Vom Arme-Leute-Essen zum Superfood: Wie umgehen mit dem Quinoa-Boom?
Der Siegeszug der Andenpflanze hat traditionelle Anbaumethoden weitgehend verdrängt. Zwischen Massenproduktion und Rückbesinnung ist es Zeit, dass die Erzeugerländer sich eine neue Strategie überlegen.
Sogenannte Superfoods haben in den letzten Jahrzehnten die westlichen Märkte überschwemmt. Es gibt zwar keine wissenschaftliche Definition des Begriffs Superfood, aber ein Lebensmittel wird dann als Superfood bezeichnet, wenn es angeblich einen hohen Anteil an Vitaminen, Mineralien und Antioxidantien enthält und ohne Zusatzstoffe auskommt. Superfoods gelten als besonders gesundheitsfördernd und sind für westliche Verbraucher exotisch, während indigene Völker diese Pflanzen und Früchte seit Jahrtausenden nutzen.
Die Liste der Superfoods, die bei Verbrauchern mit mittlerem und hohem Einkommen mittlerweile sehr in Mode gekommen sind, erstreckt sich auf: Chiasamen, Maca-Wurzeln, Blaubeeren, Goji-Samen, Acai-Beeren, Noni, Avocado, Quinoa-Samen, Kimchi, einige Nüsse und einige grüne Gemüse.
Laboranalysen allerdings haben die überlegenen Qualitäten dieser Super-Nahrungsmittel nicht vollständig belegen können. Ihr Erfolg beruht zumeist auf gezielten Marketingkampagnen. Auch sind viele Verbraucher auf der Suche nach Alternativen zu hochkalorischen Lebensmitteln, die vermeintlich gesündere und trendige Lebensstile wie kohlenhydratarme Diäten unterstützen.
Die Marketingstrategie, Lebensmittel als Superfood zu bezeichnen, ist äußerst erfolgreich. Der Weltmarktwert von Superfoods wird heute auf rund 160 Mrd. US-Dollar pro Jahr geschätzt und wächst jährlich um 7,3 Prozent.
Rasche Intensivierung
Von der boomenden Nachfrage nach Superfoods haben zunächst Kleinbauern und Zwischenhändler profitiert. Aber auch andere Unternehmer aus allen Segmenten der Wertschöpfungskette haben inzwischen ihre Produktion und den Handel mit Quinoa ausgeweitet, um am Boom teilzuhaben. Diese rasche Intensivierung hatte vielfältige wirtschaftliche, soziale und ökologische Folgen.
Nehmen wir zum Beispiel die Acai-Beere (Euterpe oleracea), eine aus dem Amazonasgebiet stammende Palme. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde ihre Produktion stark intensiviert, und Acai-Palmenfelder und Zuchtprogramme ausgeweitet. Gelitten haben darunter die ursprüngliche biologische Vielfalt der Acai-Palme sowie die damit verbundenen spezifischen Ökosystemleistungen, die beide zurückgegangen sind.
Populärer ist wahrscheinlich der Fall der Avocado (Persea Americana). Die hohe Nachfrage nach Avocado hat in letzter Zeit zu einem Anstieg der Anbauflächen um 40 Prozent in Mexiko, Chile, Peru und Kolumbien geführt. Wertvolle zuvor bewaldete und oft wasserarme Gebiete fielen neuen kommerziellen Avocadoplantagen zum Opfer, beispielsweise an den Küsten von Chile und Peru. Da die Avocado viel Wasser benötigt, hat sich der Wettbewerb um wertvolle Wasserreserven verschärft, was zu Konflikten mit benachbarten Landnutzern geführt hat.
Auf die Liste der Superfoods
Die Quinoa-Pflanze ist in den Anden Südamerikas beheimatet, insbesondere in Bolivien, Chile, Ecuador und Peru. Sie hat es in den letzten Jahrzehnten geschafft, auf die Liste der Superfoods zu gelangen.
Quinoa gehört wie Buchweizen zu den Pseudogetreiden. Es hat einen hohen Proteingehalt, insbesondere die Aminosäure Lysin, die häufig in tierischen Produkten vorkommt, aber kaum in Gemüse. Als glutenfreie Pflanze beworben, wurde sie zu einem begehrten Produkt nicht nur für Feinschmecker.
Quinoa (Chenopodium quinoa Willd.) wird seit etwa 7000 Jahren angebaut. Zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert, während der Kolonialzeit und der republikanischen Periode, waren es marginalisierte lokale Völker und Kulturen vor allem im Hochland, die Quinoa für den Eigenverbrauch pflanzten und verzehrten. Landwirtschaftliche Schulen in Bolivien, Ecuador und Peru entdeckten Quinoa in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wieder. Sie waren Bestandteil einer neuen Welle der Wertschätzung lokaler Andenpflanzen (Cultivos Andinos), sammelten Saatgut und analysierten dessen agronomische Eigenschaften. Dabei entdeckten sie auch die bemerkenswerten ernährungsphysiologischen Eigenschaften von Quinoa.
