Das neue Werkzeug ist noch stumpf
Ohne Druck von Aktivisten und willigen Regierungen bleibt die UN-Erklärung für bäuerliche Rechte geduldiges Papier.
Es war ein bedeutender Moment für Menschenrechte weltweit. Am 17. Dezember 2018 wurde die UN-Erklärung der „Rechte von Kleinbauern und -bäuerinnen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten“ von der UN-Vollversammlung in New York durch eine große Mehrheit angenommen. Sie trat damit universell in Kraft – es war die Krönung jahrelanger Verhandlungen. Deutschland und die meisten europäischen Staaten enthielten sich bedauerlicherweise der Stimme. Wie sich zeigt, muss auch für die Umsetzung der Rechte neuerlicher Druck aufgebaut werden.
Die UN-Erklärung ist ein emanzipatorisches Projekt, bei dem die „Betroffenen“ als Rechteinhaber*innen mit am Verhandlungstisch saßen. Sie ist damit Ausdruck eines erweiterten Menschenrechtsverständnisses und eine Reaktion auf Machtungleichheiten im ländlichem Raum. Denn Menschenrechte sind nicht statisch. Sie müssen sich an neue gesellschaftspolitische Entwicklungen und Bedrohungen anpassen.
Dass sich die Menschenrechtslage von Kleinbäuer*innen, Landarbeiter*innen, Kleinfischer*innen oder Pastoralist*innen verschärft, ist hinreichend dokumentiert. Allein 2018 wurden laut der Organisation Global Witness weltweit 164 Verteidiger*innen des Rechts auf Land ermordet. Das gefährlichste Land für oftmals bäuerliche oder indigene Aktivist*innen sind die Philippinen – besonders bekannt für eine extrem ungleiche Landverteilung zugunsten von Großgrundbesitzern. Um diesem Trend entgegenzuwirken, reichen bisherige Menschenrechtsinstrumente der Staatengemeinschaft oder freiwillige Richtlinien nicht aus.
Aktivisten und ihren Mitstreitern eröffnet die UN-Erklärung nun eine zusätzliche Möglichkeit, sich gegen Menschenrechtsverletzungen zur Wehr zu setzen. Besonders im Kampf gegen mächtige Agrar-, Bergbau- oder Staudammkonzerne, stärkt sie ihre politische Legitimation. Menschenverteidiger*innen wie der 2016 ermordeten Berta Cáceres aus Honduras gibt sie ein neues Werkzeug gegen Regierungen wie auch Konzerne in die Hand. Und sie gewährt Kleinbauern und -bäuerinnen und anderen Menschen, die in ländlichen Gebieten arbeiten, besonderen Schutz, indem sie ihre Rechte erstmals als konkreten Bezugsrahmen zusammenfasst.
Seinen Anfang nahm der Prozess in den Vereinten Nationen bereits 2001, als die globale bäuerliche Vereinigung La Via Campesina in der UN-Menschenrechtskommission bäuerliche Rechte in Debatten über das „Recht auf Entwicklung“ einforderte. Nach langjähriger Lobbyarbeit der Vereinigung und Unterstützern wie den Menschenrechtsorganisationen FIAN, CETIM und vielen weiteren gründete der UN-Menschenrechtsrat 2012 eine Arbeitsgruppe, die eine UN-Erklärung erarbeiten sollte. Angeführt von Bolivien diskutierten die Rechtsträger selbst, Experten und Vertreter von Regierungen und Zivilgesellschaft jahrelang in fünf intensiven Sitzungsrunden ihre 28 Artikel und die Präambel.
Gebündelte Rechte für Nord und Süd
Der Zuspruch innerhalb des Menschenrechtsrates wuchs dabei im Laufe der Verhandlungen kontinuierlich an. Es wurden bereits verbriefte Staatenpflichten gebündelt, bestehendes verbindliches Völkerrecht – angepasst an die spezifischen Lebens- und Arbeitsbedingungen ländlicher Bevölkerungsgruppen – interpretiert. So kam eine Vielzahl von Rechten zusammen: auf Land und andere natürliche Ressourcen wie Wasser; auf Saatgut und Biodiversität; auf souveräne Entscheidungen über wirtschaftliche Ziele und Ernährungsweisen; auf Leben, Freiheit, Unversehrtheit, Arbeit – für Bauern und Bäuerinnen im globalen Süden wie in Europa.
Neben individuellen benennt die Erklärung erstmals auch kollektive Rechte, die in Gemeinschaft ausgeübt werden können. Und sie stellt klar, das Staaten verpflichtet sind, diese Rechte zu respektieren, zu schützen und zu erfüllen. Doch obwohl die Staaten aufgefordert sind, alle notwendigen Maßnahmen zur Umsetzung zu ergreifen, ist ein Jahr nach dem Votum in New York wenig passiert.
