Deutsche G7-Präsidentschaft: Ambition in schwierigem Umfeld
Die Schwerpunkte sind in Ton und Inhalt richtig gesetzt. Aber die Bundesregierung muss sich als globaler Weltbürger beweisen – und einer Blockbildung entgegenwirken
Fortschritt für eine gerechte Welt – dieses Ziel hat die neue Bundesregierung wie ein Leitmotiv über ihre Prioritäten für den deutschen G7-Vorsitz im Jahr 2022 gestellt. „Ganz konkret“ sollen Fortschritte erzielt werden für (1.) einen nachhaltigen Planeten, (2.) wirtschaftliche Stabilität und Transformation, (3.) ein gesundes Leben, (4.) Investitionen in eine bessere Zukunft und (5.) ein starkes Miteinander. Dafür sollen auch neue Modelle der Kooperation zur Bewältigung globaler Herausforderungen angestoßen werden. Auf den ersten Blick also ein Aufschlag, der den Herausforderungen angemessen, fokussiert und auf der Höhe der Zeit scheint.
Es ist wichtig, wenn am Anfang einer G7-Präsidentschaft der Ton richtig gesetzt und ein roter Faden sichtbar wird, der sich nicht nur durch die Vorbereitung des Gipfels Ende Juni im bayrischen Elmau, sondern auch durch die vielen Treffen der Fachminister*innen bis zum Jahresende zieht und über die G7 hinaus strahlen kann. Auf den zweiten Blick wird aber auch deutlich, wieviel Arbeit und Konkretisierung noch nötig sind, wenn aus der Fülle der unter den fünf Prioritäten versammelten, oft nur lose verknüpften Themen wirklich Greifbares entwickelt werden soll.
Für die neue Bundesregierung gehört die G7-Präsidentschaft neben der Ukraine-Krise zu den ersten großen internationalen Bewährungsproben. Die Erwartungen sind nicht nur in den Mitgliedsländern der G7 hoch. Der voranschreitende Verlust von globalen Gemeingütern – wie sauberer Meere, biologischer Vielfalt oder eines stabilen Klimasystems –, die Erosion gesellschaftlichen Zusammenhalts und multilateraler Ordnungen, die Covid-19-Pandemie sowie die Rückschläge auf dem Weg zu den globalen Zielen nachhaltiger Entwicklung erfordern entschlossenes Handeln sowohl in den G7-Ländern selber als auch in ihrer weltweiten Zusammenarbeit.
Das Präsidentschaftsprogramm betont deshalb zurecht wiederholt die besondere Verantwortung der G7 für die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, versäumt aber die G7 für eine engagierte Vorbereitung des VN-Gipfels zur Agenda 2030 im nächsten Jahr zu mobilisieren. Hierzu sollten aktuelle Voluntary National Reviews aller G7-Länder und eine konstruktive Haltung zu dem vom VN-Generalsekretär vorgelegten Bericht Our Common Agenda gehören.
Um eine erfolgreiche G7-Präsidentschaft abzuliefern, darf die Bundesregierung sich nicht nur auf das Was konzentrieren, also die konkreten Politikinitiativen, sondern muss auch immer das Wie mitdenken, also den Weg zu ihrer Umsetzung. Es ist deshalb zu begrüßen, dass das G7-Präsidentschaftsprogramm immer wieder sowohl den notwendigen Wandel in den eigenen Ländern als auch die kooperative Verbindung und Einbettung der Initiativen in die G20 und das weitere multilaterale Umfeld betont. Dies in einem kompetitiven und konfliktiven geo-politischen Umfeld dann auch zu leben und durchzuhalten, dürfte nicht nur dem Erfolg der Initiativen selbst dienen, sondern könnte auch zur Entspannung der internationalen Lage beitragen.
Klimapolitik als Markenkern und Lackmustest
Den deutlichsten inhaltlichen Akzent setzt das deutsche G7-Programm im Handlungsfeld „Nachhaltiger Planet“ mit der starken Betonung der Klimapolitik. Hier sind auch die Vorschläge im Vergleich zu anderen Prioritäten am konkretesten. Wer nach einem Markenkern der noch jungen deutschen G7-Präsidentschaft sucht, wird diese vor allem in der klimapolitischen Transformation finden. In der Tat, die G7 kann und muss ein Beispiel setzen, wie vor allem auch zu Hause in den G7-Ländern die Transformation zu klima- und sozialverträglichen Wirtschaftsmodellen beschleunigt werden kann, von der Dekarbonisierung der Industrie bis zum Umbau der Landwirtschaft. Es muss also darum gehen, in der G7 vermehrte Unterstützung aufzubauen für eine ambitionierte Umsetzung und Weiterentwicklung der Ergebnisse und Initiativen der Klimakonferenz von Glasgow (COP26), gerade auch beim beschleunigten Kohleausstieg.
