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  • Krisen & Humanitäre Hilfe
  • 02/2022
  • Marina Zapf

"Die notleidende Bevölkerung ist Geisel der Politik"

In Afghanistan soll fast die Hälfte der Bevölkerung mit Lebensmitteln versorgt werden, weil unter den Taliban die Wirtschaft in die Knie geht. Thomas ten Boer von der Welthungerhilfe erklärt, wie das funktioniert.

Eine Familie im äußersten Norden Afghanistan hat Lebensmittelhilfe bekommen. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist Anfang 2022 von Hunger bedroht. © Glinski / Welthungerhilfe

Laut Vereinten Nationen sind in diesem Winter mehr als 20 Millionen Menschen in Afghanistan auf humanitäre Hilfe angewiesen. Ist es möglich, ihnen zu helfen, ohne politisch den Taliban in die Hände zu spielen?

Thomas ten Boer: Wenn man Menschen hilft, hilft man niemals einem Regime. Das ist entscheidend. Die Taliban-Regierung ist nicht an der humanitären Hilfe beteiligt. Wir helfen Menschen mit Nahrungsmitteln, die kein Einkommen oder Geld haben und Lebensmittel nicht mehr bezahlen können. Die Regierung ist insofern involviert, dass sie Präferenzen äußern kann, in welchen Gebieten Güter verteilt werden sollen, und sie diskutiert, welche Kriterien gelten. Aber sie hindert uns nicht daran, dort Hilfe zu leisten, wo wir es für nötig halten. Im Gesundheitsbereich wird die Verteilung von Medikamenten stärker kontrolliert; diese Organisationen müssen enger mit Regierungsvertretern zusammenarbeiten. Aber es ist nicht so, dass die Regierung Dinge beschlagnahmt oder verkaufen will. Wir führen die Verteilung nach rein humanitären Gesichtspunkten durch.

Zur Person

Der gebürtige Niederländer Thomas ten Boer ist gelernter Steuerexperte und seit mehr als 20 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Seit 2018 ist der Landesdirektor der Welthungerhilfe in Kabul, wo er soeben seinen Vertrag verlängerte. Davor war er fast zehn Jahre in Liberia. Als in dem westafrikansichen Land die Ebola-Seuche grassierte und Organisationen ihre Arbeit einstellten, leitete er den Aufbau von Behandlungszentren und die Unterstützung betroffener Familien.

Sie können als Hilfsagenturen und Organisationen also neutral bleiben?

Auf jeden Fall. Eines der Programme im Auftrag des Auswärtigen Amts, für das wir gerade arbeiten, erstreckt sich auf Regionen, in denen wir ohnehin tätig waren. Das bedurfte keiner weiteren Genehmigung durch die Regierung in Kabul. Neue Programme müssen angemeldet und genehmigt werden, es werden Einzelheiten über Aktivitäten und Ausgaben abgefragt. Aber das ist normal. Auf Situationen, in denen Regierungen uns viele Informationen abverlangen, treffen wir immer wieder. Nach ihrer Machtergreifung hatten die Taliban anfangs Vorbehalte, sie wollten Nachweise, wer Hilfe erhält, und machten Fotos. Seit Herbst lassen sie uns freiere Hand, wenn auch mit der Maßgabe, dass wir melden, wo wir verteilen.

Wird der schlimmste Notstand überwunden sein, wenn der Winter zuende geht? Oder steht der Höhepunkt der Krise erst noch bevor?

So wie es um die Wirtschaft bestellt ist, können die Menschen ohne Einkommen weder im Winter noch im Sommer Lebensmittel kaufen. Jede Jahreszeit hat ihre Zwänge, also wird sich das Blatt nicht wenden. Sobald die Kälte vorbei ist, beginnt es zu regnen, und Afghanistan erlebt jedes Jahr Sturzfluten ebenso wie lang anhaltende Dürren. Nein, es ist noch lange nicht vorbei. UNDP schätzt, dass bei unveränderter Wirtschaftslage bis Juni 2022 rund 95 bis 97 Prozent der Bevölkerung in Armut leben werden.