Quinoa haftete allerdings das Stigma des „Arme-Leute-Essens“ an. Deshalb waren Versuche, den Verzehr von Quinoa auf lokaler und sogar nationaler Ebene zu fördern, wenig erfolgreich. Vielversprechender allerdings war die „gastronomische Revolution“ in Peru. Dort griffen Köche auf einheimische Zutaten und Rezepte zurück, die den Verzehr einiger lokaler Lebensmittel populär machten und daraus sogar Gourmet-Gerichte kreierten. Quinoa wurde so zu einem Superfood.
Es war schließlich eine Initiative der Vereinten Nationen, die Quinoa international populär gemacht hat. Im Jahr 2013 rief die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) weltweit das Internationale Quinoa-Jahr (IYQ-2013) aus, um die Aufmerksamkeit der Welt auf die biologische Vielfalt der Quinoapflanze und ihre Bedeutung für die Ernährungssicherheit zu lenken. Das Quinoa-Jahr umfasste Aktivitäten in Forschung, Handel und Politik, mit dem Ziel, über das Potenzial der Pflanze zu informieren und einen höheren Verbrauch zu fördern.
Der Erfolg des Quinoa-Jahres ließ nicht auf sich warten. Wurde Quinoa vor 2013 in etwa 50 Ländern angebaut, so sind es heute mehr als 120 Staaten auf drei Kontinenten. Peru und Bolivien sind jedoch nach wie vor die beiden Haupterzeuger. Viele Länder haben zwar ihre Quinoa-Produktion inzwischen ausgeweitet, sie importieren aber nach wie vor den größten Teil, um ihren Quinoa-Konsum zu decken.
Heute gibt es eine breite Palette von Quinoa-Produkten in Supermärkten, Lebensmittelgeschäften und auf Bio- und Fair-Trade-Märkten: von Fertiggerichten oder Frühstücksflocken bis zu gesunden Snacks, Nudeln, Getränken und Bieren. Diese explosionsartige weltweite Nachfrage hat das Produktionsvolumen von Quinoa in Peru und Bolivien in den letzten Jahrzehnten um das 2,5- beziehungsweise 6-Fache gesteigert.
Schattenseiten des Erfolgs
Der Quinoa-Siegeszug war aber mit schwerwiegenden Nebenwirkungen für die Erzeuger verbunden. Traditionelle Anbaumethoden wurden zurückgedrängt. In den Anden liegen die Anbauflächen normalerweise bis zu sieben Jahre brach, damit sich die Bodenfruchtbarkeit erholen kann. Wegen der hohen Verbrauchernachfrage reduzierten die Bauern die Quinoa-Anbauperiode aber auf ein Jahr und gaben ihre traditionellen Praktiken auf. Damit verbunden war auch ein standardisierter Einsatz von chemischen Düngemitteln und Maschinen, was für die schlammigen Andenböden, die nur langsam organische Stoffe anreichern und anfällig für Bodenerosion sind, ungewöhnlich ist.
Die hohe Auslandsnachfrage begünstigte zudem den Anbau nur weniger Quinoa-Sorten. Traditionelle Anbaustrategien, die z.B. auf die Diversifizierung der Sorten setzen, um die Anbausysteme gegenüber Wetterbedingungen, Bodentypen oder Schädlingsbefall widerstandsfähiger zu machen, gerieten damit ins Hintertreffen. Diese Entwicklung ist paradox, denn es ist bekannt, dass es hunderte von Quinoa-Sorten gibt, die sich an sehr unterschiedliche Anbaubedingungen hervorragend anpassen können, und mit möglichen Umweltproblemen und Herausforderungen gut zurechtkommen.
Auch die Grundbesitzverhältnisse haben gelitten. Traditionell waren die Eigentumsverhältnisse im Hochland gemeinschaftlich organisiert, Land und Landnutzungen wurden im Laufe der Zeit systematisch zugewiesen und überwacht. Der Quinoa-Boom mit den damit verbundenen anfänglichen hohen Einnahmen hat Organisationen – häufig waren es die Quinoa-Bauern selbst – und externe Investoren dazu veranlasst, den Anbau zu intensivieren. Es kam zu umfangreichen Privatisierungen und die Eigentumsverhältnisse änderten sich. Auf das Funktionieren dieser Gesellschaften kann sich dies mittel- bis langfristig nachteilig auswirken.
Und schließlich ist Quinoa zu einer weltweit gehandelten Ware geworden, deren Preis von externen Faktoren wie Klima, Transport oder internationalem Wettbewerb abhängt. Die Einführung der Pflanze in anderen Ländern wird die Position von Quinoa im Welthandel sicherlich verändern – mit noch nicht absehbaren Folgen für die Andenbauern.
