Ebola im Kongo: Staatliche Strukturen haben versagt
Ein Jahr Ebola im Nordosten des Kongo, 2600 Infektionen, die Hälfte davon mit tödlichem Ausgang. Ein Ende ist nicht in Sicht. Der Landesdirektor der Welthungerhilfe, Louis Dorvilier, nennt drei Gründe, warum der Kampf gegen die Epidemie an Grenzen stößt. Ein Interview.
Herr Dorvilier, die Ebola-Epidemie in der DR Kongo wurde ein Jahr nach ihrem Ausbruch zum globalen Gesundheitsnotstand erklärt. Das gleicht einer Bankrotterklärung. Was ist im Kampf gegen die Krise schief gelaufen?
Dorvilier: Der Osten des Kongo befindet sich seit mehr als 20 Jahren im Kriegszustand. Dann kam Ebola hinzu. Es war ein Fehler der Regierung, mit militärischen Mitteln zu reagieren. Es wurden bewaffnete Truppen geschickt, um Quarantäne zu verhängen und die Ansteckungsgefahr einzudämmen. Die Milizen in der Region von Beni rebellieren gegen die Regierung, und die Menschen reagierten mit Argwohn auf das Militär. Es kam zu einer Gegenreaktion, und die Regierung verlor die Kontrolle. Das war der erste Fehler.
Es ist das erste Mal, dass Ebola in einer umkämpften Zone grassiert. Ist die Gewalt, die sich in den betroffenen Provinzen Kivu und Ituri konzentriert, das größte Hindernis für die Helfer?
Ein zweites großes Versäumnis lag darin, dass die Krise von Anfang an rein medizinisch angegangen wurde. Wenn wir aus der Ebola-Krise in Sierra Leone und Liberia 2014 aber etwas gelernt haben, dann, dass die Gemeinschaften mitgenommen werden müssen, in denen Infizierte leben. Sie wurden nicht in die Krisenreaktion eingebunden und schon gar nicht dafür mobilisiert, sich vor weiteren Infektionen zu schützen. Das wurde überhaupt nicht berücksichtigt.
Ist das der Grund, warum dem Einsatz für Aufklärung und Vorbeugung in den Dörfern so viel Misstrauen und Ablehnung entgegenschlägt?
Die Menschen leben in armen Verhältnissen, Zugang zu Nahrung, Gesundheit und Bildung ist ein Problem. Sie wissen nichts von der Krankheit. Plötzlich kommen da Leute mit großen Autos und Geld, die sagen, sie haben Ebola. Das sorgt für Spannungen. Die Betroffenen wussten gar nicht, was los war. Sie sahen Menschen, die ihnen sagten, wie sie sich verhalten sollten, aber schlecht kommunizieren konnten. Das hat viele verschreckt.
Es ist höchste Zeit, eine klare einheitliche Richtung vorzugeben, damit alle mit einer Stimme sprechen.
Louis Dorvilier Landesdirektor der Welthungerhilfe in der D.R. KongoAber erklären diese Fehler, die Sie nennen, dass Gesundheitspersonal und medizinische Infrastruktur angegriffen werden?
Sicher ist Gewalt eine der größten Hürden. Sie schränkt die Bewegungsfreiheit der Helfer ein. Es herrscht in diesen Gegenden aber ein hohes Maß an Unzufriedenheit. Im Ostkongo sind mehr als 200 Rebellengruppen aktiv. Es ist unklar, wer hinter den Übergriffen auf Behandlungszentren oder Labor-Stationen steckt. In der Gegend von Butembo und Beni nahe der Grenze zu Uganda kommt es immer wieder vor, und die Hilfsmaßnahmen lagen mehrere Wochen brach. Für so eine Epidemie ist das ein Rückschlag. Und wenn niemand die Verantwortung für die Taten übernimmt, bleibt einem nur, vorsichtig zu sein.
Es gibt Kritik aus westlichen Hauptstädten an der Regierung in Kinshasa, sie unternehme nichts gegen Gewalttäter, die den Kampf gegen die Seuche untergraben. Was muss die Regierung denn tun?
Weder Polizei noch Armee machen irgendwelche Schuldigen aus – sie sagen, sie wissen es nicht. Das ist Teil der Frustration. Das Verhalten der Regierung ist völlig unzureichend und unakzeptabel. Sie hat die Verantwortung, ihre Bürger zu schützen und ein sicheres Umfeld für ihre Entwicklung zu schaffen. Das Militär, die Polizei, die zuständigen Ministerien müssen Antworten liefern, sie tun das aber schon eine Weile nicht. Es ist doch widersprüchlich, dass Soldaten einerseits Quarantäne verhängen aber andererseits nicht wissen, was im Hinterland vorgeht, geschweige denn, etwas gegen die Gewalt zu unternehmen. Hier gibt es ein Versagen der staatlichen Strukturen.
Wird das in Koordinierungsrunden der Helfer angesprochen?
Ich denke schon, es war ja auch die Rede davon, dass die UNO-Stabilisierungstruppe im Kongo (Monusco) sich unterstützend an der Sicherung der Behandlungszentren beteiligt. Was sehr deutlich angesprochen wurde, ist der Mangel an Koordination.
Wie funktioniert denn die Arbeitsteilung zwischen der Regierung, dem Gesundheitsministerium, der Weltgesundheitsorganisation (WHO), den UN-Agenturen und zivilgesellschaftlichen Partnern?