Die Not wird sich weiter verschlechtern. Die Belastbarkeit, die finanziellen Polster sind aufgebraucht. Alles wird verkauft, was von Wert ist, nur um etwas zu essen auf dem Tisch zu haben. Je mehr Familien aber Schmuck, Gold oder Haushaltsgegenstände verkaufen, desto stärker fallen die Preise. Auf den Märkten gibt es frische Lebensmittel. Doch es leeren sich die Regale in den Supermärkten, weil Importe schwierig und teuer sind. Auch der Sommer wird nichts an der Misere einer durchschnittlichen afghanischen Familie ändern.

Die Not ist groß. Ein Zehnjähriger sammelt in Kabul Metall, das er verkauft, und Plastik, das die Familie mit verheizt. © Glinski / Welthungerhilfe

Wird die Hilfe alle 22 Millionen von Hunger bedrohte Menschen erreichen?

Wenn wir 80 Prozent davon erreichen, wäre ich sehr stolz. Eine Organisation wie das Welternährungsprogramm (WFP) verfügt über enorme Logistikkapazitäten, es versorgte dieses Jahr fünf Millionen Menschen mit Nahrungsmitteln. Aber die Güter müssen auf die Straße, und es gibt Engpässe im Transport und bei den Straßenverhältnissen. Vor kurzem bebte zweimal die Erde, Straßen waren blockiert. Im Frühjahr lösen starke Regenfälle Erdrutsche und Überschwemmungen aus, die Wege unpassierbar machen. Schwierige Wetterlagen können den Zeitplan in Verzug bringen. Außerdem müssen wir wohl davon ausgehen, dass wir länger verteilen müssen als geplant. Die Ernte von Winterweizen wird maximal 75 Prozent der erwarteten Menge erreichen. Einige Regionen waren ganz ohne Schnee oder Regen. In anderen gab es zu wenig Schnee, wo es mehr war, folgte eine lange Kälteperiode und es floss zu zu wenig Schmelzwasser. Das alles gefährdet die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln. Dabei müssen wir schon jetzt an die nächste Ernte denken und uns kümmern, dass die Menschen wieder anfangen zu produzieren. In der Hoffnung, dass das Wetter sie nicht wieder im Stich lässt.

Auch wenn die Straßenverhältnisse sich im Frühjahr nicht verbessern – die Sicherheitslage ist doch besser, oder?

In diesem Winter ließ die Gewalt nach, aber das war auch so, als die Taliban im Widerstand waren. Normalerweise tauchen im Frühjahr Oppositionsgruppen wie Krieger des IS auf. Aber ich würde nicht ausschließen, dass neue Gruppen von Kämpfern auftauchen und mit Waffen gegen die Taliban ins Feld ziehen. Wir müssen sehen, wie sich das alles entwickelt. Wenn die Menschen hungern und ihre wirtschaftliche Lage nicht besser wird, können Ungeduld und Wut auf die Regierung zunehmen. Das kann sehr negative Folgen haben.

Die Bevölkerung könnte sich gegen die Regierung stellen, und das kann Gewalt auslösen.

Thomas ten Boer Landesdirektor Kabul

Woran denken Sie dabei?

Wenn das Volk weiter von Hunger bedroht ist, ohne Arbeit und Einnahmequellen bleibt und es keinerlei Perspektive zum Besseren gibt, kann die Lage sogar in einen Bürgerkrieg ausarten. Das ist nicht unmöglich, es kann dazu kommen. Der Winter ist sehr streng. Wenn wir wieder eine Dürre bekommen, könnten die Menschen gegen die Regierung aufbegehren, weil sie unfähig ist, ihre Probleme zu lösen. Die Taliban hatten nicht die Zeit, einen Apparat von fachkundigen Beamten aufzubauen – mit Führungskräften, die Ministerien leiten können. Die Abwanderung war enorm: Viele hochrangige Beamte verließen das Land. Ich weiß nicht, ob die Regierung Hilfe, Unterstützung oder Rat von der UNO oder Weltbank annimmt, um die Kompetenz ihrer Beamten zu stärken und die Arbeitsfähigkeit der Ministerien zu verbessern. Aber wenn sie keinen guten Weg nach vorne findet, könnte sich die Bevölkerung gegen diese Regierung stellen, und das kann Gewalt auslösen.