Aktionspläne für die Umsetzung schmieden
Zum einjährigen Jubiläum meldeten sich 13 UN-Menschenrechtsexpert*innen zu Wort und forderten die nächsten Schritte zur Implementierung. Besondere Dringlichkeit sehen sie bei den Rechten von Frauen und Mädchen: Diese nehmen zum einen bei der Verwirklichung des Rechts auf Nahrung – sowie des nunmehr erstmals verbrieften Rechts auf Ernährungssouveränität – eine Schlüsselrolle ein. Zum anderen repäsentieren sie immer noch 70 Prozent der weltweit hungernden Menschen.
Vorrangigen Handlungsbedarf forderten die Expert*innen auch für Menschenrechtsverteidiger*innen von Land, der Umwelt und natürlichen Ressourcen ein. Sie werden oftmals als erste Zielscheiben und Opfer von Kriminalisierung, Einschüchterungen und tätlichen Übergriffen. Staatliche Institutionen und andere Akteure müssen ihre Sicherheit unmittelbare zur Priorität machen, damit direkte persönliche Schutzmaßnahmen ergriffen werden.
Wie bereits der langwierige Verhandlungsprozess gezeigt hat, wird sich ohne den Druck bäuerlicher Bewegungen und weiterer zivilgesellschaftlicher Organisationen wenig bewegen. Kleinbauern und –bäuerinnen müssen selbst an der Umsetzung mitwirken und Strategien mitgestalten. Staaten sind deshalb aufgeforert, bäuerliche Organisationen nicht nur zu fördern, sondern den Mitgliedern transparent Zugang zu Information zu gewährleisten, damit eine informierte Beteiligung an Konsultationen möglich wird. Die zuständigen Ministerien sollten mit aktiver bäuerlicher Beteiligung konkrete Aktionspläne zur Umsetzung der Erklärung erstellen.
Eine wichtige Rolle kommt auch internationalen Organisationen, zivilgesellschaftlichen Gruppen sowie Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen auf allen Politikebenen zu. Allen voran haben die UN 2019 eine Dekade der bäuerlichen Familienbetriebe ausgerufen. Es gibt keinen besseren, sie zu starten, als der Erklärung die breitest mögliche Unterstützung zu gewähren.
EU-Hilfen auf kleinbäuerliche Landwirtschaft ausrichten
Was die Bundesregierung betrifft, so haben Vertreter*innen bäuerlicher Organisationen und der Zivilgesellschaft ihr bereits Anfragen und Vorschläge für die Entwicklungszusammenarbeit und die Agrarpolitik in Deutschland und Europa unterbreitet. Dazu gehört – im Sinne der UN-Erklärung – die Ausrichtung der EU-Agrarhilfen auf die Förderung kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Daran anschließend kann auch die EU-Kommission ihre neue „Farm-to-Fork“-Strategie zur Umsetzung nutzen – allerdings unter Beteiligung kleinbäuerlicher Betriebe. Deutschland übernimmt im Juli dieses Jahres die EU-Ratspräsidentschaft und kann damit erheblichen Einfluss auf die Verhandlungen nehmen.
Auf der Ebene der Weltbank kann die Bundesregierung sich im Exekutivrat der Weltbank dafür einsetzen, dass die UN-Erklärung Beachtung findet, und sie kann sich dafür stark machen, dass der Saatgutvertrag der Welternährungsorganisation FAO kompromisslos verwirklicht wird. Die bäuerlichen Saatgutrechte müssen gegenüber den mächtigen Züchterrechten gestärkt werden.
Das Recht auf Land wird sowohl in Deutschland verletzt – vor allem durch die nach oben schnellenden Preise für Agrarland – wie auch fortgesetzt im globalen Süden. Empfehlungen des UN-Sozialausschusses und des UN-Frauenrechtsausschusses, dass Deutschland sicherstellen soll, dass Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland der Verwirklichung der Menschenrechte dienen, harren einer Reaktion. Zudem soll Deutschland in dem Zusammenhang auch Vorwürfe von Zwangsvertreibungen untersuchen und den Betroffenen einen Rechtsweg zu deutschen Gerichten ermöglichen, um Wiedergutmachung einzuklagen. Bisher ist die Bundesregierung aber untätig geblieben.
All das zeigt: Es wird einen langen Atem für die Umsetzung der UN-Erklärung brauchen, damit Kleinbauern und -bäuerinnen weltweit ein gutes Leben führen können.