Die deutsche G7 Präsidentschaft wird sicher zusammen mit der nächsten Klimakonferenz (COP27) im November in Ägypten auch ein Lackmustest für die Bundesregierung sein, inwiefern die Verlagerung klimapolitischer Zuständigkeiten in das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz positive Wirkung auch im G7-Kreis und darüber hinaus zeitigt.
Im Mittelpunkt des deutschen G7-Klimaschwerpunktes steht „die Gründung eines offenen und kooperativen Klima-Clubs“, der die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens beschleunigen soll, unter anderem durch die Vereinbarung einheitlicher Standards für Ausstoß und Bepreisung von CO2 sowie gemeinsame Maßnahmen zur Unterstützung von Ländern, die ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen umsetzen. Ob ein solcher Klima-Club tatsächlich zu einem wichtigen und wirksamen Instrument werden kann, hängt aber maßgeblich auch davon ab, ob bereits an seiner Konzeption zumindest einige Partner aus den verschiedenen Ländergruppen außerhalb der G7 von Anfang an beteiligt werden. Sonst wird aus einem Club schnell ein Block.
Wichtig ist auch der Einklang mit multilateralen Regelwerken und Prozessen, von den Klimakonferenzen bis zur Welthandelsorganisation. Die kontroverse Diskussion um einen europäischen CO2-Grenzausgleichsmechanismus und dessen Kompatibilität mit geltendem Welthandelsrecht ist ein gutes Beispiel dafür, dass ambitionierte Klimapolitik auch immer die (nicht-intendierten) Auswirkungen auf Dritte, insbesondere Entwicklungsländer mitdenken muss.
In diesem Zusammenhang sollte der deutsche G7-Vorsitz nicht nur vage über die Stärkung der internationalen Klimafinanzierung sprechen, sondern eine verbindliche Verständigung aller G7-Länder herbeiführen, endlich die entsprechenden Zusagen an Entwicklungsländer einzuhalten.
Wirtschaftliche Erholung für alle?
Auch im Schwerpunkt „Wirtschaftliche Stabilität und Transformation“ setzt das Präsidentschaftsprogramm im Kontext der wirtschaftlichen Erholung nach der Covid-19-Pandemie auf eine Verbindung von ökologischer und sozial gerechter Transformation und ökonomischem Wohlstand, bezieht sich aber vor allem auf die Erholung in den G7-Ländern selbst. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass die wirtschaftliche Erholung sehr unterschiedlich voranschreitet und die Entwicklungsländer hierfür gemessen an ihren Volkswirtschaften nur Bruchteile im Vergleich zu dem einsetzen können, was die G7-Länder für ihre eigenen Volkswirtschaften mobilisiert haben. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds warnen seit Monaten vor einer „two track recovery“, durch die vor allem Entwicklungsländer ins Hintertreffen geraten.
Besonders bedenklich ist der stark eingeschränkte fiskalische Spielraum, der es vielen Entwicklungsländern nicht nur erschwert, ihre Wirtschaften wieder in Gang zu bringen, sondern auch die Transformation hin zu klima- und sozialverträglichen Wirtschaftsmodellen in Gang zu bringen. Angesichts einer Eskalation der Staatsverschuldung in vielen Entwicklungsländern ist das Erreichen dieser Ziele in weite Ferne gerückt. Der deutsche G7-Vorsitz täte gut daran, unter den G7-Ländern die Bereitschaft zu stärken, zusammen mit der G20 und den internationalen Finanzinstitutionen neben weiteren Schuldenerleichterungen auch die erforderlichen erheblichen zusätzlichen finanziellen Mittel für die Entwicklungsländer zu mobilisieren.
Angesichts eines vielerorts erstarkenden (Wirtschafts-) Nationalismus müssen von der G7 Impulse zur Stärkung des geschwächten multilateralen Ordnungsrahmens ausgehen. Ein herausstechendes Beispiel ist das multilaterale Handelssystem. Die Reform der Welthandelsorganisation steht mindestens seit dem G20-Gipfel von Buenos Aires im Jahr 2018 prominent auf der internationalen Agenda und die Notwendigkeit eines starken multilateralen Handelssystems hat sich nicht zuletzt in der Covid-19-Pandemie gezeigt, die zu einer Vielzahl von schädlichen Handelsschranken, insbesondere für medizinische Produkte geführt hat.
Leider sind den Absichtserklärungen zur Reform der Welthandelsorganisation bisher keine konkreten Maßnahmen gefolgt und auch die so wichtige WTO-Ministerkonferenz musste Ende letzten Jahres wegen der sich ausbreitenden Omikron-Variante verschoben werden. Die G7 unter deutscher Präsidentschaft sollte daher nicht nur darauf hinwirken, dass diese Ministerkonferenz so bald wie möglich nachgeholt wird. Die G7 sollte auch dringend notwendige inhaltliche Impulse für die Reform der WTO setzen. Die Stärkung plurilateraler Ansätze, die nicht nur den Interessen von Industrieländern Rechnung tragen, sondern auch die Interessen und Herausforderungen von Entwicklungsländern einbeziehen, wäre ein wichtiger Schritt.