Es gab einen Appell der Welthungerhilfe an die Geber, mit den Taliban über eine Wiederherstellung der Grundversorgung zu sprechen. Was würde das vor Ort ändern?

Man darf die Bildung nicht brach liegen lassen. Das Gesundheitssystem muss in Ordnung gebracht werden. Es geht nicht nur um Medikamente, sondern auch um die Bezahlung des Krankenhaus- und Klinikpersonals. Das Abkommen der Taliban mit Nachbarländern, Afghanistan mit Strom versorgen, wird noch eingehalten, aber es muss bezahlt werden, sonst wird die Versorgung eingestellt. Es geht um elementare Dienstleistungen. Es muss auch weiter in die Wasserinfrastruktur für die Landwirtschaft und die Trinkwasserversorgung investiert werden. Ich bezweifle, dass die Regierung das Wissen, die Fähigkeit und die Menschen hat, hier Entscheidungen zu treffen und Auswege zu finden.

Die Regierung scheint nur bereit, Hilfe unter gewissen Bedingungen zu akzeptieren…

Da befinden wir uns in einer Sackgasse. Die Regierung wird weltweit abgelehnt, die internationale Gemeinschaft fordert die volle Einbeziehung der Bevölkerung in die Regierung, und auch den vollen Respekt von Frauen in sozialer und beruflicher Hinsicht, damit sie also auch einer Beschäftigung nachgehen können. Die Taliban wiederum wollen anerkannt werden und verlangen Zugang zu den afghanischen Guthaben im Ausland. Es werden viele diplomatische Verhandlungen notwendig sein, um zu klären, wie Afghanistan vorankommen kann. Solange aber keine Seite ihre Bedingungen herunterschraubt, wird die Bevölkerung von der Politik als Geisel genommen: fast 23 Millionen von Hunger bedrohte Menschen – das ist die größte Gruppe weltweit.

Wie erschweren die Sanktionen Ihre Arbeit?

Sie machen sie zunächst einmal schwierig. Normalerweise unterstützen wir Menschen entweder mit Sachleistungen oder mit Bargeld. Letzteres hängt von einem funktionierenden Bankensystem ab, in dem man Geld auf Konten überweist. Es kann nach Bedarf decken, was eine Familie an Gütern benötigt. Hat man etwa einen kleinen Gemüsegarten, dann kauft man Mehl zum Brotbacken. Jetzt verteilen wir Hilfspakete, je nachdem wie stark die Ernährungsunsicherheit ist in größeren Mengen für längere Zeiträume. Diese Verteilung von Sachspenden ist viel aufwändiger. Bargeld wäre einfacher, fällt aber aus, weil die Sanktionen das Bankensystem mehr oder weniger lahmgelegt haben. Das ist nicht nur ein Verteilungsproblem. Wäre die Regierung nicht vom blockierten Staatsvermögen abgeschnitten, liefe auch die Wirtschaft besser und weniger Menschen wären auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.

Tagelöhner entladen Säcke aus LKWs und helfen bei der Verteilung von Reis, Mehl, Bohnen, Speiseöl, Salz und Zucker. © Glinski / Welthungerhilfe

Fließt die Hilfe deshalb zu langsam ins Land?

Wir schauen zuerst, was der heimische Markt hergibt. Auf dem Land gibt es landwirtschaftliche Erzeugnisse, die keiner mehr kaufen kann. Also machen wir das. Das kurbelt die Wirtschaft an und sorgt für einige Arbeitsplätze. Die Landwirte haben ein Einkommen und können neues Saatgut für die nächste Saison kaufen. Für alles, was man im Land nicht auftreiben kann, ist die Sache komplizierter, dann müssen ganze Konvois organisiert werden. Manchmal wird an einem zentralen Punkt ein großes Lager angelegt und von dort aus verteilt, oder man kauft im Ausland ein und schafft die Sachen vorverpackt in bestimmte Bezirke oder Gebiete.

Zum Beispiel Decken oder Winterpakete...

Decken und Winterausrüstung haben wir hier in Kabul gekauft. Das ist das Beste. Was im Land verfügbar ist, ist die Art und Qualität, die gebraucht wird und für die Region geeignet ist. Wo möglich, verlässt man sich auf das örtliche Angebot, die Händler kennen die Bedürfnisse im Land. Wir beauftragen Lieferanten, die sich an Ausschreibungen beteiligen.

