit interethnischen Auseinandersetzungen. Die Peulh – auch Fulani oder Fulbe genannt – werden pauschal für Dschihadisten gehalten, und es kommt zu blutigen Angriffen und Vergeltung zwischen den Gruppen. In Mali und Niger können Dschihadisten zudem an die Unzufriedenheit von Tuareg und arabischen Minderheiten anknüpfen, die bereits seit dem Ende der Kolonialzeit besteht.

Gemeinsame Operation von Soldaten aus Niger, Tschad und Frankreich im Rahmen der militärischen Zusammenarbeit von G5 Sahel. © G5 Sahel.org

Die wachsende Bedrohung durch Dschihadisten wird durch eine Reihe anderer Probleme begünstigt. So leiden alle Staaten der Region unter einer mehr oder weniger ausgeprägten Staatsschwäche. Dies bezieht sich zum einen auf die fehlende Kontrolle des Staatsgebiets, die Dschihadisten und organisierter Kriminalität – die zudem häufig miteinander verquickt sind – den Raum geben, sich frei zu bewegen. Zum anderen leiden die Staaten unter einem nicht geringen Legitimitätsdefizit. Dies hängt mit der weitverbreiteten Korruption unter den Eliten zusammen. Außerdem können die Regierungen nur wenig Erfolge bei der Versorgung der Bevölkerung vorweisen. Der Sahel ist die ärmste Region im subsaharischen Afrika. In kaum einer anderen Region sind geringe Entwicklung und Armut so ausgeprägt.

In der deutschen Öffentlichkeit wird zudem bisweilen auf den undemokratischen Charakter der politischen Systeme hingewiesen. Hier gibt es aber – mehr noch als für andere Merkmale – bedeutende Unterschiede zwischen den Ländern. Bei Mauretanien und dem Tschad handelt es sich um „harte“ autokratische Regime, während Burkina Faso, Mali und Niger weitaus demokratischer regiert werden. Alle Präsidenten in diesen Ländern gingen aus freien Wahlen hervor, auch wenn es nicht zuletzt wegen der Gewalt im rechtstaatlichen Bereich Defizite gibt.

Radikalisierender Einfluss von außen

Zu den Staatlichkeits- und Demokratieproblemen kommen neben der geringen sozioökonomischen Entwicklung noch ungünstige klimatische Bedingungen und externe Einflüsse hinzu. Prognosen gehen davon aus, dass der Sahel besonders heftig vom Klimawandel betroffen sein wird. Die Eskalation in Mali und das Übergreifen auf andere Staaten wurde durch externe Faktoren angefacht. Tuareg-Söldner des gestürzten libyschen Diktators Gaddafi ließen die dschihadistischen Rebellen in Mali erst zu solch einer Bedrohung werden. Die gewaltsame dschihadistische Ideologie gewinnt nicht nur an Attraktivität durch einen Staat, der seine Bürger nicht versorgen kann, sondern wird auch durch den Export von radikalen Auslegungen des Islams aus Nordafrika und den Golfstaaten mutmaßlich weiter angeheizt.

Frankreich als traditionelle Einfluss- und Schutzmacht der Regime der Region ist kaum in der Lage, allein für Sicherheit zu sorgen. Die ehemalige und immer noch auf Einfluss bedachte Kolonialmacht ist auch nicht unbedingt besonders populär – besonders wenn nachhaltige Erfolge ausbleiben.

Sicherheit und Entwicklung sind die Lösung: aber wie?

Die europäische und deutsche Politik haben diese Herausforderungen durchaus erkannt – und ihr Engagement dementsprechend verstärkt. Das Konzept lässt sich dabei mit dem Schlagwort eines „vernetzten Ansatzes“ von Sicherheit und Entwicklung umschreiben. Denn offensichtlich gehört beides zusammen. Langfristig wird eine nachhaltige sozioökonomische, politische und ökologische Entwicklung für Frieden und zahlreiche andere willkommene Effekte sorgen, so die Hoffnung. Nicht zuletzt sind Paris, Berlin und andere Akteure an der Eindämmung und Kontrolle von Migration interessiert.