Infrastrukturinvestitionen ja, aber bitte multilateral
Ein wichtiger Beitrag hierzu könnte von einem weiteren deutschen G7-Schwerpunkt ausgehen: „Investitionen in eine bessere Zukunft“. Um den enormen Investitionsbedarf der Schwellen- und Entwicklungsländer für die Transformation zu nachhaltigen und klimaneutralen Gesellschaften zu decken, strebt die Bundesregierung eine stärkere Rolle und gemeinsames globales Engagement der G7 an. Allerdings bleibt noch völlig offen, welche Größenordnungen geplant sind, wer die zusätzlichen Mittel aufbringen wird und wie die Umsetzung organisiert werden soll. Offenbar werden auch Anleihen an dem unter deutschem G20-Vorsitz im Jahr 2017 angestoßenen G20 Compact with Africa gemacht, an den man genauso anknüpfen will wie an die Global Gateway Initiative der EU und die von den USA beim letzten britischen G7-Gipfel in Cornwall eingebrachte Build Back Better Partnerschaft.
Es ist zu bezweifeln, ob hier mehr als eine weitere Proliferation von miteinander konkurrierenden und sich überlappenden Antworten auf die chinesische Belt and Road Initiative (BRI) entstehen kann. Wäre es nicht sinnvoller, im Verbund mit der G20 eine massive Erhöhung und Umsteuerung des Engagements der multilateralen Entwicklungsbanken in Richtung einer nachhaltigen Transformation in den Mittelpunkt zu stellen, zu dem dann die bilateralen Beiträge von den USA über die EU bis hin zu China und anderen beitragen?
Kurzfristige Impfziele und langfristige Pandemieprävention
In seinem Schwerpunkt „Gesundes Leben“ greift das Präsidentschaftsprogramm das Ziel der WHO zur Impfung von 70 Prozent der Weltbevölkerung bis Mitte 2022 auf, versäumt aber zu erwähnen, dass das WHO-Impfziel für Afrika (40 Prozent bis Ende 2021) mit gerade mal 9 Prozent massiv verfehlt wurde. Um die im Präsidentschaftsprogramm angesprochen substanzielle Beschleunigung der globalen Impfkampagne voranzubringen, müsste der deutsche Vorsitz bereits in seinen ersten Monaten die G7-Länder zu umgehender und erheblicher Erhöhung ihrer Beiträge zu den zentralen multilateralen Initiativen in diesem Bereich mobilisieren.
Zu begrüßen ist die Absicht, darüber hinaus im G7-Kreis die weitere Finanzierung globaler Gesundheit einschließlich der Prävention zukünftiger Pandemien durch nachhaltige und verlässliche Finanzierung zu diskutieren. Hierbei sollten auch innovative Konzepte wie Global Public Investment einbezogen werden, die eine breite Beteiligung von Ländern aller Einkommensgruppen an Mobilisierung und Einsatz der Mittel vorsehen und im G20 weiterverfolgt werden könnten.
Demokratieförderung beginnt zuhause
Vor wenigen Jahren noch unvorstellbar, heute notwendig: Im Schwerpunkt „Starkes Miteinander“ widmet sich das Präsidentschaftsprogramm ausführlich dem Einsatz für offene Gesellschaften und Menschenrechte sowie der Verteidigung freiheitlicher Demokratien vor allem innerhalb der G7-Staaten selbst. Es ist zu hoffen, dass daraus ein mehrjähriger Prozess in der G7 entsteht, der auch peer-learning und gegenseitige Unterstützung mit Blick auf künftige Herausforderungen für die Demokratie umfassen sollte.
Gerade weil Demokratie und soziale Gerechtigkeit weltweit unter Druck stehen, müssen sie zuallererst zuhause gestärkt und glaubwürdig in offenen Formaten gelebt werden. Dieser Herausforderung sollte sich der G7-Gipfel in einer Sitzung mit den G7 Engagement Groups aus Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft widmen. Auch multilateral können die G7-Länder umso besser über Demokratie sprechen, je offener und klarer sie dies unter sich tut.
Good global citizens statt bloc governance
An diesen Beispielen aus den Schwerpunkten der Präsidentschaft wird deutlich, dass die G7 umso handlungsfähiger und wirksamer ist, je mehr sie sich als eine Gruppe von good global citizens verhält, die die An- und Einbindung ihrer Initiativen in die G20 und die multilateralen Foren immer mitdenkt. Aus club governance darf keine bloc governance werden.