Zyklus von Boom und Pleite
Die zunehmende internationale Beliebtheit von Superfoods hat zu einem Anstieg der Produktion und der Verbrauchernachfrage geführt, und die Preise erheblich in die Höhe getrieben. Erfahrungsgemäß folgt auf ein solches Wachstum jedoch häufig ein Produktionsrückgang und eine eher unsichere Entwicklung.
Kürzlich haben die Wissenschaftler Andreotti und Kollegen (2022) ein Modell entwickelt, das den Boom-und-Pleite-Zyklus von Superfoods und einen alternativen Weg aufzeigt, der zu einer nachhaltigeren Nutzung dieser Lebensmittel führen könnte. Das Modell unterscheidet fünf Phasen:
- Förderung oder stetiges Wachstum, bei dem das konventionelle Verhältnis von Angebot und Nachfrage die Produktionsmengen und Preise der Pflanzen bestimmt;
- Boom: Die Produktion wächst schnell, mit einem Anstieg der Exporte, der Marktpreise, und der geernteten Fläche;
- Pleite: Rückgang der Gesamtproduktion und der Preise aufgrund einer viel geringeren weltweiten Nachfrage, eines zunehmenden Wettbewerbs, dem Verlust von Marktnischen usw.
- Übergang, bei dem die Einheimischen ihre Produktion und ihren Verbrauch überdenken und umorganisieren, um ihre internationalen Marktanteile zu halten. Diese Umstrukturierung, so schlagen Andreotti et al. (2022) vor, sollte sich an den Zielen der nachhaltigen Entwicklung orientieren.
- Neues System - dieses entsteht, wenn sich die zusammenhängenden Prozesse von Produktion, Handel und Verbrauch zu einem neuen und nachhaltigeren Kontinuum entwickeln.
Suche nach neuer Strategie
Im Fall von Quinoa wurden die ersten beiden Phasen des Boom-and-Bust-Modells durchlaufen. Wohl gab es hin und wieder Preiskorrekturen nach unten aufgrund von Überproduktion in den Andenländern – und somit eine gewisse Volatilität. Wie sich die Lage weiterentwickelt, ist aber schwer vorherzusagen. Es gibt allerdings einige Umstände, die bereits wichtige Hinweise geben können.
So haben einige Landwirte, Nachernte-Industrien, Nichtregierungsorganisationen und Händler den Ernst der Lage erkannt und achten nicht einfach nur auf Produktionssteigerungen, sondern auch auf Alternativen, um die hohen Quinoa-Preise halten zu können. Einige Genossenschaften in Bolivien haben beispielsweise damit begonnen, sich auf hoch geschätzte Sorten wie "Quinoa Real" zu konzentrieren, indem sie die Herkunftsbezeichnung als Marken- und Marketingstrategie nutzen. Unternehmer in Peru setzen auf die aufstrebende nationale Gastronomie, die viele traditionelle Zutaten verwendet. Außer Quinoa gibt es zudem noch andere einheimische Feldfrüchte, die verarbeitet und auf nationalen und internationalen Märkten angeboten werden können.
Andererseits ist es sehr wahrscheinlich, dass Bolivien und Peru ihre Rolle als exklusive Quinoa-Produzenten verlieren werden, da viele Länder erfolgreich Quinoa-Anbau- und Zuchtprogramme gestartet haben.
Quelle: Tridge
Wohl initiierten Peru und Bolivien im Jahr 2013 die Gründung eines Internationalen Quinoa-Zentrums, um eine nachhaltigere und transparentere Quinoa-Produktion in den Anden zu fördern und die Zusammenarbeit von Forschung und Quinoa-Produzenten zu unterstützen. Das Zentrum hat seine Strategie jedoch erst 2017 entwickelt. Seitdem ist sein weiteres Schicksal weitgehend unbekannt, was bedauerlich ist.
Für die meisten lokalen Interessenvertreter gilt nach wie vor, dass Quinoa weiter ein ungenutztes Potenzial hat und die Produktion ausgeweitet und intensiviert werden sollte, um breitere Märkte zu erschließen und abzudecken, die Einnahmen zu steigern und die lokale Entwicklung zu fördern. Für all diese Ziele fordern sie die Unterstützung ihrer Regierungen.
Egal wohin die Entwicklung geht, ob in Richtung weiterer Produktionssteigerungen oder der Suche nach alternativen Lösungen: Es ist eine neue und aktualisierte strategische Vision für Quinoa erforderlich. Um eine solche Vision zu entwickeln und umzusetzen, bedarf es einer engen Zusammenarbeit zwischen Erzeugern, Verbrauchern, allen Interessengruppen entlang der Wertschöpfungskette, Regierungen, der Zivilgesellschaft und der Forschung.
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