Kurz- und auch mittelfristig ist jedoch erhöhte Sicherheit – genauer: professionelle Sicherheitskräfte – dringend notwendig. Die Sicherheitskräfte vor Ort sind ohne externe Hilfe derzeit nicht in der Lage, den Sicherheitsproblemen Herr zu werden. Im Idealfall haben die Staaten Kontrolle über ihr Territorium und wenden Gewalt nur in moderater Form an – denn zivile Opfer stehen dem Sicherheitsgedanken nicht nur diametral entgegen, sie führen Extremisten auch zusätzliche Unterstützung zu.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht häufig die militärische Präsenz: Frankreich ist vor allem in Mali im Rahmen der „Opération Barkhane“ mit fast 5000 Mann aktiv und wird dabei von einer UN-Mission sowie von einem Bundeswehrkontingent von 1000 Soldatinnen und Soldaten unterstützt. Die Bundeswehr widmet sich besonders der sogenannten Ertüchtigung und bildet malische Sicherheitskräfte aus. Präsident Emmanuel Macron hat im Januar 2020 im französischen Pau eine „Koalition für den Sahel“ ausgerufen, die freilich lediglich an vorhandene Initiativen anknüpft und diese verstärken soll. Die Regierungen der fünf Sahel-Staaten (G5) wollen ihre sicherheitspolitischen Bemühungen bündeln und gemeinsam mit den Europäern – mit US-amerikanischer logistischer Unterstützung – gegen den Dschihadismus kämpfen.

Entwicklungspolitik flankiert

Diese sicherheitspolitische Agenda wird durch verstärkte Entwicklungspolitik flankiert. So hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits 2018 erklärt, dass für die Region zwischen 2017 und 2020 rund 1,7 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden sollen. Allein 2018 wurden 180 Millionen Euro für Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben, darunter für Bereiche wie Jugendbeschäftigung, gute Regierungsführung, ländliche Entwicklung, Dezentralisierung, Klima und Energie. Bei ihren Staatsbesuchen in Mali und Niger 2019 sagte die Bundeskanzlerin weitere Hilfen in Millionenhöhe zu. Dazu kommen noch beträchtliche Zuwendungen von anderen Staaten, Hilfsorganisationen und nicht zuletzt der Europäischen Union.

Jedes Konzept ist jedoch nur so gut wie seine Umsetzung. Hier gibt es erhebliche Probleme. Die Sicherheitslage hat sich zuletzt nicht verbessert, sondern – wie oben geschildert – sogar verschlechtert. Die französische Präsenz stößt zunehmend auf Unwillen in der malischen Bevölkerung. Diese hatte das Eingreifen 2013, als Dschihadisten Zentralmali mit einer Offensive bedrohten, noch beinahe enthusiastisch begrüßt. Als durchaus unbeliebte ehemalige Kolonialmacht mit erheblichem Einfluss auf die Innenpolitik und Ökonomie der G5 wird französische und ausländische Präsenz misstrauisch beäugt. Auch die Ertüchtigung der lokalen Sicherheitskräfte kommt schleppend voran. Bundeswehroffiziere berichten von allenfalls kleinen Fortschritten.

Merkel Niger, 2019.
Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel in Niger auf ihrer West-Afrika-Reise 2019. © Bundesbildstelle / dpa

Verzicht auf Militär wäre zu kurz gedacht

Schon werden Stimmen laut, auf militärische Maßnahmen völlig zu verzichten. Dies wäre jedoch zu kurz gedacht: Ohne Sicherheit wären alle entwicklungspolitischen Initiativen zum Scheitern verurteilt. Vielmehr müssen die Ursachen des bisherigen Scheiterns scharf analysiert werden und daraus die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Eine Ursache ist die geringe Gemeinwohlorientierung der Regierungen vor Ort. So mag der tschadische Präsident ein unerlässlicher Partner in der Sicherheitskooperation sein. Er verstetigt jedoch zugleich jene Bedingungen, welche Entwicklung und Sicherheit langfristig verhindern. Débys Regierung tut wenig für die eigene Bevölkerung aber alles für den eigenen Machterhalt.

Eine andere Ursache ist die Vielzahl der aktiven Akteure, wie Regierungen, Regionalorganisationen und NGOs, die unterschiedliche Interessen verfolgen und zudem schlecht koordiniert sind, wie der französische Entwicklungsexperte Serge Mihailof in seinem Buch „Africanistan“ aufzeigt. Ähnlich wie in Afghanistan sind die Bedingungen im Sahel äußerst schwierig. Eine Erwartung, dass schnell und nachhaltig Entwicklung und Sicherheit von außen hergestellt werden können, ist unrealistisch. Wirkliche Besserung verspricht nur ein von afrikanischen Akteuren getragener Prozess, bei dem ein langer Atem notwendig sein wird. Untätigkeit wäre jetzt die falsche Alternative.

matthias basedau
Prof. Dr. Matthias Basedau GIGA Institut für Afrika-Studien

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