Nicht besonders gut. Sehen Sie, der dritte Grund, warum wir die Epidemie nicht im Griff haben, ist mangelnde Führung. Das Land hat seit den Wahlen keine neue Regierung. Ostkongo ist von der politischen Realität der Hauptstadt weit entfernt. Die Koordination findet hier in Goma statt. Wir haben auf der einen Seite die Regierung und die WHO, die berät und technische Hilfe leistet, und auf der anderen das UN-System mit Unicef, der Migrationsbehörde IOM und anderen, die über Geld der Geberstaaten verfügen und mit ihren gewohnten Partnern für Aufklärung, Prävention und hygienische Vorsorge arbeiten. Alle sitzen am Tisch, was sie im Feld tun, ist eine andere Frage. Jeder verfolgt eigene Ansätze und Strategien.
Zur Person
Louis Dorvilier ist seit 20 Jahren in Projekten der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit aktiv. In Goma leitet er den Standort der Welthungerhilfe, die in im Umkreis der Provinzhauptstadt rund 60.000 Menschen und 28.000 Schulkinder erreicht.
Einige internationale NGOs haben deswegen einen Neustart in der Krisenreaktion gefordert…
Es gibt seit kurzem einen neuen UNO-Koordinator. Ob das die Lage verbessert, bleibt abzuwarten. Aber die Regierung und die WHO müssen die Fäden zusammen halten. Wir müssen schneller werden in der Koordination. Es ist höchste Zeit, eine klare einheitliche Richtung vorzugeben, damit alle mit einer Stimme sprechen.
Was sind ihre persönlichen Empfehlungen, wo ein Umdenken stattfinden muss?
Unsere Organisation wollte sich anfangs nicht an der Krisenreaktion beteiligten. Was wir am besten können, war nicht gefragt – also beispielsweise mit Kleinbauerngruppen zu arbeiten, um deren Existenz- und Ernährungsgrundlagen zu verbessern. Aus Sierra Leone und Liberia wissen wir aber, dass die Gemeinschaften mobilisiert werden müssen, damit die Familien die Situation verstehen. Örtliche Anführer müssen die Krisenreaktion unterstützen. Das vorherrschende Misstrauen gegen Impfkampagnen kann nur aufgelöst werden, wenn wir die Betonung auf die “Communities” und ihre eigene Ownership legen. Davon wird viel mehr gebraucht. Was bisher passiert, ist ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Ist die Bereitschaft da, die Sensibilisierung zu verstärken. Und wie kann das gehen?
Es wurde vernachlässigt, ein Bewusstsein für die Epidemie schaffen. Das muss schnell aufgeholt werden. Die zentrale Botschaft muss sich auf Prävention konzentrieren und den Menschen sagen, wie sie sich verhalten, wenn Symptome auftauchen. Dafür müssen wir traditionelle Dorf- oder Stammesführer als Informationsknoten nutzen, und ihnen überlassen, wie sie die Kernbotschaften verständlich verbreiten. Auch unsere Arbeit wird inzwischen von Ebola-Aufklärung bestimmt. Wir besuchen Schulen und klären Schüler auf, die ihr Wissen in die Familien tragen. In Konfliktzonen gibt es Gemeinschafts-Radios, die genutzt werden können. Sie sind die Hauptinformationsquelle. Auch in den ärmsten Flecken gibt es ein oder zwei Handys, über die man kommunizieren kann. Damit hat man spät begonnen, aber es wird mehr.
Der globale Gesundheitsnotstand wurde erklärt, nachdem es zwei Ebola-Fälle in der Millionenstadt Goma an der Grenze zu Ruanda gab.
Ja, aber hier gibt es auch Zeichen der Hoffnung. Die beiden Fälle waren Infektionen außerhalb der Provinzhauptstadt, sie konnten schnell identifiziert und die Kontaktpersonen von Präventionsteams geimpft werden. Der Informationsaustausch in Goma ist gut. Von 20 Verdachtsfällen sind zwei gestorben, es gab keine weiteren Ansteckungen.
Was ändert sich nun mit der höchsten Alarmstufe der WHO?
Die Regierung hat sich dazu noch nicht geäußert. Sicher ist, dass sie mehr Unterstützung braucht. Die Welt muss begreifen, dass ein “Weiter-so” nicht in Frage kommt. Es wäre eine Katastrophe für die Region der Großen Seen, wenn die Epidemie die Grenzen überschreitet. Die Geberstaaten verstehen noch nicht, was auf dem Spiel steht. Die Epidemie bewegt sich mit der Masseninfektion in einem Kontext von Konflikt auf einen Kipppunkt zu. Sicher braucht es mehr Mittel für den medizinischen Einsatz. Zugleich muss wegen des Potenzials der Verbreitung nach Uganda, Ruanda und Burundi auch mehr Geld in Personal, Vorbeugung und Aufklärung investiert werden. Es ist dringend, hier schnell voranzukommen. Auf dem Höhepunkt der Krise 2014 war es die Regierung Obama, die aufstand und ihre Hilfe massiv erhöhte. Das hat einen großen Unterschied gemacht. In unserem Fall scheint der Ehrgeiz der Geber nachzulassen. Jeder hier arbeitet mit endlichen Mitteln.
Wie betrifft die Krise ihre eigene Arbeit für Ernährungssicherung?
Nichts ist mehr normal. Wir versuchen, die Infektionsherde zu meiden, und binden die Ebola-Aufklärung in unsere Projekte ein. Die Not war schon vorher da, aber mit Ebola ist sie noch prekärer geworden. Es ist wirklich wichtig, die humanitäre Hilfe aufrecht zu erhalten, weil viele Familien ja auch vor der Seuche geflohen sind, und ihre Felder nicht bewirtschaften.