Wie transferieren Sie Geld von a nach b, wenn das Bankensystem nicht funktioniert?

Wir arbeiten praktisch mit Bargeldvermittlern, im Land etablierte Geldwechsler und -kuriere. Zwar bemühen wir uns um Anbieter mit legalen Bankkonten außerhalb des Landes, damit wir normale Überweisungen tätigen können. Wo das nicht geht, bleibt die Bezahlung in bar und die Nutzung des inländischen Systems. Das ist ein großer Hemmschuh, denn wir müssen jeden einzelnen auf Verbindungen zu Geldwäsche oder zur Finanzierung von terroristischen Aktivitäten prüfen. Da müssen wir verschiedene internationale Richtlinien beachten, auch wenn sämtliche Geldwechsler von der Regierung überprüft und offiziell zertifiziert und zuverlässig sind. Das Hawala-System wird weltweit als informelles System für Geldtransfers benutzt. Dennoch brauchen wir Informationen über jeden Mittler, der für uns tätig ist.

Müssen die Hilfsorganisationen sich mit den Taliban abstimmen? Gibt es eine zentrale Stelle?

Die Aufgabe fällt im Prinzip der Koordinierungsstelle innerhalb des UN-Systems, UN-OCHA, zu. Sie sind die Schaltstelle für die Abstimmung, wenn es um irgendwelche Belange oder Schwierigkeiten mit der Regierung geht. Die Welthungerhilfe ist in das System eingebunden und arbeitet eng mit der NRO-Koordinierungsstelle ACBAR zusammen. Sobald ein Problem auftaucht – sei es eine Blockade oder neue Vorschriften, irgendetwas, das geklärt werden muss oder unsere Arbeit behindert, bringen wir es ACBAR und über sie UN-OCHA zur Kenntnis. Die sprechen das in der Regierung an. Es gibt außerdem regelmäßige Treffen zwischen den UN-Organisationen und den internationalen und nationalen NRO für Lagebesprechungen und spontane Treffen, wenn unerwartet Probleme auftauchen, die dringend gelöst werden müssen.

Die UNO ist also das Bindeglied zur Zentralregierung?

Das ist der beste Weg. Organisationen wie WFP, UNICEF und die FAO sind die großen Akteure. Viele internationale Organisationen wie wir führen neben Aufträgen unserer Mittelgeber als Durchführungsorganisation auch Aufträge für das WFP aus. Wir schließen dann Verträge über bestimmte Leistungen ab – das kann eine Schulspeisung sein, oder wir kümmern uns um einen bestimmten Programmbereich.

Kann das System verhindern, dass sich die Taliban die Taschen füllen?

Ja, das geht. Alle humanitären Organisationen führen mehrmals im Jahr Audits für alle durchgeführten Programme durch. Der Regierung müssen wir Projektberichte und eine jährliche Rechnungsprüfung vorlegen. Die Geber prüfen die Ausgaben, Transparenz und Rechenschaftslegung aller Verfahren. So werden alle Prozesse erfasst und belegt, auch die Auswahl der Empfänger, Menge und Qualität der Produkte, und wie die Verteilungen abgelaufen sind. Alles wird dokumentiert. Die Taliban haben weder Geld noch irgendetwas anderes von uns verlangt. Wir führen die Verteilung durch, und die Behörden lassen uns die Programme so durchführen, wie wir es vorschlagen.

Begleiten Taliban die Auslieferungen und versuchen, sie für ihr Image zu nutzen?

Natürlich wollen die Behörden sehen, was vor sich geht. Aber das tun Regierungen in allen Teilen der Welt, sie wollen uns beaufsichtigen. Die Taliban fragen dann mal stichprobenartig nach, warum wir bestimmte Familien auf der Liste haben, und natürlich gibt es Momente, wo sie nicht einverstanden sind. Dann wird diskutiert und begründet. Das ist eine Frage der Information – der Transparenz von uns als Organisation. Gelegentlich erscheinen Taliban- Abgesandte bei Verteilungen oder (bewaffnete) Sicherheitsleute zum Schutz. Nicht, weil die Leute uns angreifen, aber die Menschen sind hungrig und müde und können sehr emotional sein. Dann braucht man die Unterstützung der Behörden, um Chaos bei einer Verteilung zu vermeiden.

Wie analysiert das Hilfssystem überhaupt den Bedarf?

Es gibt ein so genanntes Cluster für Ernährungssicherheit (FSAC), das vom Landwirtschaftsministerium und der FAO verwaltet wird und an dem NRO beteiligt sind. In dieser Übersicht fließen regelmäßig Daten aus allen Provinzen ein, es gibt landesweite Erhebungen. Mit den Informationen lässt sich die Ernährungslage der Haushalte nach Regionen erfassen, der Grad der Gefährdung der Familien und der Mangel an Nahrungsmitteln. Die gesammelten Daten geben Aufschluss, ob Menschen von Unterernährung, Mangelernährung oder akuter schwerer Unterernährung betroffen sind. Mit diesem „Instrument der Integrierten Klassifizierung der Phasen von Ernährungssicherheit“ (IPC) lassen sich Art und Schweregrad einer Ernährungskrise analysieren und strategische Reaktionen ableiten; es ermöglicht Rückschlüsse auf die Situation im ganzen Land. Die Zahl der UN von Ende Januar nennt 22,8 Millionen Menschen in Ernährungsunsicherheit. An dem Cluster sind derzeit 60 Organisationen beteiligt.

Sind Organisationen dann frei, Prioritäten zu setzen, oder mischen sich die Taliban ein?

Die Regierung wacht darüber, dass Hilfsgüter ausgewogen verteilt werden – also nicht nur in der Umgebung von Kabul, sondern auch in den abgelegenen Provinzen, die ihrer Meinung nach unterversorgt sind. Es ist völlig in Ordnung, eine gerechte Verteilung zu beaufsichtigen. Aber die Regierung kann keine Anweisungen in dem Sinne geben, dass bestimmte Gebiete bevorzugt werden und der Rest später an der Reihe ist. Das ist nicht zulässig, und wir würden es als eine Einmischung der Politik in die humanitäre Hilfe ablehnen.

Läuft die Zusammenarbeit mit den Taliban also reibungslos? Oder gibt es doch Differenzen –etwa hinsichtlich der Arbeit von Frauen in Hilfsorganisationen?

Nun, wir verteilen auch Hygienepakete, die Produkte speziell für Frauen enthalten, wie Binden oder Tampons. Wir möchten, dass die den Frauen und nicht den Männern ausgehändigt werden, und dazu brauchen wir Frauen in den Teams, die sie verteilen. Bei den Haushaltsbefragungen konnten wir die Taliban überzeugen, dass Frauen eingesetzt werden, weil es auch Haushalte ohne Männer gibt. Dann dürfen nur Frauen eintreten. Wir brauchen Frauen in unserer Struktur, auch in konservativen Provinzen, wo der örtliche Taliban-Vertreter es ablehnt, dass Frauen arbeiten. Wir diskutieren darüber, und wenn die Frauen in unseren Teams die dortige Kleiderordnung einhalten, ist es möglich. In einem anderen Gebiet kann es schwieriger sein, das hängt vom örtlichen Kommandeur ab. Manchmal sind die Meinungen anders als auf nationaler Ebene.

Frauen stehen für Berechtigungsscheine an und quittieren auf Listen mit ihrem Fingerabdruck. © Glinksi / Welthungerhilfe

Haben Sie erlebt, dass solche Verhandlungen in Konflikte ausarten?

In einem unserer Einsatzgebiete, der Provinz Nangahar, sind wir durch sehr strenge Bedingungen für die Arbeit von Frauen eingeschränkt. Aber ohne Frauen geht es nicht, man kann sie nicht außen vor lassen. Frauen spielen eine wichtige Rolle, wenn wir über Frauen Kontakt zu bedürftigen Haushalten aufnehmen, was Männern nicht erlaubt ist. Diese Art von Behinderungen sind regelmäßig Gegenstand intensiver Diskussionen und Erklärungen seitens der Behörden.

Finden Sie ausreichend Personal? Viele ehemalige Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wollen ja noch das Land verlassen.

Wir haben etliche Mitarbeiter eingestellt. Vor August hatten wir 190 Angestellte und fünf internationale Mitarbeiter. Etwa 80 Familien sind ausgereist, wir haben 55 Leute angeworben, so dass wir ein Drittel hinterher sind. Wir finden Leute, aber nicht schnell genug. Vielen Organisationen geht es ähnlich, das macht die Sache sehr kompliziert. Die Menschen haben keine Angst, für uns zu arbeiten, die Armut ist zu groß, jeder will arbeiten. Einige Positionen, für die Fachkräfte benötigt werden, sind schwer zu besetzen, also stellen wir weniger qualifizierte Mitarbeiter ein, die das Potenzial haben, durch Schulungen die Aufgaben zu übernehmen und sich in die Teams zu integrieren. Das braucht dann Zeit.

Wie viele Familien erreicht die Welthungerhilfe und womit?

Zuletzt haben wir 1250 Haushalte in der Provinz Jawzjan nahe der Grenze zu Usbekistan im Norden Afghanistans unterstützt. Sie erhielten eine doppelte Ration Lebensmittel und ein Hygienepaket. Es dauerte ein wenig, bis die Strukturen standen. Jetzt können sie acht Wochen überbrücken, während wir die nächste Ausschreibung starten. Im Februar waren 8000 Familien im Norden geplant, danach 1500 Haushalte in Kabul und 1500 in der östlichen Provinz Nangahar. Das geht auf Programme des Auswärtigen Amts zurück, plus ein BMZ-Mehrländerprogramm, das Nahrungsmittel für 600 Haushalte und drei Monate vorsieht.

Sind alle Programme so kurzfristig?

Die, die ich erwähnt habe, laufen im März aus. Wir sind aber in Gesprächen mit dem WFP über ein geplantes Schulspeisungsprogramm. Es sieht die tägliche Versorgung von 20.000 Grundschülern in einem Bezirk in Nangahar mit besonders nährstoffreichem Gebäck über drei Monate vor, könnte aber auf weitere Bezirke und 70.000 Kinder ausgeweitet werden. Dann müssen wir unsere Kapazitäten im Auge behalten.

Ein Mann hilft einer älteren Frau, die nicht gut zu Fuß ist. Verteilung von Lebensmitteln in der Provinz Jowzjan. © Glinski / Welthungerhilfe

Also läuft die Verteilung der Hilfsgüter gut, wenn auch nicht schnell genug. Was ist der dringendste Bedarf, der nicht gedeckt ist?

Hilfseinsätze sind wichtig, um die Bevölkerung vor dem Hungertod zu bewahren, aber wir dürfen nicht die Entwicklungsarbeit aus dem Blick verlieren und müssen die Frühjahrs- und Sommersaison nutzen, um in der Landwirtschaft tragfähige Einkommen zu schaffen, damit die Menschen nicht mehr so abhängig sind. Welthungerhilfe hilft Menschen, sich selbst zu helfen, ihre Würde und Selbstbestimmung wiederzufinden und Verantwortung für ihre Zukunft zu übernehmen. Daher müssen wir schnell Saatgut für den Gemüseanbau ab März bereitstellen.

Sie wollen also entwicklungsfördernde Maßnahmen anschließen?

Um die Abhängigkeit vom Regenfeldbau zu verringern, können zwischen März und November Regen- und Schmelzwasserreservoirs in Kombination mit Bewässerungskanälen von den Gemeinden gebaut werden. Das liefert Wasser für die Landwirtschaft und die Viehzucht. In den stadtnahen Gebieten können durch den Bau von Gewächshäusern und deren Produktion mehr Nahrungsmittel zu erschwinglichen Preisen verfügbar werden. Afghanistan importiert jährlich 26 Tonnen Obst und Gemüse allein aus Usbekistan, 250 Tonnen aus allen Nachbarländern. Wir wollen wieder junge Afghanen ausbilden, verbunden mit Praktika in der Privatwirtschaft.

Und wir hoffen, dass die Behörden offen sind für einen direkten Dialog und flexibel genug, damit wir auf der Grundlage von Befragungen und Gesprächen mit den Gemeinden Entwicklungsarbeit gestalten und leisten können.

Marina Zapf, Journalistin, berichtet seit 20 Jahren aus Berlin über Themen der Außen, Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik.
Marina Zapf Team Welternährung.de
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